Neulich, es war einer dieser schönen Frühlingsabende, die in Paris einfach immer noch ein bisschen schöner sind als andernorts (ganz gleich, ob das nun kitschig klingt) – neulich abends hatte sich vor dem Théâtre du Châtelet eine etwas größere Menschenmenge versammelt. Die Menschen waren gut angezogen, sie sahen fröhlich aus und sie standen so dicht beieinander auf dem Trottoir, dass man sie fragen musste: Was ist denn hier los? „Wagnääähr“, sagte eine Frau und neben ihr stand ein Mann, der sich ein Schild vor die Brust hielt: „Cherche ticket“, stand darauf, ich suche ein Ticket. Die Franzosen mögen Wagner, das ist bekannt. Wenn eine seiner Opern an der Opéra de la Bastille aufgeführt wird, dann sind die Karten meist sehr schnell weg. Am Théâtre du Châtelet wurde an diesem Abend ein frühes Werk von Wagner geboten, es hieß „Die Feen“. Die sechs Vorführungen, die es gab, waren sofort ausverkauft.
Und obwohl es um Wagner geht, muss man sich darüber doch wundern, denn eigentlich klagt ja ganz Paris über „la crise“. Die Restaurantbesitzer vor allem, die schon seit geraumer Zeit jammern, die Pariser würden sich mittags zum Essen nicht mehr hinsetzen. Stattdessen würden sie Sandwiches kaufen, sich eine Parkbank suchen (eine Parkbank?) oder ihr Essen gleich im Gehen verzehren. Aber auch die Bistrotbesitzer klagen, weil niemand mehr nach Feierabend verweilen will in ihren Bars, was sie aber nicht auf das geltende Rauchverbot zurückführen, sondern auf die gesunkene Kaufkraft der Franzosen.
Sollte also die Kultur die einzige Branche sein, die von der Krise unberührt bleibt? Es gibt in Paris in diesem Frühjahr ja mal wieder so viele Theater-, Opernvorführungen und Kinopremieren, dass man sehr schnell nicht mehr weiß, wohin man als erstes gehen soll. Und wie in jedem Frühjahr wird Paris von Ausstellungs-Blockbustern geflutet: „Chirico“ im Musée d‘art moderne de la Ville de Paris, „Andy Warhol“ im Grand Palais, „Calder“ und „Kandinsky“ im Centre Pompidou, „William Blake“ im Petit Palais, „Oublier Rodin“ und „Voir l‘Italie et mourir“ im Musée d‘Orsay, „Lippi“ im Musée du Luxembourg, die Fotoausstellung „Controverses“ in der Bibliothèque nationale de France und zu guter letzt „Le siècle du jazz“ im Musée du quai Branly.
Aber die Zahlen sind schlecht: Zehn Prozent weniger Besucher meldet das Centre Pompidou im ersten Trimester 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. 13 Prozent weniger Menschen haben im Januar das Musée d’Orsay besucht als im gleichen Monat des Jahres 2008, und die Ausstellung „Voir l’Italie et mourir“ haben bis Mitte Mai rund 40.000 Besucher gesehen, was nicht schlecht ist, aber eben auch nicht gut. Der Blick auf die Straße hatte trotzdem einen anderen Eindruck vermittelt. Man hatte sich noch gewundert, woher die vielen Menschen die Geduld nehmen, sich in die lange Schlange vor dem Haydn-Konzert in der Eglise Saint-Eustache einzureihen oder sich am Ende der fast fünfzig Meter messenden Schlange vor dem Centre Pompidou anzustellen. Am Ende sind sie alle arbeitslos? Für Arbeitslose ist der Eintritt in die Pariser Museen ja meist umsonst.