Formfrei

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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Ein Wunder – restricted & selective

| 11 Lesermeinungen

Das muss ja ein reichlich merkwürdiger Gipfel gewesen sein, da in Brüssel, zu dem die Kanzlerin mangels Erfolgsaussichten erst gar nicht hinfahren wollte, und dessen Ergebnisse jetzt zum allgemeinen "Hurra!" mittels Fanfaren verkündet werden. Der Euro steigt und die Bankaktien und die griechischen Gemüter, und die Franzosend sind froh und die Deutschen und die Italiener und alles ist wunderbar, man mag es gar nicht glauben, daher gleich noch ein Mal: wunderbar!

Das muss ja ein reichlich merkwürdiger Gipfel gewesen sein, da in Brüssel, zu dem die Kanzlerin mangels Erfolgsaussichten erst gar nicht hinfahren wollte, und dessen Ergebnisse jetzt zum allgemeinen „Hurra!“ mittels Fanfaren verkündet werden. Der Euro steigt und die Bankaktien und die griechischen Gemüter, und die Franzosen sind froh und die Deutschen und die Italiener und alles ist wunderbar, man mag es gar nicht glauben, daher gleich noch ein Mal: wunderbar! Eulen muss man nicht nach Athen tragen, soweit bekannt, Euros aber schon, und das passiert nun reichlich, reichlicher am reichlichsten, und alle freuen sich darüber, zumal das wichtigste damit selbstredend nicht verwirklicht wird: die böse Transferunion. Frau Merkel im Original: „Da bin ich strikt dagegen“. Ja, liebe Kinder: Strikt dagegen ist sie, sind wir alle, daher gibt’s die Kohle für die Griechen nicht zum Nulltarif sondern nur gegen Zinsen, und wo die herkommen werden, das weiß im Moment nur der liebe Gott, aber hey: der war ja im Grunde eh immer schon ein übelgelaunter Anti-Europäer. Auf den seine Meinung muss man also wirklich nicht viel geben, auf die der Ratingagentur Fitch schon eher: „ein großer Schritt zur Stärkung der Finanzstabilität“, so lässt sie verlauten, und als Belohnung verteilt sie an die Griechen gleich mal die offizielle Einschätzung als „restricted default“. So nennt man das heute nämlich, in unseren modernen Zeiten, in denen niemand mehr pleite gehen darf, der mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt: einen „beschränkten Bankrott“. Beschränkt auf wen oder was? Na auf alle, die den Griechen Geld geliehen haben, das iss ja wohl klar; und wer das nicht gemacht hat, stattdessen seinen Spargroschen in supersichere Italien-Bonds investierte, der ist fein raus. Auf ihn ist der „restricted default“ nicht anwendbar, noch nicht, aber hey: Wir wollen jetzt kein Wasser in den griechischen Wein gießen und der guten Nachricht nur abschätzige Kommentare zukommen lassen, wir sind ja schließlich keine Spielverderber. Immerhin hat man ja schon mal 24 Stunden gewonnen, in unseren schnellebigen Zeiten eine halbe Ewigkeit. Wer das als „selektive Wahrnehmung“ verunglimpft, der soll sich nicht bei mir beschweren, sondern bei der Ratingagentur Standard & Poors, der geht das nämlich mit dem „restricted default“ der Kollegen von Fitch schon viel zu weit, daher spricht sie lieber von „selective default“. So ein „ausgewählter Bankrott“ hat nämlich ganz besondere Vorzüge, demnach ist man zwar pleite aber nicht immer und überall, gegenüber der EZB zum Beispiel nicht, die akzeptiert griechische Anleihen nach wie vor als „erstklassige Sicherheiten“, ganz tolle Sache. Und gegenüber den übrigen Banken ist man auch nur ein bisschen pleite aber nicht ganz, reckt und streckt seine Schulden, nimmt ein bisschen da was weg und gibt ein bisschen dort was zu, und schon hat man 10 Jahre gewonnen und die Banken beteiligen sich hochoffiziell in der Rhetorik gegenüber dem deutschen Wähler mit mindestens 57 Milliarden Euro. Boooaaaahhh! 57 Milliarden Beitrag der Banken zum Schuldenerlass, nach Aussagen von Sarkozy sogar 135 Milliarden, woher der Unterschied kommt leider unbekannt, vermutlich wegen restricted, selective oder was auch immer. Und kein Armageddon an den Märkten weit und breit, keine Kernschmelze des Finanzsystems, nein: alles steht noch, ein Wunder. Ein Wunder, ich vermag es nicht anders zu sagen, liebe Freunde, ein Wunder. Ein echtes Miracle, restricted & selective, da beißt die Maus keinen Faden ab, und da ich seit einiger Zeit ja nur noch psychotherapeutische Literatur zu mir nehme, sage ich aus vollen Stücken: Warum eigentlich nicht? Man muss die Welt zwar so nehmen, wie sie ist, aber das bedeutet ja noch lange nicht, dass man sich dabei nicht gut fühlen dürfen sollen darf. Miss jeder Wahrnehmung eine positive Bedeutung zu, dann geht’s dir besser. Die Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit liegt nicht bei Lagard, Merkel oder Krugman sondern bei NLP-Guru Richard Bandler und dessen“6-Step-Reframing“, schon ist die Welt wieder schön. Ob die Griechen was von NLP verstehen, weiß ich nicht, zu wünschen wäre es ihnen aber allemal, denn wie ihnen durch das neue Rettungspaket genau geholfen wird, das weiß im Prinzip kein Mensch, außer Nicolas Sarkozy, aber der will es uns dummerweise nicht verraten, was bis jetzt bekannt geworden ist, klingt jedenfalls nicht sehr überzeugend: da borgen sich die Griechen nämlich eine Milliarde und kaufen damit deutsche Bundesanleihen, zu anderen Zeiten ein netter Zug von ihnen, aber aktuell: WTF? Und das Geld aus der Rückzahlung dieser deutschen Titel fließt auch nicht den Griechen zu, sondern den deutschen und französischen Banken, denen also, die sich bereit erklärt haben, auf mindestens 57 Milliarden, nach Meinung Sarkozy sogar 135 Milliarden zu „verzichten“. Wer’s nicht versteht, sei von mir getröstet: You are not alone!


