Formfrei

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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Empört euch Kidz, lalala-lalalallalala!

| 7 Lesermeinungen

Im neuen Clip von Take That entdeckt Thomas Strobl die Botschaft von Stéphane Hessel wieder. Wie auch eine gewisse Ernüchterung, angesichts einer allzu leicht für Gewalt zu begeisternden Generation Facebook.

Hoppla, was läuft denn da gerade über meinen Schirm? Die alten Herren von Take That vertonen die „Indignez-vous!“-Vibes des noch älteren Stéphane Hessel? Coole Idee. Und natürlich total hitverdächtig. Ein thymotisches Generationen-Cross-over. Rockig, stampfig, die Soldaten marschieren, die Boxen zittern: „There will be trouble when the kidz come out“. So zumindest die Prophezeiung an die „Kings and Queens and Presidents“, aus den Soundreglern der wiedererstarkten Boygroup. Lalala-Lalalallalala. Und wer meint, die Botschaft richte sich nur gegen Diktatoren und Menschenschinder, für den schieben die fünf Briten gleich noch eine Reimzeile hinterher: „Ministers of Governments“, fühlt Euch genauso angesprochen! Die Generation Facebook, you know…? Wenn die erst so richtig in die Hufe kommt, dann ist Schluss mit lustig! Take that nehmen vorweg, was Stéphan Hessel den Kidz erst noch predigt; predigen muss, weil die seiner Meinung nach den Arsch nicht vom Fernsehsofa hochkriegen um für die Anliegen der Menschheit auf die Straße zu gehen. Wie der kleine Junge, den man im Video zum Song als erstes zu sehen bekommt: der hockt auch vor der Glotze.

Bild zu: Empört euch Kidz, lalala-lalalallalala!

Im Clip kommen Robbie und Co in einer Art Disco-Raumschiff (Interieur by Mad Max) von einem fernen Planeten. Über den wissen wir nichts, außer dass man dort alte Lumpen und Theaterkostüme trägt. Alte Lumpen gehören zur Ikonographie des zukünftigen Universums, das weiß man spätestens seit Star Wars. Die fünf Jungs kommen also aus dem Himmel über uns, wie die amerikanisch-französisch-britischen Interventionstruppen über Libyen. Das heimische Militär geht da erst mal in Stellung, verständlich, das Maschinengewehr im Anschlag. Dabei wollen die Jungs doch nur eine Demo veranstalten, friedlich für mehr Transparenz und die wahren Werte trommeln. Das Déjà vu eines tragischen Missverständnisses steigt in uns auf: Hatten wir das nicht neulich erst in Tunesien und Ägypten?

„Welcome to the future of your world“, so heißt es bedeutungsschwanger. Wir erkennen: Es geht um die Moderne. Es muss um die Moderne gehen, weil ins solchen Clips geht es immer um die Moderne. Oder die Post-Moderne. Oder die Post-Post-Moderne, wie auch immer. Es herrschen jedenfalls elende Zustände: Böse Massenmedien haben den Bürgern die Freiheiten genommen, die Affen hantieren mit Atomkraftwerken, sprechen fortwährend von „menschlichem Ermessen“, was für eine Anmassung. Aber das kennt man ja. Selbst den Fall Guttenberg findet man in den Lyrics verarbeitet: „They say nothing, Deny everything, Make counter accusations“. Zwischenzeitlich wissen wir natürlich, dass man mit der Nummer nicht mehr durchkommt; auch und gerade nicht als „Minister of Government“. Weil nämlich:

„There’ll be trouble when the kidz come out (come out)
There will be lots for them to talk about (about)“

