Formfrei

Zaimoglu in der Schanze

Ein schöner Leseabend war das gestern. Mit Feridun „Kanak Sprak“ Zaimoglu. Atomkraft sei Dank. Atomkraft, ja. Mag Euch nicht gefallen, ist aber so. Gäbe es die Atomkraft nicht, dann hätte dieser Leseabend nicht stattgefunden. Zumindest so nicht. Gäbe es die Atomkraft nicht, dann müsste man nämlich nicht gegen sie protestieren. Und das war der gestrige Abend: Eine Protestveranstaltung gegen Atomkraft. Zumindest dem Anlaß nach. Der äußeren Form nach. Auf Flyern, Postern, Webseiten und so: Da firmierte der Abend als „Gegenveranstaltung“. Genauer: Als Auftaktveranstaltung einer Gegenveranstaltung zu einer Literatur-Veranstaltung, die von einem Hamburger Energiekonzern gesponsert wird, der auch Atomkraftwerke betreibt. Klingt kompliziert, war es aber gar nicht: Trotz allem Bohei um die Vattenfall Lesetage und ob ehrbare Literaten da mitmachen dürfen und das Für und Wider von Atomkraft und die Sorgen um Fukushima und den 25. Jahrestag von Tschernobyl und die Forderung nach einem deutschen Atomausstieg und die Nöte der Elbbauern und die Lügen von Politik und Atomlobby und das Potenzial der alternativen Energiegewinnung und was zum Teufel hat Product Placement in der Kultur sowieso verloren? Trotz all dem war die Lesung mit Feridun Zaimoglu in der Buchhandlung im Schanzenviertel vor allem eins: eine Lesung mit Feridun Zaimoglu in der Buchhandlung im Schanzenviertel. Punkt (wie der Bestseller-Autor aus Kiel an dieser Stelle wohl schreiben würde). Punkt. Es ging um Literatur. Wie es in einer Buchhandlung sein solle. In einer Buchhandlung sollte es zuallererst immer um Literatur gehen. Sozusagen der literarische Imperativ. Und so war es auch. Der Protest beschränkte sich auf die Anmoderation: die verwies in ein paar schnellen Takten auf die höhere Moral des Vorhabens; machte ein Klitzekleinbisschen Werbung für ethisch einwandfreien Alternativstrom der Elektrizitätswerke Schönau; lies den Klingelbeutel rum gehen für eine Gemeinschaft von Landwirten, die gegen Vattenfall rebellieren. Aber das war’s dann auch schon. Empörung fand auf dem Papier statt. Bedrucktem Papier. Das wurde fleißg verteilt:

Ob die Buchhandlung im Schanzenviertel ihren Strom atomfrei bezieht und insofern die Veranstalter ihre Verheißung wahrmachen konnten, habe ich nicht nachgeprüft. Hätte ich vielleicht machen sollen. War mir aber wurscht. Es war jedenfalls hell und es war warm. Das war mir wichtiger. Vor allem, dass es drinnen warm war. Draußen war es nämlich saukalt. Gefühlte minus 10 Grad. Hamburger Frühling halt. Und draußen vor der Buchhandlung musste man einige Zeit zubringen, stehend, in einer langen Schlange. Ansonsten wäre die Chance auf Einlaß so minimal gewesen wie das Restrisiko eines Super-GAUs in einem deutschen Atommeiler. Zaimoglu ist populär. Vor allem in der Schanze. Da hat er eine Zeit lang gelebt. Hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Heißt „12 Gramm Glück“. Daraus sollte er später auch noch vorlesen. Was man aber wie gesagt nur miterleben konnte, wenn man deutlich mehr als 12 Gramm Glück mitbrachte und in der winzigen Buchhandlung tatsächlich Platz fand. Daher das Anstellen. Schon 30 Minuten vorher. In der Kälte. „Hoffentlich ist es drinnen warm!“, denkt man da. Man denkt nicht: „Egal ob es drinnen warm ist oder arschkalt – Hauptsache keine Atomkraft!“. Ist halt so. Ist menschlich. Was soll ich da einen auf politisch korrekt machen?

