Ist es Zufall? Mit Griechenland, Spanien und Portugal kommt die große Schulden-Kacke nicht nur bei drei Vertretern der südeuropäischen Peripherie zum Dampfen, sondern die Delinquenten eint noch etwas ganz anderes: Sie schafften die Transformation vom autoritären Staat zur marktwirtschaftlichen Demokratie erst vergleichsweise spät, nämlich Mitte der 70er-Jahre. Das Gros der übrigen EU-Länder (mit Ausnahme der ehemaligen Ostblockstaaten) hat ihnen auf diesem Weg also rund 25 Jahre voraus.
Im Fall Portugals wurde ich erst neulich daran erinnert, als ich auf den Azoren am Ostermontag nicht nur die Prozessionen zum Kirchenfeste verfolgte, sondern gleichentags auch die Feierlichkeiten zur Wiederkehr der sogenannten „Nelkenrevolution“, einem der portugiesischen Staatsfeiertage. Am 25. April 1974 kollabierte dort das Regime, das Diktator Antonio de Oliveira Salazar und sein Nachfolger, Marcello Caetano, nach dem 2. Weltkrieg errichtet hatten. Das eigene Militär wandte sich gegen die Staatsführung, ernüchtert und zermürbt durch einen Kolonialkrieg in Afrika, der ein Viertel des Staatshaushalts verschlang und längst nicht mehr zu gewinnen war. Das politische Bündnis „Movimento das Forcas Armadas“ (MFA), dass aus der Revolution der Armee hervorging, war aber selbst auch nicht gerade ein Hort der Demokratie, ein Großteil der dahinterstehenden Offiziere beeinflusst durch die Kommunistische Partei Portugals von Alvaro Cunhal, die damals noch stramm auf stalinistischer Linie war. Der Übergang zur Demokratie war deshalb alles andere als reibungslos, und erst mit dem Wahlsieg des Sozialdemokraten Mario Soares im April 1976 wurde der entscheidende Schritt getan. Spanien wiederum löste sich von der katholisch-konservativen Autokratie nach und nach bereits zu Lebzeiten von Diktator Francisco Franco, sodaß nach seinem Tod im November 1975 alles recht schnell ging und im Dezember 1976 ein Referendum zur Abhaltung demokratischer Wahlen stattfinden konnte, die Wahlen selbst im darauffolgenden Juni. Und in Griechenland schließlich waren sich die Generäle, die 1967 an die Macht gekommen waren, am Schluss selbst nicht mehr ganz grün und stellten die Weichen für eine demokratische Zivilregierung. Der missglückte Einigungsversuch mit Zypern und der darob drohende Krieg mit der Türkei nahm dem Militär den letzten Rest von Legitimation, zeitgleich mit Portugal im Jahr 1974 hielt die Demokratie Einzug.
Seither ist natürlich in allen drei Ländern eine Menge passiert, und ein direkter Zusammenhang zwischen aktueller Wirtschaftsmisere und vergleichsweiser kurzer Lebensdauer als Demokratien vermutlich gar nicht mehr darstellbar; zudem erfolgte in den Staaten des ehemaligen Ostblocks der Einzug von Demokratie und Marktwirtschaft sogar noch später, und in einigen durchaus erfolgreich. In anderen aber wiederum nicht, Ungarn und Rumänien seien beispielhaft genannt. Und auch die ostdeutschen Länder sind, trotz aller Milliarden an Hilfen und Subventionen, keine rasende Erfolgsstory. Wären sie autonom geblieben, wo stünden sie heute?
Die Parallele scheint mir weniger unter dem Aspekt möglicher Kausalitäten interessant, die sich wie gesagt ohnehin nicht mehr klar darstellen lassen; aber die Frage geht mir durch den Kopf, ob es nicht jenseits von BIP-Zahlen und der Höhe von Haushaltsdefiziten wichtige Mentalitäts- und Einstellungsmerkmale gibt, die durch unterschiedlich lange Erfahrungshorizonte mit Demokratie und Marktwirtschaft bedingt sind. Und die das Zusammenleben in einer Wirtschafts- und Währungsunion eigenständiger Nationalstaaten, in denen derartige Unterschiede am Wirken sind, von vornherein schwierig, um nicht zu sagen: unmöglich machen. Und weiter: Welche politischen Experimente sind die Menschen in den vergleichsweise jungen Demokratien bereit mitzutragen, wenn sie ihr Heil angesichts der ökonomischen Misere wieder im starken Staat suchen? Betrachtet man die Bilder, die uns dieser Tage aus den Straßen Athens erreichen, dann fragt man sich, ob ein Austritt der hoffnungslosen Schuldnerländer aus der Eurozone nicht vielleicht doch das Beste wäre. Oder aber, alternativ, die finanzielle Unterstützung dieser Länder auf absehbare Zeit, vergleichbar dem innerdeutschen Solidaritätszuschlag.
