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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Die Illusion der Geldillusion

| 23 Lesermeinungen

In der Serie „Wirtschaftsbücher" stellt die FAZ heute das neueste Werk der „Identity Economics" der Autoren Akerlof und Kranton vor. Darin geht es wohl einmal mehr gegen das neoklassische Postulat des „Homo oeconomicus", ein Thema, dessen sich George Akerlof schon in „Animal Spirits" gemeinsam mit Kollegen Robert Shiller angenommen hatte. Der Homo oeconomicus ist bekanntlich jenes kühl kalkulierende Fabelwesen, das über perfekte Information verfügt, außerhalb jeder Zeitdimension lebt und stets rational entscheidet. Der selige Friedrich A. Hayek zählte es bereits in seinen frühen Jahren zur „ökonomischen Folklore", eine Überzeugung, die zwischenzeitlich leider wieder verschütt ging. Implizit spukt der Homo oeconomicus noch immer durch die Modellwelten der Ökonomen, auch und vor allem deshalb, weil sie sich nur dank einer solchen Fiktion überhaupt modellieren lassen.

In der Serie „Wirtschaftsbücher“ stellt die FAZ heute das neueste Werk „Identity Economics“ der Autoren Akerlof und Kranton vor. Darin geht es wohl einmal mehr gegen das neoklassische Postulat des „Homo oeconomicus“, ein Thema, dessen sich George Akerlof schon in „Animal Spirits“ gemeinsam mit Kollegen Robert Shiller angenommen hatte. Der Homo oeconomicus ist bekanntlich jenes kühl kalkulierende Fabelwesen, das über perfekte Information verfügt, außerhalb jeder Zeitdimension lebt und stets rational entscheidet. Der selige Friedrich A. Hayek zählte es bereits in seinen frühen Jahren zur „ökonomischen Folklore“, eine Überzeugung, die zwischenzeitlich leider wieder verschütt ging. Implizit spukt der Homo oeconomicus noch immer durch die Modellwelten der Ökonomen, auch und vor allem deshalb, weil sie sich nur dank einer solchen Fiktion überhaupt modellieren lassen.

In der realen Wirtschaftswelt ist aber natürlich alles ganz anders. Darüber schreibe ich u.a. in meinem Buch „Ohne Schulden läuft nichts“, weniger mit Blick auf den Homo oeconomicus als solchen, sondern gegen die damit verknüpfte Vorstellung, reale, wirtschaftlich handelnde Akteure seien stets und überall Realtauschoptimierer. Meine These vielmehr: Die sogenannte „Geldillusion“ ist der Regelfall, nicht reale Nutzenfunktionen sind das entscheidende, sondern Geldgrößen. Money makes the world go round, wie Liza Minelli schon sagte. Jüngste Studien aus den USA belegen das: Demzufolge geben die Verbraucher deutlich mehr Geld aus, wenn sie auf ihren Einkaufstouren mit Kreditkarte bezahlen statt mit Bargeld – und zwar um sage und schreibe 40 Prozent mehr: „Konsumenten sind deutlich sparsamer, wenn sie mit Geld bezahlen, weil sie sich deutlich bewusst sind, wie viele Scheine sie aus ihren Brieftaschen ziehen“, kommentiert Sue Fogel, Vorsitzende des Instituts für Marketing an der Chicagoer DePaul Universität die Ergebnisse. „Wenn sie aber mit Kreditkarte bezahlen, dann wirkt der Bezahlvorgang weniger real. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass Konsumenten mehr ausgeben als sonst, wenn sich in ihrem Blickfeld überhaupt nur das Logo einer Kreditkartenfirma befindet“.

