Es ist eine Zeit lang her, so um das Jahr 2000 herum wird es wohl gewesen sein, also (noch) zu den Hohezeiten der New Economy, da saß ich in einer Vorlesung von Roland Berger an der Universität Cottbus. Der Godfather des deutschen Unternehmensberatertums absolvierte seine alljährliche Pflichtübung als Honorarprofessor, und wie üblich verwendete er den Hauptteil seines Vortrags auf die Lobpreisung des Unternehmertums. Das taten auch viele andere vor und nach ihm, aber ein Satz Bergers blieb bei mir hängen, und just dieser eine Satz geht mir neuerdings wieder vermehrt durch den Kopf:
„Wenn Sie reich werden wollen, müssen Sie Unternehmer werden.“
Ich dachte schon beim ersten Mal, als ich diesen Satz aus dem Munde Bergers hörte, dass es das alleine ja wohl nicht sein könne; Schumpeter war für mich das Maß aller Dinge und Max Weber selbstverständlich auch, protestantische Ethik, Denken in Generaltionen und all das, was ich traditionell mit Unternehmertum verband. Ich kannte damals schon eine ganze Reihe von Unternehmern, einige erfolgreicher als andere, und einige sogar „reich“ nach bergerschen Maßstäben. Die waren aber insoweit alle „old school“, als sie ihre Unternehmen gegründet oder von den Eltern geerbt hatten, um Unternehmer zu sein. Und das primär deshalb, weil sie sich gar nicht vorstellen konnten, kraft Elternhaus und Erziehung bereits, jemals etwas anderes zu sein als Unternehmer. Egal ob in Reichtum oder in Armut. Einer meiner Bekannten, er hatte seinen Betrieb vom Vater übertragen bekommen, wofür er ihm sehr dankbar war, inklusive dessen üppiger Schulden, wofür er ihm weniger dankbar war, erzählte mir mal im Vertrauen, dass er sein Geschäftsführergehalt, das er sich während des Jahres ausbezahle, am Jahresende zur Gänze wieder als Kapitaleinlage leisten müsse, um den Geschäftsverlust auszugleichen; und das bereits das dritte Jahr in Folge. Stellt man sich so einen erfolgreichen Unternehmer vor? Im Klischeebild vielleicht nicht, aber ich für meinen Teil gestehe: Ja – so stelle ich mir einen Unternehmer vor. Durch dick und dünn, in guten wie in schlechten Zeiten, aufgegeben wird niemals! Das ist irrational, keine Frage, aber für mich steht genauso fest: Wer als Unternehmer sein Leben bestreiten will, der muss irrational sein; muss den thymotischen Trieben in seiner Seele gehorchen, seinem herrischen Bewusstsein frönen, bereit sein, sein Leben der Probe aufs Exempel zu unterstellen; statt wie Hegels Knecht von vornherein zu kapitulieren und im bequemen Angestelltendasein allenfalls eine „Idee von Freiheit“ zu kultivieren.
Die New Economy war der erste Prüfstein für diese, meine These; und einige Jahre hindurch hatte es den Anschein, als könne sie vor der Realität nicht bestehen: Berlin war plötzlich voll von „Unternehmern“, die von Schumpeter nichts wußten und von protestantischer Ethik erst recht nichts wissen wollten; sondern die als Consultants oder gar noch Studenten von irgendwelchen coolen Geschäftsmodellen in den USA gehört hatten, und den Millionen, die den smarten Jungs hinter diesen Geschäftsmodellen beim IPO zugeflossen waren. Und von da war’s nur ein Elevator Pitch bis zur Selbständigkeit, der Satz „Wir machen das Gleiche wie XYZ in Amerika“ ging leicht von den Lippen, und schon waren die Kapitalgeber überzeugt. Denn warum das Rad neu erfinden, wenn das profitable Kopieren lag so nah? Schließlich hatte man die Aussicht auf den eigenen IPO im Windschatten des amerikanischen Vorbilds; und wenn das nicht klappte, dann konnte man immer noch darauf hoffen, dem erfolgreichen Ami den eigenen Laden in Deutschland im Rahmen von dessen „Internationalisierungsstrategie“ anzudrehen. Jeweils mit gutem, sprich: schnellem Gewinn, versteht sich.