So oder so: Keine leichte Wahl.
Sehr gute Anmerkung! Es ergibt...
Sehr gute Anmerkung! Es ergibt sich daraus natürlich auch eine mögliche Verpflichtung des Rests Europas für diese Länder. Gerade im Fall von Griechenland gab es ja Gründe, warum das Land so schnell (und im Nachhinein überstürzt) in den Euroraum aufgenommen wurde (damit Europa bis an den Bospurus geht).
Und der Vergleich mit Ostdeutschland ist ebenfalls gut: Denn ich befürchte, dass die Hilfen ähnlich aussehen: Sowohl zeitlich, sprich „absehbare Zeit“ sind Jahrzehnte, nicht Jahre und es geht nicht um ein paar Prozent des BIPs, sondern verteilt über den Zeitraum wahrscheinlich eher um 1 oder 2 Jahres-BIPs. Die Größe Griechenlands (und damit der Aufgabe) ist nicht sooo unterschiedlich zu Ostdeutschland …
Das ist sogar ziemlich...
Das ist sogar ziemlich einfach, Deutschland tritt aus der Euro-Zone aus.
https://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2011/01/weodata/weorept.aspx?pr.x=69&pr.y=12&sy=2009&ey=2016&scsm=1&ssd=1&sort=country&ds=.&br=1&c=122%2C136%2C124%2C137%2C423%2C181%2C172%2C138%2C132%2C182%2C134%2C936%2C174%2C961%2C178%2C184&s=GGXWDN%2CGGXWDG&grp=0&a=
Wo sind die Unterschiede ? Die Griechen haben einen Rüstungshaushalt von sagenhaften 5% BIP !!! Deutschland kleiner 1 %. Es ist eine Zumutung, was die Regierung in Athen ihren Bürgern und den EU-Bürgern da anbietet.
Die Portugiesen haben sich als „wahre“ Sozialisten erwiesen und ihre Gläubiger mit einer 30%-igen Quellensteuer belegt. Die sagen, gut, in dem Fall müssen eure Anleihen eben eine entsprechend höhere Rendite abwerfen.
Die Iren leben mit ihrem Steuersparmodell gut, indem sie die anderen Euromitglieder schädigen.
Die Tatsache, dass die Portugiesen und Iren bei ihren Anleihen runtergeprügelt wurden, sollte sie motivieren, ihre Fehler zu begradigen. Die Probleme sind nicht sehr ernst.
Die Griechen sollte die Zeit der Glacehandschuhe vorbei sein. Die dürfen uns z.B. Kreta für 99 Jahre verpachten, wir nähmen nur die Insel, alle Griechen dürften auf das Festland. Wenn sie in 99 Jahren ihre Zinsen immer noch nicht bezahlt haben, dürfen sie den nächsten Pachtvertrag für weitere 99 Jahre unterschreiben.
Für diese Mißwirtschaften sollen die €uro – Steuerzahler gerade stehen ? Nö ! Deutschlands Bürger sollten mit ihren Politikern Klartext reden, die verlinkte Tabelle zeigt, wo es für uns langgehen wird. Die Wahren Finnen sind das, was wir hier auch brauchen.
Könntest du etwas mehr zu...
Könntest du etwas mehr zu deinem Verständnis von „starker Staat“ sagen? Mir scheint die historische ANalogie, die du machst, auch ganz interessant. Ich würde aber die strukturellen Probleme aber weniger auf den „starken Staat“ an sich zurückführen, sondern auf die Art von gesellschaftlichen/wirtschaftlichen Beziehungen, die für Diktaturen/autoritäre Regimes eher typisch zu sein scheinen: starke Personalisierung gesellschaftlicher Interaktion, Zugang zu Ressourcen wird vorwiegend über Klientelismus / persönliche Loayalitäten organisiert, eine professionelle Verwaltung mit entsprechendem Ethos existiert nur ansatzweise etc. Im Grunde existiert ja da kein Staat im modernen Sinne (überspitzt ausgedrückt). Ich würde deswegen auch nicht unsere Ostzone in die Gruppe werfen, dafür mir aber mal Italien genauer anschauen.
Ich glaub eher, es hat...
Ich glaub eher, es hat irgendwie mit dem Olivenöl zu tun.
Nun, Mentalitäts- und...
Nun, Mentalitäts- und Einstellungsmerkmale führen uns natürlich zu unterschiedlichen Nash-Gleichgewichten innerhalb einer Gesellschaft/Volkswirtschaft 😉 Jedenfalls sind z.b. Italien und Griechenland im Korruptionsindex auf den Niveau einiger afrikanischer Staaten. Und das unterscheidet sie (und auch Rumänien) vom Rest Europas.