Wie rational klingt das? Unterstützen derartige Verhaltensweisen wirklich die These, dass nüchtern kalkulierende Verbraucher jegliche Marketingmanöver seitens Industrie und Handel durchschauen, und ihr Einkaufsverhalten so steuern, dass ihre reale Nettoposition gewahrt bleibt? Eine relativ neue Strömung in der Wirtschaftswissenschaft, die unter dem Begriff „Behavioral Economics“ verhaltenspsychologische Elemente in die Disziplin einführt, kommt zu dem Ergebnis: nein. Sie hat die Relevanz von Geldgrößen für ökonomische Entscheidungen anhand von Studien und Experimenten eindeutig nachgewiesen. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Personen, deren Gehalt um 2 Prozent erhöht wird, während die allgemeine Inflationsrate bei 4 Prozent liegt, sich finanziell besser gestellt fühlen, als wenn bei allgemeiner Preisstabilität ihr individuelles Gehalt um 2% reduziert würde. In einer anderen Studie wurden Probanden gefragt, sich zwei Personen vorzustellen: Carol und Donna. Beide sind, so die Vorgaben, in derselben Gegend aufgewachsen, machten zusammen den Schulabschluss und fanden danach gleichwertige Jobs in zwei Werbeagenturen. Carol startet mit einem Jahresgehalt von 36 Tausend Dollar, während das durchschnittliche Einstiegsgehalt in ihrer Firma bei 40 Tausend Dollar beträgt. Donnas anfängliches Gehalt beläuft sich auf 34 Tausend Dollar, womit sie deutlich über der üblichen Einstiegsvergütung ihrer Firma liegt, die nur 30 Tausend Dollar ausmacht. Mit anderen Worten: Carols Gehalt ist zwar deutlich höher als das von Donna, aber relativ zu allen anderen Berufseinsteigern in ihrer Firma liegt sie niedriger; Donna hingegen verdient nominell weniger als Carol, liegt damit aber noch immer weit über dem Durchschnitt dessen, was ihre Kollegen am Anfang verdienen.

Auf die Frage, welche der beiden sie als zufriedener mit ihrer beruflichen Situation einschätzten, antworteten 80% der Befragten: Donna. Und das, obwohl unter ansonsten gleichen Bedingungen der „relative Preis“ von Carols Arbeit deutlich höher liegt. Sie sich deshalb real auch mehr leisten kann. Und auf die Frage, welche der beiden Personen wohl eher ihren Arbeitgeber wechseln würde, um eine Stelle in einer anderen Firma anzunehmen, gab eine zweite Gruppe von Probanden die Antwort: Carol. Was ebenfalls darauf hindeutet, dass reale Güterverhältnisse in der ökonomischen Entscheidungsfindung keineswegs die Rolle spielen, die ihnen die herrschende Ansicht zuteilt. All diese Beispiele zeigen, dass die Menschen in einer Geldgesellschaft nicht in Realgrößen, sondern „in Geld“ denken. Sicherlich: Ausnahmen bestätigen die Regel. Klar. Aber wäre dem nicht so, dann erschiene es kaum erklärlich, weshalb sich um Fragen von Werbung und Verkaufsförderung eine ganze Beratungsindustrie herausgebildet hat, die in ihren Strategien auf psychologische und Wahrnehmungseffekte setzt.

Für seine bahnbrechenden Erkenntnisse auf diesem Gebiet, die eines Tages hoffentlich zu einer vollständigen Revision der aktuellen Lehrbuch-Ökonomie führen werden, erhielt einer der Protagonisten der Behavioral Economics, der israelische Psychologe Daniel Kahnemann im Jahr 2002 den Nobelpreis für Ökonomie. Und noch ein anderer Nobelpreisträger, der US Ökonom George Akerlof, setzte sich intensiv mit dem Thema auseinander: Er widmete der Geldillusion ein ganzes Kapitel im gemeinsam mit Kollegen Robert Shiller verfassten „Animal Spirits“ – dem Entwurf einer neuen, realitätsnähern Ökonomie. Darin verweisen auch sie auf zahllose empirischer Befunde, die klar darauf hindeuten, dass es in der modernen Geldwirtschaft tatsächlich ums Geld geht und nicht um reale Zusammenhänge. Ihr Fazit: „Wenn so viele Geschäfte auf der Basis nominaler Geldwerte abgeschlossen werden, dann können wir wohl kaum davon ausgehen, dass Geld nichts weiter sei als ein Schleier.“ Vor allem ein Hinweis in ihrer Beweisführung sollte stutzig machen: Noch nicht einmal die „High Rollers“, die Analysten, Börsenhändler und Fondsmanager, sind demnach offenbar willens oder in der Lage, die wahren Zusammenhänge zu durchschauen. Akerlof und Shiller kommentieren dahingehende Ergebnisse von Kollegen: „Die Frage lautet, ob die Aktienkurse eines Unternehmens seine inflationsbereinigten Gewinne widerspiegeln oder die entsprechenden Nominalwerte der Gewinne. Modiglianis und Cohns Ergebnissen zufolge gelingt es den Akteuren auf den Aktienmärkten nicht, den Schleier des Geldes zu durchschauen.“

