Formfrei

Keinen Sinn suchen, wo keiner ist

Das Tragische an dem Massaker von Norwegen ist, dass einmal mehr dutzende von Menschen sterben mussten, um eine Banalität zu beweisen: der mit der Waffe ist der Stärkere. Diese Erkenntnis ist aber so alt wie die Menschheit, nichts, was man ihr an Neuigkeitswert hinzufügen könnte, auch nicht in 1500 Seiten. Wer in den Krieg gegen den angeblichen Kulturmarxismus ziehen möchte, bitteschön, aber auf irgendeine daraus fließende Anerkennung braucht er nicht zu hoffen, wenn er sich als Ziel seines Kreuzzuges ausgerechnet ein Ferienlager von Kindern aussucht. Das ist semantisch hoffnungslos verlorenes Terrain, stattdessen offenbart sich einmal mehr ein in sich selbst und seiner Umwelt verlorenes Häufchen Elend, das in seiner Hilflosigkeit wild um sich schlägt. So wie es vielleicht jeder von uns gerne schon mal gemacht hätte, gerne machen würde, insgeheim, aus Frust wegen diesem oder jenem, einfach mal so wild um sich schlagen, sinnlos drauflos ballern, aber natürlich haben wir es uns stets verkniffen, der wilde Wahn blieb einer der Gedanken, und war Tags darauf auch schon wieder vergessen. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen, so funktioniert Gesellschaft, und weil der Attentäter von Norwegen das zumindest geahnt haben dürfte, investierte er volle 1500 Seiten um Sinn zu dokumentieren, wo keiner ist. Man kann das Nichts mit vielen Worten beschreiben, es bleibt dennoch nur Nichts. Nichts wurde gezeigt und nichts wurde bewiesen, Menschen sind sterblich, das wussten wir lange vor Utöya, Revolverkugeln sind tödlich, das wussten wir auch. Kein Held und kein Freiheitskämpfer weit und breit, daran ändern 1500 Seiten nicht das Geringste. Selbst diese 1500 Seiten sind im Grunde sinnlos, denn der Attentäter bedarf nicht der Schrift, um uns über seine Motive ins Bild zu setzen; anders als in früheren, ähnlich gelagerten Fällen, war er nämlich nur Manns genug, 86 Kinder in einem Ferienlager umzubringen, aber zu feige, um sich hernach selbst das Leben zu nehmen. 

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