Ein Gespenst geht um auf der Welt – das Gespenst des Kapitals. Doch keine alte Macht und keine Polizei haben sich zur heiligen Hetzjagd auf dieses Gespenst verabredet, wie es bei Karl Marx in seinem berühmten, auf den Kommunismus gemünzten Satz heißt. Im Gegenteil: Die Staaten und ihre Institutionen sind seine treuen Verbündeten. Christian von Borries stellt ihm in „Global Design (Arbeitstitel)“ nach, dessen Premiere am Freitag in Hamburg zur Aufführung gelangte. Der Berliner Kulturwissenschaftler und Autor Joseph Vogl, der Schweizer Journalist Gian Trepp, der chinesische Historiker Wang Hui und die Jungen Symphoniker Hamburg assistieren als Geisterjäger.
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In nächtlichen Kamerafahrten geht es durch die Prunkboulevards der Finanzmetropolen, vorbei an den Glitzerfassaden von zu Beton und Glas geronnenem Reichtum. Inseln des Reichtums, in einem Meer des Elends, das die Welt ozeanisch überzieht. Der American Dream ist ein Exportschlager aus dem reichsten und mächtigsten Dritte-Welt-Staat in alle übrigen Dritte-Welt-Staaten. Das Gespenst ist wandlungsfähig: Es ballert sich durch Egoshooter-Sequenzen und tanzt im Darth-Vader-Kostüm den Mussolini; es schlüpft in die Haut von Michael Jackson und zertrümmert Autoscheiben mit der Aufschrift „Nigger go home“; es beobachtet Globalisierungsopfer beim verzweifelten Protest und macht sich klammheimlich über sie lustig; es stellt, in hochoffiziellen Armeestiefeln, Piraten vor der Küste Afrikas; vereitelt den Versuch einer Containerschiff-Kaperung, das Schnellfeuergewehr fest im Anschlag; zu allem entschlossen, vor allem, seine Handelsinteressen durchzusetzen. Auch militärisch. Als internationales Finanzkapital unterwirft es die Weltgesellschaft und ihre politischen Führer seinem schaurigen Sound aus digital verfremdeter Pompösmusik, von unseren Geisterjägern de- und rekontextualisiert. Ganze Partituren werden gescannt und dem Geist in der Maschine zum Fraß vorgeworfen. Wagner meets Star Trek.
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Schräge Töne werden da unvermeidlich, das Arrangement gerät zum Lärm: Es ist Krise. Finanzkrise. Die gibt Anlaß zu improvisierten Lagebesprechungen mit den Assistenten.
Friedrich Schiller wird zu Rate gezogen, bankrotte Kaufleute verlieren Kapital und sexuelle Potenz. Das Gespenst, es verfolgt uns nicht aus der Vergangenheit, sondern kommt aus der Zukunft: Als Geist der nicht mehr bedienbaren Schulden. Es treibt die Menschen vor sich her, in einer ständigen Flucht nach vorne. Der Kapitalismus als verschuldende Religion, als Zelebrierung eines Kults „sans trêve et sans merci“, wie es bei Walter Benjamin heißt: ohne Waffenruhe und ohne Gnade.
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Schauplatz des 3-tägigen Spuks ist der Bauch des Containerschiffes „MS Bleichen“ im Hamburger Hafen; mitten im Zentrum des Welthandels, dem Ort also, an dem die Metamorphosen des Kapitals ihren Ausgang nehmen. Bourgeoise Kunst an der Stelle, an der die Ware ihre Reise um die Welt antritt und an die sie schließlich zurückkehrt, als das „nackte Interesse“, als die „gefühllose bare Zahlung“. Daran hätten auch Marx und Engels ihre Freude gehabt, auch wenn die Erkenntnisse des Abends natürlich keineswegs neu sind sondern bereits hunderte Male erzählt wurden. Aber das haben Gespenstergeschichten halt so an sich.
Text erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 10.04.2011, Fotos und Video Clips von meinem iPhone
Die Barzahlung wurde schon vor...
Die Barzahlung wurde schon vor Karl Marx durch Carl von Clauswitz in seinem Werk
„Vom Kriege“ angeführt. Das Abschmelzen der Heere in der Schlacht wird mit der Barzahlung zwischen Geschäftspartnern verglichen.
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Im Vergleich zu einem Containercargo war der flying dutchman dagegen so was wie eine Kahnparie im Gewitter endigend.
https://www.youtube.com/watch?v=Lsg7DtLbrDo
Die paradoxe Perspektive zum...
Die paradoxe Perspektive zum Einstieg wirkt ein klein wenig bemüht.
Der Satz bei Marx meinte genau dasselbe, das er heute meinte: etablierte Mächte und Polizei jagen nie das Kapital, sondern immer die hands.
@KL
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Mag ja sein. Aber wenn...
@KL
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Mag ja sein. Aber wenn jemand in Buchtitel und Aktionskunst die Phrase vom „Gespenst des Kapitals“ bemüht, dann ist die Paraphrasierung von Marxens opener aus dem Kommunistischen Manifest der einzig mögliche Einstieg, finde ich. Zumindest meinem diskurs-ästhetischen Empfinden nach.