Müßig hinzuzufügen, dass sich die Wirtschaftswissenschaft damit allmählich dem Niveau annähert, auf dem sich die Soziologie bereits mindestens seit den 70er-Jahren befindet. Ich selbst lese daher seit geraumer Zeit nur noch Soziologen, aber keine Ökonomen mehr. Der Schwenk könnte Konsequenzen haben, vor denen viele Jünger der Disziplin erschaudern werden; denn jegliche Vorstellung von „allgemeinem Gleichgewicht“ der Märkte ist dann passé. Schlecht für die Politik und ihre Heilsversprechen, und schlecht für die vielen „Experten“, die der Politik das akademische Futter für ihre Heilsversprechen verkaufen. 

 


23 Lesermeinungen

  1. HansMeier555 sagt:

    Wobei wir davon ausgehen...
    Wobei wir davon ausgehen dürfen, dass die Leute auch Geldmünzen lieber rauszurücken bereit waren als Naturalien wie Vieh, Saatgut, Kleider, Heizmaterial.

  2. egghat sagt:

    Endlich mal wieder ein...
    Endlich mal wieder ein Ökonomie Weissgarnix. Hatte schon Entzugserscheinungen …
    Mille Gracie!

  3. Nanuk sagt:

    Es ist aber auch ein Kreuz mit...
    Es ist aber auch ein Kreuz mit dir da schreibste im Handelsblatt alles öde… und nu fängt er doch wieder mit der Ökonomie an… ich geb dir nen Tip zu Animal Spirits.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Frans_de_Waal

  4. stroblt sagt:

    @Nanuk
    .
    Ich mache mir die...

    @Nanuk
    .
    Ich mache mir die Blogwelt, widiwidi wie sie mir gefällt…

  5. maxwell sagt:

    och so ein bisschen fehlen...
    och so ein bisschen fehlen strobls ergüsse schon…. :-/
    @wgn evtl ergänzend zum thema (und weil er Reader in Social Anthropology at Goldsmiths University London ist), hast schon
    https://www.nakedcapitalism.com/2011/09/david-graeber-on-the-invention-of-money-%e2%80%93-notes-on-sex-adventure-monomaniacal-sociopathy-and-the-true-function-of-economics.html
    gelesen?

