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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Heinrich Heine war ein Grieche

| 7 Lesermeinungen

Der Kurs der Staatspapiere und des Diskontos ist freilich ein politischer Thermometer, aber man würde sich irren, wenn man glaubte, dieser Thermometer zeige den Siegesgrad der einen oder der anderen großen Fragen, die jetzt die Menschheit bewegen. Das Steigen und Fallen der Kurse beweist nicht das Steigen oder Fallen der liberalen oder servilen Partei, sondern die größere oder geringere Hoffnung, die man hegt für die Pazifikation Europas, für die Erhaltung des Bestehenden oder vielmehr für die Sicherung der Verhältnisse, wovon die Auszahlung der Staatsschuldzinsen abhängt.« Es war kein Politiker und kein Bankier, der mit diesen Worten seine tiefe Einsicht in die Problematik der Staatsschulden zum Audruck brachte, im Mai des Jahres 1832, sondern der deutsche Dichter Heinrich Heine. Er wußte bescheid - und lag, auf heutige Verhältnisse bezogen, dennoch falsch.

»Der Kurs der Staatspapiere und des Diskontos ist freilich ein politischer Thermometer, aber man würde sich irren, wenn man glaubte, dieser Thermometer zeige den Siegesgrad der einen oder der anderen großen Fragen, die jetzt die Menschheit bewegen. Das Steigen und Fallen der Kurse beweist nicht das Steigen oder Fallen der liberalen oder servilen Partei, sondern die größere oder geringere Hoffnung, die man hegt für die Pazifikation Europas, für die Erhaltung des Bestehenden oder vielmehr für die Sicherung der Verhältnisse, wovon die Auszahlung der Staatsschuldzinsen abhängt.«

Es war kein Politiker und kein Bankier, der mit diesen Worten seine tiefe Einsicht in die Problematik der Staatsschulden zum Audruck brachte, im Mai des Jahres 1832, sondern der deutsche Dichter Heinrich Heine. Heine war fasziniert vom »Staatspapierensystem«, wie er es nannte; in ihm erblickte er etwas aus seiner Sicht durchwegs Positives, nämlich den letzten Sargnagel der verhassten europäischen Aristokratie: Die Oberherrschaft des Bodens fände ihr Ende, wenn Vermögen erst einmal mobilisiert und in liquiden Staatstiteln angelegt sei. Ein neuer Menschenschlag müsse dann nicht mehr ortsgebundenen Geschäften nachgehen, sondern könne fortan von Zinseinkünften leben. Und würde dadurch erst wirklich »frei«. In den Metropolen könnten sich diese freien Menschen ansiedeln, miteinander politisch und kulturell verkehren und so die »eigentliche Macht der Hauptstädte« bilden, lässt der Dichter sich von Baron James Rothschild erzählen, während sie gemeinsam durch die Straßen von Paris flanieren. Natürlich würde dadurch gleichsam eine neue Aristokratie geschaffen, aber diese gründete dann nicht mehr auf dem Besitz an Boden, sondern nur noch auf dem an Geld. Und da dieses vergänglich sei – flüssiger als Wasser und windiger als Luft -, müsse man eine Zementierung neuer feudalistischer Strukturen nicht fürchten: Die neuen Geldadeligen würden vielmehr das Schicksal des Mediums teilen, das sie hervorgebracht hat, sie würden kommen und wieder vergehen.

Eine Einschätzung, der sich die Geldanleger unserer Tage mit großer Besorgnis anschließen werden. Insbesondere die Halter von Griechenland-Titel, die vom Regen des Kursverfalls in die Traufe der Umschuldung („sanft“ oder „hart“, wie auch immer) zu fallen drohen. Die Angst vor dem »Haircut« geht um, zudem dämmert es auch dem letzten Ökonomie-Blödie, dass mit endlosen Sparappellen und schön gerechneten Privatisierungserlösen der Lage nicht beizukommen sein wird.

Während Überdichter Heine dem Rentier-Dasein also durchaus positive Seiten abgewinnen konnte, mochten sich spätere Autoren dieser Auffassung nicht mehr anschließen, und stempelten die Geldbesitzer vorzugsweise zu Wirtschaftsschädlingen. Allen voran Keynes, er sprach gar von psychisch Kranken, die sich nicht an ihrer Katze erfreuen könnten, sondern nur an den Kätzchen der Katze, eigentlich aber den Kätzchen der Kätzchen und so weiter und so fort, bis zum Ende der Katzenheit. Keynes – von der Freudschen Psychoanalyse tief beeindruckt – erblickte im Geldhorter einen Perversen, der den gesellschaftlichen Austausch unterbindet; indem er das Geld zurückhält, das die in ihm verkörperten sozialen Beziehungen belebt. Der »sanfte Tod des Rentiers« sei deshalb nicht bloß eine Option – sondern vielmehr eine Frage der öffentlichen Sicherheit. Den Strick, den sich die Marxisten für derartige Fälle in der Schublade vorrätig hielten, könne gleichwohl ungenutzt darin verbleiben, denn effektiver Nullzins und chronische Zahlungsausfälle würden den Job auch so erledigen. Die Trias aus Zinstief, Zahlungsausfall und Inflation müsse schließlich auch den dümmsten Rentier zur Einsicht bringen, dass er größeren Nutzen daraus zieht, wenn er sein Geld im Konsum verjubelt.