Genau. Und das Beste: Die Kidz müssen ja dafür noch nicht mal nach draußen, sondern erledigen das bequem von zuhause aus. Internet sei Dank! Ein paar Tweets abgesetzt, ein kleines Wiki gebastelt: Schon ist ein Rücktritt fällig! Aber wofür oder wogegen soll man sich engagieren? Wen soll man ins Visier nehmen? Tja, das ist natürlich die 64-Tausend-Dollar-Frage, nach wie vor. Spätestens seit Frank Schirrmachers „Payback“ wissen wir, dass die Kidz in ihrem Eifer oft genug einem dieser ätzenden Power-Laws anheimfallen, die das Web regieren. Und daher nur das sehen, was alle sehen. Früher mal war der Einäugige unter den Blinden König, aber heute verschwindet er im tiefsten Keller des Google-Page-Rank. Dumme Geschichte. Woran orientieren, in Fragen von gut und böse? Auch Take That wissen darauf keine Antwort. Stattdessen empfehlen sie den Rückgriff auf bewährte heuristische Techniken: 

„Mirror, mirror on the wall
Who’s the fairest of them all?
The Good, the Bad, the Ugly or the Beautiful“

Aber selbst der Spiegel sagt ja nicht immer die Wahrheit. Und natürlich hängen moderne Spiegel nicht mehr an der Wand. Stattdessen flüstern sie einem auf Amazon & Co. Wohlgefälliges ins Ohr: „Das könnte sie auch noch interessieren“ oder „Kunden, die sich dieses Buch gekauft haben, kauften auch…“. Und per Google sagen sie einem, was die Welt weiß, und man daher unbedingt auch wissen muss. Schöne neue Welt: Alle kaufen das Gleiche, alle wissen das Gleiche. Wer der Gute und wer der Böse ist. Hmmm… Waren wir da nicht schon mal? Und was hat es uns gebracht?

„The daggers of science
Evolving into violence
We’re not sure where the fallout blows
But we all know
There’ll be trouble when the kidz come out (come out)“

Oje, Gewalt. Nicht schon wieder. Dabei verlief das Ganze bislang doch so friedlich: Gary Barlow hantiert mit dem Keyboard, Robbie dreht ein paar Runden auf dem Fahrrad, der Kollege mit dem Bart, dessen Name ich mir nie merken kann, schlägt die Trommel, alle reißen die Hände in die Höhe: Lalala-lalalallalala. Generation Facebook at its best! Aber selbst dort liest man ja neuerdings wieder viel von Gewalt, sogar relativ undifferenziert. Weil hey: Wir sind die Guten! Lalala-Lalallalala.

Stéphane Hessel hingegen ist, bei aller Empörung, strikt gegen Gewalt. Lalala hin, lalala her. Geht es nach ihm, dann ist „The future of your world“, von der Take That singen, eine der Gewaltlosigkeit. Und der Versöhnung der Kulturen. Energisch widerspricht er Sartre, dem Doyen seiner Alma mater, der 1947 schrieb:

„Ich gebe zu, dass Gewalt, in welcher Form sie sich auch immer äußert, ein Scheitern ist. Aber es ist ein unvermeidbares Scheitern, weil wir in einer Welt der Gewalt leben; und wenn es wahr ist, dass der Rückgriff auf Gewalt sie zu verewigen droht, so ist auch wahr, dass sie das einzige Mittel ist, sie enden zu lassen.“

Falsch, entgegnet Hessel: Gewalt und Hoffnung gehen nicht zusammen, auch nicht die Hoffnung, die sich in der Revolution äußert. Gewaltlosigkeit muss unser Motto werden, sonst haben Nelson Mandela oder Martin Luther King umsonst gelebt. Aber OK: Notieren wir, dass Hessels Pamphlet zwar viele Millionen Male verkauft aber offenbar deutlich seltener gelesen wurde. Schade.

Das müssen schließlich auch Take That einsehen: Nachdem sie den Regierenden des Planeten die Botschaft überbracht und mit den Kidz ein wenig abgerockt haben, verziehen sie sich wieder in ihr Raumschiff und düsen davon. In Desillusion? Wer weiß. „Progress“ heißt ihre aktuelle Platte, da können Zeichen von „Regress“ schon ziemlich ermüden. Und vielleicht beschleicht die Fünf ja auch die Hoffnung, angesichts der allzu leicht begeisterungsfähigen Libyen-Stürmer auf Facebook, Twitter und Co, dass die Kidz mit ihrem angedrohten Coming-Out noch zuwarten und stattdessen erst einmal ihre Hausaufgaben machen.

