Der norwegische Staatsanwalt hat recht:
„Aus Respekt vor den Toten und den Angehörigen muss der Täter für jede einzelne Tötung Rechenschaft ablegen.“
Und nicht nur aus Respekt vor den Toten und den Angehörigen, sondern auch um allen denen, die Breiviks Gesinnung etwas abgewinnen können, in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, um welch jämmerlichen Feigling es sich bei ihrem „Helden“ in Wahrheit handelt. Soll er sich hinstellen und erzählen, wie er mal um mal auf die flüchtenden Kinder geschossen hat, um sie niederzustrecken und danach, als sie verwundet und wehrlos am Boden lagen, per Kopfschuss umzubringen, eines nach dem anderen. Soll er für jeden einzelnen Fall, wo ihm die Tat johlendes Triumphgeheul entlockte, in eigenen Worten darlegen, warum so etwas nicht nur „grausam“ sondern auch „notwendig“ gewesen sein soll. Soll er für jedes einzelne Kind erklären, warum es im angeblichen Kampf gegen Kulturmarxisten und Islamisten sterben musste, obwohl es weder mit dem einen noch mit dem anderen in Verbindung zu bringen war. Soll er, der angebliche „Christ“ darlegen, warum er ausgerechnet die eigene Nation, zu deren Schutz er sich doch laut vorauseilender Legende aufschwingen wollte, um genau die Kinder beraubt, deren Ausbleiben in genügend großer Zahl er dem westlichen Feminismus gerade eben noch zum Vorwurf gemacht hat.
Ich bin sicher, dass am Ende einer solchen Sitzung vom selbsternannten Wächter des christlichen Abendlandes nicht mehr viel übrig bleiben wird, sondern sich Breivik als kleines Häuflein Elend herausstellt, das unter der größten aller Zumutungen der Moderne leidet: dem Universalismus und der Gleichheit aller Menschen. Während frühere Attentäter, die sich ihrer spezifischen Form von Megalothymia ergaben, aber Hegel und Nietzsche beim Wort nahmen und für die Realisierung ihres Traums von „Freiheit“ das eigene Leben hingaben, indem sie sich die letzte Kugel entweder für sich selbst aufsparten oder den eigenen Untergang von vornherein zum Bestandteil der Tat machten, reichte Breiviks Mut nur für 76 wehrlose Kinder in einem Ferienlager. Insofern also eine seltene Gelegenheit, bei aller Trauer um die Opfer, das „Böse“ einmal in seiner ganzen Banalität vorzuführen und jeglichen irrlichternden Charismas zu berauben.