Punkt Acht bin ich dann unter den Glücklichen, die nicht nur Einlass finden, sondern auch einen Platz auf den Klappstühlen. Aufgestellt in braven Reihen. Jeweils drei nebeneinander. Mehr Platz war nicht. Gab der Raum nicht her. Man saß praktisch in den Bücherregalen. Heimelig. Hat ja auch was. Verschafft dem Ganzen das gewisse Etwas. Eröffnet zudem neue Möglichkeiten. Für stille Erkundungsreisen durch die Regale. Man läßt die Blicke draufloswandern. Weiblicher Narzissmus. Unmittelbar neben mir. Narzissmus bei Frauen. Wußte bislang nicht, dass es so etwas gibt. Und gleich daneben der moralische Freispruch für Frauen in anderen Umständen: „Mütter sind auch Menschen.“ Fast hätte ich es mir denken können. Ehrlich. Und schüchtern, fast vorsichtig, lugt vom hinteren Ende der Bücherreihe eine Dame mit Hut hervor. Obwohl sie dort, an ihrem Platz, nicht daran denkt, einfach in der Reihe zu stehen. Wie der weibliche Narzismus und die menschlichen Mütter. Oder die Vatermänner, die da auch stehen, in Reih und Glied. Vermutlich der Quote wegen. Nein: Diese Dame behauptet selbstbewusst ihren Platz, dreht dem Beobachter, der sich auch nur ein wenig zu bücken bereit ist, nicht nur den Rücken zu, sondern ihre gesamte, erhabene Front. Um ihm zu verstehen zu geben: „Frauen die lesen sind gefährlich und klug.“ Interessant. Gerne hätte ich das weiterverfolgt. Aber da kam auch schon der Autor.

Und er sah aus, wie man sich einen Autor, der einige seiner besten Jahre in der Schanze zugebracht hat, vorstellt: Schwarz von oben bis unten, Lederboots und schwere Silberringe an den Fingen. Totenkopfringe. Ob er die beim Schreiben auch trägt? Na egal: Heute abend soll er ja nicht schreiben sondern lesen. Und das tut er. Gekonnt. Mit heiserer Stimme. Er entschuldigt sich dafür. Die Popularität hat ihren Preis. Viele Auftritte sind der Stimme Tod. Aber er liest. Mit heiserer Kehle und regelmäßigen Pausen, um sich durch ein paar Schluck Wasser Linderung zu verschaffen. Und mit Strom, das steht fest. Ob Atomstrom oder nicht, bleibt unbeantwortet. Ist aber eh egal, denn wie gesagt: Schon nach der Anmoderation stand das Für und Wider der Atomkraft nicht mehr im Vordergrund. Zaimoglu las und das war wichtig. Liebesbriefe las er zunächst, ziemlich skurille Liebesbriefe. Quintessenz: „Ich liebe dich und wenn du den Scheiß-Terracotta-Übertopf nicht an dieser blöden Stelle hättest haben wollen und der Typ im Fliesenmarkt dich nicht angebaggert hätte, dann hätten wir uns auch nicht zoffen müssen.“ Ein moderner Liebesbrief. Momentaufnahmen der urbanen Leidenschaft. Sowas kennt man ja. Danach gab’s gleich noch eine Liebesgeschichte, diesmal aus Rom, ziemlich authentisch, weil da hat Zaimoglu ja selbst ein Jahr zugebracht, dank Stipendium der Villa Massimo. Weihnachten ist gerade, in dieser Geschichte, und die Italiener feiern das auf ihre ganz eigene Art. Und da will man als Deutscher ja auch nicht… sich aufdrängen und so, nein, will man nicht. Nicht zu Weihnachten. Also schlendert man halt so durch die Straßen der ewigen Stadt, sinn- und planlos, guckt in die Schaufenster und denkt an dies und das. Und trifft dann diese Frau, und die stammt auch aus Deutschland, und die hat einen schon mal früher bemerkt, als man im Café gegenüber saß und eine deutsche Zeitung las und … naja, den Rest kann man sich denken.

Zum Abschluss dann eine schöne Episode aus dem Schanzenbuch, „12 Gramm Glück“ sein Titel, ich erwähnte es oben schon. Der Plot wieder typisch Zaimoglu: Typ, Schriftsteller, will sich umbringen, hat die Schnauze voll von der bürgerlichen Spießergesellschaft, gibt sich noch 38 Tage, geht morgens aus dem Haus, wird von junger Frau angefahren, sie heißt Lulu, er Fernando, viele merkwürdige Dialoge, aber zum Schluss landen sie in der Kiste. Das Ganze in szenetypischer Krawallkulisse und feuerrotem Anarchosound. Schanze eben. Der Aufstand gegen das verhasste Schweinesystem kann jederzeit losschlagen, gleich hinter der Tapas-Bar da vorne rechts, gegenüber der SB-Filiale der Deutschen Bank. So ist das bei Zaimoglu. Da geht die Post ab.

Ich fand’s jedenfalls gut. Eine tolle Lesung von einem gut gelaunten Künstler. Ach ja, das Ganze war eine Protestveranstaltung gegen Atomstrom – sagte ich das bereits? Egal: Es war an diesem Abend nicht wichtig.

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