Heute wissen wir: Keynes lag falsch. Sparen ist populär wie eh und je, Sparen ist politisch erwünscht. Und damit das so bleibt gilt die Maxime: Marmor, Stein und Eisen bricht, aber griechische Staatstitel bestimmt nicht! Falsch lagen aber auch Heine und sein Kumpel Rothschild, denn die Geldadeligen unserer Tage teilen damit keineswegs das Schicksal ihrer bodengebundenen Vorfahren: Ihre Kurzsichtigkeit bleibt ungestraft, ihre Unfähigkeit wird zementiert.


7 Lesermeinungen

  1. HansMeier555 sagt:

    1 Euro = 1,23,49 CHF.
    -
    Wenn...

    1 Euro = 1,23,49 CHF.

    Wenn das so weiter geht, dann könnten Griechenland und die Schweiz ihre Währungen einfach tauschen, zum beiderseitigen Vorteil.

  2. Plindos sagt:

    "Es war kein Politiker und...
    „Es war kein Politiker und kein Bankier, der mit diesen Worten seine tiefe Einsicht in die Problematik der Staatsschulden zum Audruck brachte…..“ Er hatte aber eine Bankvolontariat in Frankfurt hinter sich gebracht. Danach Tätigkeit im Bankhaus seines Onkels Salomon Heine in Hamburg. Der zur weiteren dichterischen Karriere seines Neffens meinte: „Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher.“
    ..
    Hatte mal Einblick in eine sehr einflußreiche, reiche griechische Oberschichtfamilie. Es galt als höherer Sport keine Steuern zu bezahlen. Nicht unähnlich zu hiesigen Verhältnissen.

  3. fionn sagt:

    Wird deutsche Grossunternehmen...
    Wird deutsche Grossunternehmen die Infrastruktur Griechenlands „übernehmen“? Schon möglich m.M.n.
    https://www.cash.ch/news/front/griechenland_hat_nur_noch_geld_bis_mitte_juli-1038151-449

  4. fionn sagt:

    Sorry, "werden" deutsche... ...
    Sorry, „werden“ deutsche…
    Athen verkauft Anteile an Häfen (Faz online) – ah, ha.
    Ausverkauf – und es ist gut so.

  5. Devin08 sagt:

    Die dümmsten Kritiker sind...
    Die dümmsten Kritiker sind daher die, die gar keine sind
    .
    „Ihre Kurzsichtigkeit bleibt ungestraft, ihre Unfähigkeit wird zementiert.“ Kein schlechter Satz, und ich würde ihn wie folgt begründen. Die Kurzsichtigkeit bleibt ungestraft, da die Gesellschaft/der Kritiker an derselben Kurzsichtigkeit leidet. Eine Gesellschaft, die sich auf Augenhöhe https://blog.herold-binsack.eu/?p=1633 mit dem Delinquenten bewegt, ist zu dessen Kritik unfähig. Nur der, der sich über ihn hinaus zu bewegen, ihn demnach im fortschrittlichen Sinne zu negieren sucht, oder der, der sich unter dessen Niveau bewegt, ihn demnach noch zu unterbieten hätte, ihn also im reaktionären Sinne zurück zu zerren wünscht, ist überhaupt fähig zur Kritik. Der auf Augenhöhe sich Befindende hingegen ist zur Affirmation des Bestehenden verdammt. Die dümmsten Kritiker sind daher regelmäßig die, die sich für solche halten, doch der Kritik nicht fähig sind.

  6. bettelbaron sagt:

    „Hätt’ er gelernt was...
    „Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher.“
    Schrieb er wohl als er mal wieder einen Wechsel für seinen klammen Neffen ausstellte, dem in pekuniären Dingen die Banklehre nicht viel geholfen hat.
    Aber das Argument des beschleunigten Elitenaustausches unter dem Regime des Geldes anstelle des Bodens war langfristig ein doch recht zutreffendes. Auch wenn die klugen Aristokraten – also keine Preußen – sich rasch auf die neuen Verdienstchancen einstellen konnten.

  7. Plindos sagt:

    Über Geld spricht man nicht....
    Über Geld spricht man nicht. Zumindest in der ersten Generation nicht. Gerade beim Geldadel nicht. Späterhin wird ein hochadliges Patent ausgestellt: Falls sich soviel von der Patte akkumuliert hat, daß dringend eine philanthropische Stiftung her muß
    oder ein Clanmitglied, z. B., Senator werden soll. „Geld“ welches als solches auf Dauer anerkannt bleiben will, investiert. Konsumiert wird nur, falls es den Ruhm mehrt und nichts kostet.
    ..
    bettelbaron@: Preußen nahm die Hugenotten auf, die Judenbefreiuung setzte in Preußen ein. Beides schob Preußen mit auf den vordersten Platz vom 17. bis ins 19. u. zum Anfang des 20. Jhdt in Deutschland. Dessen Adel war durchaus in der Wirtschaft Preußens nicht unterrepräsentiert. S. die Entwicklung Ober-und Niederschlesiens nach dem Siebenjährigen Krieg.

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