Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Im Sommer

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Es ist Sommer.In Paris werden die Ladenbesitzer jetzt langsam, einer nach dem anderen, die Gitter vor ihren Schaufenstern herunterlassen. An die Eingangstüren...

Es ist Sommer.

In Paris werden die Ladenbesitzer jetzt langsam, einer nach dem anderen, die Gitter vor ihren Schaufenstern herunterlassen. An die Eingangstüren werden sie Schilder hängen, auf denen steht: Ich bin erst Ende August wieder da! Paris wird sich allmählich in eine Geisterstadt verwandeln, in der nur noch die leben, die wirklich arbeiten müssen oder die, die glauben, man könnte hier im Sommer einen schönen Urlaub verbringen. Urlaubende Franzosen werden nicht zu sehen sein. Franzosen fahren an den Strand.

Ich war das letzte Mal im vergangenen Sommer am Strand, in Saint-Girons am Atlantik. Damals fiel ich sofort in diesen besonderen Rhythmus, der sich hier im Sommer über alles legt, was sich bewegt: ausschlafen, den Mittag verdösen, nachmittags an den Strand gehen, nach drei Stunden wieder zurückkehren, etwas essen und zum Sonnenuntergang wieder an den Strand gehen. Erst nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass die Tage der anderen, zigtausend Touristen, die sich neben mir an der Atlantikküste aufhielten, genau demselben Gleichmaß folgten. Und dass diese Menschenmassenbewegung aus der Luft wahrscheinlich ausgesehen hat, als wären wir alle zusammen eine riesige Welle, die sich in regelmäßigen Abständen vom Landesinneren auf das Meer zu bewegt, um sich bald wieder zurückzuziehen.

Wie ich Teil dieser Welle geworden bin, weiß ich nicht mehr. Es kam einfach so, und es war ja auch gar nicht unangenehm. Das Gleiten von einem Rhythmus in einen anderen ist wohl das, was man als Urlaub bezeichnet. Das Bemerkenswerte daran ist nur, wie schnell der neue Rhythmus nicht nur den Körper beherrscht, sondern auch den Geist. So saß ich eines Abends mit ein paar Franzosen zusammen, wir sprachen über das Meer, den Sand und den Süden. Man stellte fest: Die Russen sind an der Côte d’Azur. Genau dasselbe hatte man schon in dem Jahr davor und auch in dem davor bemerkt, aber es ist eine Beobachtung, die in Frankreich mit schöner sommerlicher Regelmäßigkeit gemacht wird, und auch mir in diesem Moment wieder der Rede wert schien. Die Russen also.

Nach den Deutschen, die die Vorzüge der Provence und der Küste nach Wahrnehmung meines französischen Freundes Cyrille mit Vorliebe auf dicken, schwarzen Motorrädern erkundeten, kamen zunächst die Touristen aus Italien und nun eben die aus Russland. Dabei war es bisher meist so, dass Franzosen, die von der Ankunft der fremden Völker erzählten, zugleich stolz und leidend wirkten. Stolz, weil das Land so schön ist, dass es all diese Menschen anzieht. Und leidend, weil man es dann eben nicht mehr für sich hat, sondern es teilen muss mit plumpen Deutschen, näselnden Italienern oder neureichen Russen.  

Vielleicht wird man in einigen Jahren sagen, dass diese Zeit des ungetrübten Lästerns eine schöne Zeit gewesen sei. Denn sowohl am Atlantik als auch an der Côte d’Azur ist schon zu hören, dass in diesem Sommer einiges anders sein wird. Die Frage lautet zwar abermals: Ob wohl auch die Russen kommen an unsere Côte d’Azur? Aber als ich diese Frage das letzte Mal hörte, diesmal aus dem Mund von Philippe, einem Barbesitzer in Marseille, da klang sie gar nicht mehr wie früher. Sie klang nicht mehr wie eine erstaunte, irgendwie hochmütige und im Grunde ohnehin rhetorische Frage. Sie war formuliert wie eine bange Hoffnung. 

Denn in einem Land, in dem einfache Arbeiter zum Beispiel in Châtellerault damit drohen, ihre Fabrik in die Luft zu sprengen, oder in Villemur-sur-Tarn ihre Chefs nicht mehr freilassen wollen, oder in Bogny-sur-Meuse ankündigen, Salzsäure in die Meuse zu kippen, wenn man sie nicht angemessen entschädigen würde dafür, dass man ihre Fabriken schließt und ihnen die Arbeitsplätze wegnimmt – in diesem Land lernt man eben allmählich diejenigen schätzen, von denen man annimmt, es könnte ihnen noch besser gehen als einem selbst.

Es ist Sommer in Frankreich. Und es geht los.


1 Lesermeinung

  1. dunnhaupt sagt:

    Nanu, war das wirklich...
    Nanu, war das wirklich Nicholas Sarkozy, der gestern mit blauweißroten Sneakers und schwarzer Turnhose bekleidet in New Yorks Central Park umherjoggte? In der Tat, beide Sarkozys verbringen ein sommerliches Weekend so locker, wie man es als Präsident der Republik eben darf, ohne allzu sehr aufzufallen.

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