Laut »Die Weltwirtschaft« von Partha Dasgupta gab es übrigens ein paar Analysen, welche eine Korrelation von demokratischen Rechten und Wirtschaftswachstum aufzeigten.
Desweiteren finde ich ja immer noch ein zur Thematik passende Zitat aus einem Beitrag von Kantoos (Goldstandard als schon einmal dagewesene Währungsunion) ziemlich witzig:
»Andere Länder, darunter Italien, Spanien, Portugal und Griechenland (P.S.: kein Witz. Irland war damals übrigens noch kein souveräner Staat) hielten die Goldbindung nicht durch«
https://kantooseconomics.com/2011/04/18/hundert-jahre-alte-lehren/
@Hobbykoch
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Anti-orthodox,...
@Hobbykoch
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Anti-orthodox, aber zugegeben: Am Olivenöl könnte es natürlich auch liegen.
🙂
Darf ich an dieser Stelle...
Darf ich an dieser Stelle etwas zusammenfügen, was zusammen gehört?
Die Griechen sollte die Zeit der Glacehandschuhe vorbei sein. Die dürfen uns z.B. Kreta für 99 Jahre verpachten, wir nähmen nur die Insel, alle Griechen dürften auf das Festland. Ich würde deswegen auch nicht unsere Ostzone in die Gruppe werfen, Jedenfalls sind z.b. Italien und Griechenland im Korruptionsindex auf den Niveau einiger afrikanischer Staaten. Und das unterscheidet sie (und auch Rumänien) vom Rest Europas: es hat irgendwie mit dem Olivenöl zu tun.
stimmt, aber mir fällt dazu...
stimmt, aber mir fällt dazu noch etwas anderes ein.
Es scheint nicht nur eine Mentalitätsfrage und auch der vergleichsweise lange Weg, der durchschrittten werden muss, zu sein, sondern auch eine systembedingte Fehlstelle.
Wenn es „Beste“ gibt, wird es immer auch „Schlechteste“ geben, auch wenn man nicht „spät“ oder „zu spät“ kommt. In der unteren Hälfte der Fahnenstange namens Innovationen wird erbarmungslos über den Preis um die Marktteilnahme gekämpft. Das ist in der Währungsunion aber schwer machbar. Ersatzprodukte sind aber nicht in Sicht.
Käufer und Touristen weichen aus, wenn nicht all inclusive besser und billiger als beim Nachbarn vorliegt. Hoffnungsvolle Anschubkreditierungen refinanzieren sich nicht und irgendwann revitalisieren sich Schulden immer neu durch die Zinsen in immer größeren Ausmassen.
wenn nur lange genug Zinsen gezahlt wurden, ist es für den Gläubiger ein gutes Geschäft, auch wenn (oder weil) keine Tilgung stattfindet.
Diese Länder (wie fast auch Deutschland selber, siehe den Anstieg des Verschuldungsgrades) können nur entweder Zinsen zahlen oder Kredite tilgen. Neuschulden, um Zinsen für Altschulden zu zahlen, können einfach niemals produktiv werden!
Da fragt sich zusätzlich, welche Produkte sollen die Länder denn in den übersättigten Märkten anbieten? Ein Alleinstellungsmerkmal haben sie nur in der Mittelmeersonne und die müssen sie per Preisdumpingswettbewerb vielleicht sogar noch subventionieren! Schließlich erwarten Touristen was.
Man darf nicht vergessen, statt Kredite mit teurem Zins wegen Ausfallrisiko, könnten sich die reicheren Länder/Banken/Fonds auch direkt am Unternehmungsrisiko beteiligen. Dann kann man nicht nur mit besserem Know How protzen, sondern es unter vorliegenden Bedingungen beweisen. Solche Unternehmensbeteiligung muß auch nicht durch demokratische Wiederwahl bestätigt werden und ist also auch nicht per Lohnhöhe und Rentenalter und Vetterwirtschaft erpressbar.
Ist man gut, kann man Gewinne verteilen, ist man es nicht, ist die Investition futsch. Glaube ich an den Partner (und mich) investiere ich, glaube ich nicht an den, gebe ich lieber Kredit gegen Zins. Der Kreditbrief verfällt nicht und ist selber handelbar, mache ich immer einen Gewinn.
https://blog.corporatebookstore.de/2011/05/schulden-kann-man-nicht-verhindern-aber-die-instabilitat-der-wahrungssysteme-und-der-finanzwirtschaft/
Vielen Dank....
Vielen Dank.
Assets which should be...
Assets which should be privatized. The more of these assets that are bought, restructured and run efficiently by German companies the better imo.
https://www.ft.com/cms/s/0/2f1a7890-7c8b-11e0-b9e3-00144feabdc0.html#axzz1M2CXQmiV