Diese Art von Unternehmertum, das nicht im eigentlichen Sinne am Produkt des Unternehmens interessiert war, sondern am Unternehmen als Produkt, ebbte nach dem großen Knall an der NASDAQ und an den diversen „Neuen Märkten“ zwischen Frankfurt und Tokyo schnell wieder ab, die „Old Economy“ erlebte ein Revival. Jetzt aber erleben wir offensichtlich ein Comeback des schnellen Reichtums, und das vehementer als je zuvor, zumindest, wenn man die Zahl der Nullen zum Maßstab nimmt: 1 Milliarde reicht nicht mehr aus, um die erfolgreichen Neueinsteiger finanziell zu taxieren, 10 Milliarden auch nicht – 100 Milliarden, ja, damit kann man in unseren neuen Goldenen Zeiten was anfangen. 100 Milliarden für Facebook, warum nicht, immerhin ist die Firma ja schon 7 Jahre alt – eine Ewigkeit! Daher bitte keine falsche Kritik: Dass der Markt sehr wohl differenzieren kann und Risiken richtig einzuschätzen weiß, beweist er ja mit Online-Spieleprogrammierer Zynga, der wurde erst vor 3 Jahren gegründet, daher ruft man lediglich 20 Milliarden auf. Alles kein Thema, alles sehr solide und schließlich ist diesmal alles sowieso ganz anders.
Als einer, der in der klassischen Industrie groß geworden ist, in Firmen, die mit echten Maschinen echten Stahl zu was-auch-immer verarbeiteten, und deren Eigentümer Booms und Busts durchstanden, ja, durchstehen wollten, als wäre die Company das Einzige im Leben, kann ich bei sowas nur mit den Augen rollen. Was nicht heißen muss, dass ich recht habe und die Jungs alle falsch liegen, das will ich damit überhaupt nicht sagen. Im Gegenteil: Ich gönne dem Mark Zuckerberg jede einzelne seiner Milliarden und den Google-Gründern auch, zumal die ja wenigstens so etwas wie „das Original“ sind. Und ich gönne den zahlreichen Nachahmern dieser Leute, die sich quer über den Globus verstreut als Unternehmensplagiatoren betätigen, in der Hoffnung, damit wenn schon nicht Milliarden dann wenigstens ein paar hundert Millionen abzustauben, diese auch. Ich glaube nur, dass diese Art des Unternehmertums etwas grundlegend anderes ist als das, was kapitalistische Gesellschaften bislang darunter verstanden haben und worauf sie ihren Anspruch an Massenwohlstand begründeten. Anders gesagt: Es macht meiner Meinung nach einen Unterschied, ob ich ein Unternehmen gründe, um Unternehmer zu sein; oder ob ich es gründe, um es möglichst schnell und profitabel zu verkaufen. Natürlich kann man auch auf die Art zu gesellschaftlichem Wohlstand gelangen, wenn nämlich das Gründen-Verkaufen-Neugründen seine ganz eigene Dynamik entfaltet, wie wir sie in der Mitte der 90er etwa im Silicon Valley gesehen haben. Dann wird soziale Wohlfahrt eben nicht statisch sondern dynamisch stabil, wer bei der einen Company hinausgeht, geht anderntags bei der nächsten wieder hinein. Aber einerseits haben tendenziell strukturkonservative Gesellschaften damit ihre Probleme und andererseits ist es mit der Wohlfahrt auch ratzfatz wieder vorbei, sobald die Dynamik abreißt. Wie das heutige Kalifornien ja in aller Dramatik feststellen musste.