Lalala-Lalalallalala.

 


7 Lesermeinungen

  1. sandra sagt:

    Take That sind 5......
    Take That sind 5…

  2. stroblt sagt:

    @sandra
    .
    Natürlich - danke!...

    @sandra
    .
    Natürlich – danke!

  3. Ja, das waren noch Zeiten, als...
    Ja, das waren noch Zeiten, als die „Dead Kennedys“ den Sound der Revolution gemacht haben… und wenn ihnen die Revolutionäre in ihrer Tumbheit zu sehr auf die Nerven gingen, dann haben sie den gegenrevolutionären Sound gleich mit dazu gemacht. … Aber früher war bekanntlich auch die Zukunft besser.

  4. Plindos sagt:

    Nebenaspekt:
    Thymos...

    Nebenaspekt:
    Thymos (altgriechisch θυμός, thymos, »Lebenskraft«) ist ein Ausdruck für die Gemütsanlage eines Menschen, so in Wilki zu lesen. „Thymotisch“ dagegen vermutlich eine Wortschöpfung des Philosophen P. Sloterdijk. Aber unserer Gefühlslage soll ja jetzt eine feste Grundierung dank der eingesetzten Ethikkomission
    von Regierungsseite verschafft werden. Auf das wir emphatisch beurteilen können,
    was uns kitzelt, wenn es denn zum Ernstfall ohne, ich betone ohne, die Einmischung Gewalt kommen sollte.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Thymos

  5. @ Plindos

    Vermeine mich zu...
    @ Plindos
    Vermeine mich zu erinnern, daß es mit dem adjektivischen Thymos auch schon der Fukuyama hatte. Aber wie man hört, mußten sie den ja auch abschalten und mit Meerwasser kühlen.

  6. Devin08 sagt:

    Wo sind die Grenzen für das...
    Wo sind die Grenzen für das Erträgliche, wie für das Unerträgliche?
    .
    Nun ja, in Arabien geht zurzeit Hessel baden, nicht mehr nur in Israel. Mag sein, dass die Gewalt immer zwei Gesichter hat, gemäß Sartre – zwei Optionen. Dennoch wird sie immer als alternativlos gesehen, von beiden Seiten. Eine Revolution ohne Gewalt, was ist das? Das was wir 89 in der „DDR“ hatten? Nun ja, dieser ging alle Gewalt zuvor schon aus. Nicht nur an den Mauern, auch zwischen den „Diensten“. Die sich dann nur noch friedlich zu einigen hatten. Fertig war die sanfte Revolution? Mag sein, dass die „Gewaltlosigkeit“ ein edles Motiv ist, dennoch, solange Klassen und Klassenkämpfe existieren, solange es Kriege zwischen den Nationen gibt, ist die Gewalt so etwas wie der Schmerz bei einer natürlichen Geburt. Etwas, was vielleicht demnächst ausstirbt. Solange es das aber noch gibt, sind die Schmerzen nicht weg zu denken, vielleicht gar nicht mal weg zu wünschen. So hält sich hartnäckig das Gerücht, dass ein gewisses Maß an Schmerzen – für die Gebärende -, bei einer normalen Geburt, dem Baby vermutlich eher nützt als schadet. Wahrscheinlich hat es was mit dem Pressen, aber auch wohl mit dem Schreien zu tun. Dennoch kostet das nicht wenigen Müttern auf dieser Erde immer noch das Leben. Und die lauten Geräusche der Revolution schallen ihrer Zeit manchmal weiter voraus, als die Revolution in die Zukunft reicht. Ich denke da nicht nur an das Geräusch des Fallbeils in der französischen Revolution. So zynisch möchte ich gar nicht sein. Doch wo sind die Grenzen – für das Erträgliche, wie für das Unerträgliche?

  7. colorcraze sagt:

    Hm, ich dachte doch...
    Hm, ich dachte doch eigentlich, „Life in plastic is fantastic“ hätten wir durch.

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