Place de la République

Wir lieben Fußball! Benjamin Biolay auch

Von der Place de la République ist es nicht weit zum „Studio de la Seine“. Dorthin hatte vor kurzem der Sänger Benjamin Biolay gebeten. Der Weg führt durch das schöne 11. Arrondissement, das eines der wenigen Viertel der Stadt ist, in dem es von allem noch etwas gibt, und nicht von einem sehr viel: Reiche und arme Menschen, Müll auf den Straßen und Schmuck in den Schaufenstern, Art Déco und Plattenbauten. Wer mit der Musik von Benjamin Biolay auf dem ipod hier durch läuft, wird feststellen, dass sie hervorragend zu dieser Gegend passt, weil sie genauso unentschieden ist. Unter der melancholischen Tristesse, die seine Texte durchzieht, unter den Pianoeinlagen und Streicherarrangements, die seinen Elektropo überlagern, verwandelt sich Paris in das ewige Eldorado all derer, die gern am Weltschmerz und an der Liebe erkranken: Paris, l‘amour, la Seine. Das ist es, was Benjamin Biolay in Frankreich (und auch in Deutschland) berühmt gemacht hat.

 
Endlich war da mal einer, dem man zum einen zutraute an die großen Chansonniers der Vergangenheit anzuknüpfen. Und der sich zum anderen wohltuend von dem absetzte, was die französische Musikszene in den achtziger und neunziger Jahren ausgemacht hatte: der New-Wave-Rock von Bands wie „Indochine“, „Téléphone“ und „Les Rita Mitsouko“ in den achtzigern. Und der immer lauter werdende, oft politische Hip-Hop von „MC Solaar“ oder „IAM“ in den neunzigern.

Im neuen Jahrtausend also kam Benjamin Biolay und besann sich scheinbar auf alte französische Tugenden. Als „Retter des französischen Chansons“ wurde er 2002 gefeiert, als sein erstes Album „Rose Kennedy“ herauskam. Als neuer Serge Gainsbourg wird er seither ständig gehandelt. Mit ihm entstand das, was man als „Nouvelle Scène Française“ bezeichnet hat: Musiker wie Marianne Dissard, Françoiz Breut, Keren Ann und Biolays Schwester, Coralie Clément, gehören dazu. Mehr als auf ihnen aber liegen die Hoffnungen auf 36 Jahre alten Biolay, der die Frage nach dem großen Meister Gainsbourg freilich schon längst nicht mehr hören kann. Und das kann man ja auch verstehen.

Es ist Abend, im „Studio de la Seine“ in der Rue Traversière sitzen ein Haufen Freunde von Biolay in einem kleinen Zimmer eng aneinander gedrängt auf einem Sofa. Es läuft Fußball. In dem angrenzenden kleinen, dunklen Studio, das proppenvoll gestellt ist mit allerlei technischem Gerät, lässt sich Biolay sofort in ein schwarzes Sofa fallen und zündet sich eine Zigarette an.
Serge Gainsbourg also. Am Anfang habe ihn das ja gefreut, dieser Vergleich mit dem Mann, den sie in Frankreich so sehr verehren. Am Anfang ist es wichtig, was die Leute über einen denken. Dann sei eine Zeit gekommen, in der es ihm unangenehm war und er es als erdrückend empfunden hat, in die Nähe dieser überlebensgroßen Figur gerückt zu werden. Aber mittlerweile sei ihm das alles „komplett egal“.