  6. Devin08 sagt:

    Reales Phantasma, dennoch...
    Reales Phantasma, dennoch aufhebbar
    .
    Richtig! Als einen „realen Schein“, wenn auch „notwendigen“, benannte Marx dieses Phänomen, was da dem Geld anhänge, bzw. dem Markt schon an und für sich (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1774). Ein reales „Phantasma“, was das Kapital nämlich als Subjekt begleitet (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1825).
    .
    Dennoch, darauf begründet ein quasi notwendiges Konsumverhalten herzuleiten, scheint mir ein wenig abenteuerlich. Gewissermaßen ein Axiom der marxschen Kritik missbrauchend. Es ist ein Phänomen, kein Gesetz. Auch ich zahle mit Karte, mit Kreditkarte, per Überweisung. Doch vergesse ich dabei nicht meinen Kontostand. Man müsste schon ein ziemlich trivialer „Marktidiot“ (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1771) sein, um derart selbstvergessen, wie hier beschrieben, auf dem Markt zu agieren.
    .
    Natürlich steckt genau dort die Raffinesse, will heißen: das Moment der Verführung, im Umgang zwischen den Marktagenten. Aber was der Psychologie im Marktgeschehen anhängt, ersetzt noch lange nicht die handfesten ökonomischen Kategorien. Auch die Soziologie verkommt zu einer psychologisierenden Esoterik, wolle sie so die Politische Ökonomie, resp. deren Kritik ersetzen. Vielleicht mit ein Grund für, warum die Soziologie so was ist wie Marx light.
    .
    Und das ist es auch, worum es geht – die Kritik der Politischen Ökonomie. Die Kritik des realen Phantasma. Aber eben vor einem revolutionären theoretischen Horizont und nicht vor einem wieder selbstverblendeten.
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    Das Phantasma ist aufzuheben, aber nur außerhalb des Systems. Durch Überwindung des Systems. Darin liegt ja die ganze Bedeutung der marxschen Kritik. Dessen revolutionärer, subversiver Charakter. Daher ist ja auch Marx nicht anwendbar für die Politische Ökonomie des Kapitals. Nicht mal für die Aufgeklärtesten unter ihnen.
    .
    Und genau das nicht begreifen zu wollen, darin liegt das ganze Verhängnis einer Sozialdemokratie, die sich da von Marx wegbewegte.
    .
    Der Fetisch ist nur notwendig als Teil einer ökonomischen Bewegung, die sich quasi als Naturgesetzlichkeit (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1761) verhält. Demnach im Wesentlichen unbewusst abläuft.
    Nur in diesem, eben völlig unkritischen, Rahmen, verbleibt die Kritik der Illusion selber eine Illusion.

  7. Wußten doch schon die Inder...
    Wußten doch schon die Inder seit Gauthama Buddhas Zeiten: Über allem Sein liegt der Schleier der Maya.
    ..
    Die Inder waren sogar so schlau und hatten in der kleinen Handelsstadt Chittagong (Bangladesh) vor den Arabern die Null als Recheneinheit entdeckt: Mit „Nix“ rechnen, das ist die hohe Kunst des Seins.
    ..
    Es geht nicht um die Überwindung des Systems sondern um die Einhaltung der stinknormalen kaufmännischen Regeln und Tugenden, that´s it. Was will ich mit einem Revolutionär „der nichts anne Büx“ hat, sprich dem man nicht vertrauen kann?
    ..
    https://de.wikipedia.org/wiki/Maya_(Religion)

  8. mylli sagt:

    Schön und gut, übrigens ist...
    Schön und gut, übrigens ist Wirtschaftspolitik langweilig und anything goes oder kann wenigstens argumentiert werden.
    Wie aber transformieren wir unser System zur Star Trek Ökonomie? Der Geldillusion kann man dann ja noch immer im Holodeck frönen.

  9. Des Trading mid deni...
    Des Trading mid deni Illusionän, des is scho a so a Sach, net woahrr.
    Kimmt da Jaga mid´m Gweahr und schiasst des Batzerl (Göld) hi und hearr.
    https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/693978/Jagdgesellschaft_Geschaefte-unterm-Hochstand

  10. Kosinsky sagt:

    Das sagen die "Österreicher"...
    Das sagen die „Österreicher“ ja auch, dass es kein Gleichgewicht gäbe, sondern nur eine (auf diese Art wiederum stabile) Folge von Ungleichgewichten. Ist das ein verbindendes Element aller Nicht-Modellierer bzw. Ablehner der Modellierung eines homo oeconomicus?
    Dieses Modell wird ja oft als Modellierung an sich in den Erzählungen des Zeitgeists stark abgelehnt. Vielleicht sollte man es sich mal wieder näher ansehen und sagen: „Homo oeconomicus revisited“ statt „There is no such thing as economic modelling“. Man kann ja immer, gemäß der (vielleicht illusionären, aber erzählerisch wirksamen Vorstellung des Pluralismus) verschiedene Perspektiven bieten. Sozusagen (notwendigerweise am Mainstream-Hordentrieb kontrastiert) antizyklisch.

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