Vatertag ist Joggingtag. Zumal dann, wenn die Sonne lacht und zum morgendlichen Trimm-dich geradezu auffordert. Raus in die Natur!, das Motto gilt an diesem Tag aber bekanntlich auch all jenen als Imperativ, die im Komasaufen einen anregenden Zeitvertreib erblicken und der Sturztrunkenheit nicht ohne Licht, Luft und Vogelgezwitscher begegnen wollen.
Ich ziehe also los, mein Sohn auf seinem Fahrrad nebenher, und es dauert nicht lange, bis uns die erste Bollerwagen-Gang entgegenkommt. Ist’s noch das Koffein oder schon das Bier? Ich weiß es nicht, aber ihre Betriebstemperatur haben die jungen Herren bereits erreicht, daran besteht kein Zweifel. Bedrohlich, nein, bedrohlich sind sie keineswegs, im Vorbeilaufen erkenne ich Anzeichen von Spaß und guter Laune, man lacht und scherzt. Das wird sich im weiteren Tagesablauf noch steigern, keine Frage, wenn anschwellende Blutalkoholwerte bei sommerlichen Temperaturen das Blick- zum Nebelfeld und die Beine zu Gummi vermanscht und den Verstand auf die Leistungsfähigkeit von „Lalala“ und „Heyheyhey“ reduziert haben.
Mein Sohn guckt mich an und ich guck ihn an, „Papa, warum betrinken sich die Männer auf offener Straße?“, und ich muss einräumen: „Keine Ahnung, mein Junge, wahrscheinlich, weil sie sonst nichts Besseres zu tun haben.“ So wird es wohl sein und nur so kann ich mir erklären, warum man seit geraumer Zeit auch weiblich besetzten Bollerwagen-Prozessionen begegnet, deren Anspruch auf Einebnung der Geschlechterdifferenz zwar den Suff für sich reklamiert, aber bitte nicht am Muttertag, weil der gehört bekanntlich Kaffee und Kuchen und Mami-ich-hab-dich-so-lieb-Gedichten. Und das verträgt sich nunmal nicht mit Extrem-Saufen. So gesehen ist es also gut, dass die Väter sich offenbar schon so in die Ecke gedrängt fühlen, dass sie ihren Ehrentag nur noch auf eine Art begehen können, indem sie sich nämlich mit jeder Buddel ein Stück mehr aus ihm verabschieden; denn das eröffnet ihren Frauen die Gelegenheit, eine Position auf Augenhöhe zurück zu erobern – und sei es nur, indem man lallend nebeneinander auf der Grünfläche zu liegen kommt. Natürlich nicht, ohne seine 1,8 Promille vorher noch auf Megapixel-Format zu bringen und in die große, weite Facebook-Welt zu entsenden. Denn wenn schon öffentlich, dann total öffentlich, sonst ist der Spass ja nur halb so groß.
Tags darauf wird man in der Zeitung lesen, dass das lustige Vatertagstreiben für einige seiner Protagonisten leider tödlich endete, und da und dort wird die Forderung laut, man möge Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit verbieten. Und so fügt es sich, dass ich an meinem Vatertagmorgen nicht nur um 500 sportliche Kalorien ärmer, sondern auch eine Erkenntnis reicher werde, denn in der Tat: So wird es kommen! Eine Öffentlichkeit, die vom Glimmstengel bis zum Kopftuch alles Mögliche aus seinem Blickfeld verbannt, wird über kurz oder lang nicht dulden, dass Strassen und Parks von biederen Bürgern zu Ballermann-Strandabschnitten umfunktioniert werden. Besauft Euch, wenn Ihr wollt, aber bei Euch zuhause!, so wird der unbarmherzige Bannspruch lauten, mit dem das Private wenigstens wieder einmal ein Comeback feiern darf. Etwas, womit man in der Ära von Post Privacy ja schon gar nicht mehr rechnen durfte, in der wir es und doch angewöhnt haben, mittels Twitter live im Schlafzimmer von Estelle Schulze-Lenhart und Liam Bartenhuber die Lampe zu halten. So gesehen ist das öffentlich gelebte Vatertagsbesäufnis ohnehin ein Relikt längst vergangener Zeiten, denn der Massenappeal der Social-Media-Zukunft beruht auf reiner Virtualität, und da ist zwar Kommunikation Trumpf aber tatsächliche Interaktion ja eigentlich total out. Heißt im Klartext: Fabriziert einen Bollerwagen-Clip und stellt ihn auf Youtube aus, aber belästigt die Real World bitte nicht mit Euren Peinlichkeiten. In der wollen abstinente Papis und Mamis schließlich des Morgens mit ihren Kindern joggen. Auch am Vatertag.