Gibt es denn andere Musiker in Frankreich, denen er auf Augenhöhe begegnet?
„Weiß ich nicht“, sagt Biolay. „Es ist mir auch total egal, wirklich. Ich will mich nicht wichtig machen, aber das ist mir vollkommen egal. Es gibt so viele, aber es ist alles schlecht.“
Was ist mit der „Nouvelle Scène Française“, von der so viel geredet wird?
„Die gibt es nicht. Das ist ein Marketingbegriff, den sich die Plattenfirmen ausgedacht haben.“
Und seine eigene neue Platte, die er gerade aufnimmt – was darf man von ihr erwarten?
Benjamin Biolay zündet die selbst gedrehte Zigarette wieder an, die zwischendurch ausgegangen ist. Er sei erst am Anfang, sagt er. Bis auf ein paar Noten gebe es noch nichts. Und man weiß nicht recht, ob man jetzt widersprechen soll und ob das überhaupt etwas bringen würde. Denn es gibt Menschen in seiner Umgebung, die sagen, dass er schon lange an diesem neuen Album sitzt (sein letztes „Tresh Yéyé“ ist sehr gut angekommen; die beiden davor aber – „Home“ und „A l‘origine“ – verschwanden weitgehend ungehört in der Versenkung). Acht neue Lieder sollen schon fertig sein, heißt es, aber davon will Benjamin Biolay offenkundig nicht reden. Nur soviel: Die neue Platte soll dunkler werden, „plus urbain“, ein paar Hip Hop-Einflüsse aufweisen, „ein bisschen Pop, ein wenig Rock“.

 
Das ist natürlich etwas vage, und Benjamin Biolay weiß das sehr gut, aber an diesem Abend ist es ihm einfach „egal“. Das könnte natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass es sich um jenen denkwürdigen Abend handelt, an dem eine deutsche Fußballmannschaft in einer spanischen Stadt vorgeführt bekommt, was es heißt, europäischen Spitzenfußball zu spielen. Benjamin Biolay mag Fußball sehr gerne, und deswegen kommt jedes Mal, wenn wieder ein Tor gefallen ist, ein Freund herüber und gibt die neuesten Ergebnisse durch. Drei-null. „C‘est pas possible“ (Nicht die Möglichkeit), sagt Biolay. Vier-null. „C‘est un désastre (Ein Desaster).“ Und spätestens jetzt wird hier allen klar, dass das vielleicht einfach kein guter Tag ist, um mit Benjamin Biolay über Musik zu sprechen.

Reden wir also über Fußball.
„Ich bin Fan von Lyon“, sagt Biolay. „Aber wir sind ja schon ausgeschieden. München mag ich nicht.“ Warum nicht? „Ihr Fußball ist nicht schön anzusehen. Ich mag Franck Ribéry, aber nur weil er in München spielt, ist das nicht meine Lieblingsmannschaft. Luca Toni mag ich auch, aber er schießt keine Tore mehr.“
Früher, oder jedenfalls in älteren Interviews, die Benjamin Biolay gegeben hat, hatte er sich immer wieder und zum Teil auch recht energisch zur Politik geäußert – anders als in seinen Liedern, in denen es meist um die Liebe geht, um was sonst. Er hat dennoch leidenschaftlich über Nicolas Sarkozy geschimpft und Jacques Lang gelobt, unter dessen Ägide die kulturelle Szene Frankreichs ihre letzte echte Blütezeit erlebt haben soll. Also, versuchen wir‘s: Haben sich die Dinge für Künstler in Frankreich heute verändert?
Biolay liegt regungslos auf dem schwarzen Sofa. „Non.“ Non? „Non.“

Und dann kommt auch schon wieder der Freund herein und sagt: „Halbzeit.“ Ein Tor von Henry, eines von Meto. „Eto‘o“, sagt Biolay. Naja, und zwei von Messi. Das war‘s.
Sie werden noch ein Tor kassieren, sagt der Freund.
„Noch zwei“, sagt Biolay. „Weißt Du, was passieren wird? Siebzehn Minuten lang werden sie die Bayern spielen lassen. Und danach werden sie sie zusammenfalten. Die armen Bayern.“
Und dann dreht er sich noch einmal herum und sagt: „Wissen Sie, ich bin auch politisch. Ich mag Fußball und Sex, aber ich rede nicht davon in meinen Liedern.“ In seinen Liedern finde sich eben nur ein Teil von ihm wieder, aber nicht alles, Gott sei Dank. „Meine Musik ist etwas raffinierter, als ich es bin“, sagt er. „Das war schon immer so.“

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