11 Lesermeinungen

  1. colorcraze sagt:

    Ja, es ist schwer, da noch...
    Ja, es ist schwer, da noch eine scherzige Leichtigkeit rauszuwringen, Merkels gute Laune vor dem Urlaub wird ja auch als eher erratisch wahrgenommen. Aber imgrunde haben Sie gar nicht so unrecht: wir brauchen eine Serie kleiner Wunder, um aus dem tiefen Loch, das noch kommt, rauszufedern. Und, wie man an Oslo sieht, ist das Schwierigste derzeit, nicht komplett irre die Menschheit anfangen zu hassen. Vielleicht kann ja jetzt dann in Griechenland mal ein Fokus auf das Neue Notwendige, also die Zeit auf nach der Krise, entstehen. Ein Dante ist dort noch nicht zu sehen, aber kommt vielleicht noch.

  2. Das ist nicht nur wunderbar,...
    Das ist nicht nur wunderbar, sondern der alternativlose wonderbra schlechthin, der alle bisherigen um Nummern schlägt: Kaum noch etwas verhüllt-dennoch nicht nackelig (maybe wackelig?).
    Brüssel führend, anrührend, anführend, verführend im new financing design. Suuuper!
    Kein Transfer, sondern Transport von Nummern mit vielen, vielen Nullen; gestreckt über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.
    Die neuesten hits dagegen im Paralleluniversum sehen allerdings anders aus, s. u.:
    https://www.ixquick.com/do/metasearch.pl

  3. fionn sagt:

    Gute Nachrichten für...
    Gute Nachrichten für Griechenland – die KfW ist an Ort undf Stelle. Bekanntlich hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau die DDR-Wirtschaft auf die Beine gebracht.
    @ T. B. Kathimerini.com (the upmarket Greek daily paper) has English pages and there’s a piece today about Germany, the KfW and plans for boosting growth in the Greek economy.

  4. fionn sagt:

    Here's the link to the report...
    Here’s the link to the report about the KfW / Germany’s interest in assisting the Greek economy.
    https://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite2_1_22/07/2011_399487

  5. colorcraze sagt:

    @fionn: hab die Notiz auch...
    @fionn: hab die Notiz auch gelesen, aber sie dünkte mich wie höfliches Geschwätz ohne Substanz. Ja gut, ein paar Windräder mag man aufstellen können – aber sonst??? Die Griechen müssen, wie SÄMTLICHE europäischen Länder (ja, D in hohem Maße auch!!!), wieder SUBSTANZ ansetzen!! Die Frage ist, wie und welche. MMn brauchen die Griechen zunächst mal eine bessere Staatsverwaltung, z.B. Grundbuchämter und Finanzämter und so’n Zeugs, so daß Eigentum und seine Verpflichtungen erstmal wieder richtig fühlbar werden, und Fakelaki überflüssig, weil dieser Service garantiert ist. Ob man das mit den angeschleppten Fußkranken der letzten Jahre oder ohne sie tut, bleibt sich gleich (wenn man sie rauskantet, fallen sie der Sozialkasse zur Last), Hauptsache es bildet sich eine fähige, betraute Taskforce, die das umsetzt.

  6. colorcraze sagt:

    @Grand Guignol: Ixquick, der...
    @Grand Guignol: Ixquick, der Metazehrer – naja. Irgendwie gestrig. Da ist mir Google immer noch 100% sympathischer, die drehen ihren Horizont zwar womöglich auch bald in der falschen Art ein („Personalisierung“), aber einstweilen bieten sie noch unübertroffene Leistung (Abdeckung des Web qua Suche), und das einigermaßen vertrauenswürdig, denn man weiß, was sie tun, und sie kommen nicht Facebook-schülerstreichmäßig mit „Ätschbätsch“-Vertragsänderungen hinten vor.

  7. Grand Guignol@:..hoffentlich...
    Grand Guignol@:..hoffentlich kommt es nicht wieder zu Fehlüberweisungen.

  8. Vroni sagt:

    Sieht entgegen seiner...
    Sieht entgegen seiner NLP-Botschaften nicht sehr fröhlich aus, der Herr Bandler.
    .
    (Mit NLP kann man mich ja arg jagen. Werde immer einen Baum finden, an den ich hinauf kann, nur damit ich mir kein NLP, diese konstruktivistische Schmalspur-Psycholehre, antun muss….)

  9. fionn sagt:

    Man sollte nie vergessen, die...
    Man sollte nie vergessen, die Türkei war 400 Jahre lang die Besatzungmacht in Griechenland. Die Folgen sind noch heute in GR spürbar. Deshalb bin ich 200% gegen einen EU-Betritt der Türkei.

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