Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Black Box Studium

Jetzt sind die Studenten auf die Straße gegangen, das ist sicher gut so. Die Zeit, in der ich noch Studentin war, ist ja noch nicht allzu lange vorbei und ich...

Jetzt sind die Studenten auf die Straße gegangen, das ist sicher gut so. Die Zeit, in der ich noch Studentin war, ist ja noch nicht allzu lange vorbei und ich weiß noch genau, dass ich die Uni vor ein paar Jahren mit dem Gefühl verließ, gerade noch rechtzeitig fertig geworden zu sein. Nach uns, so hörte man, würden irgendwelche „geburtenstarken“ Jahrgänge die ohnehin schon rammelvollen Säle stürmen, Studiengebühren würden erhoben, Bologna würde kommen und noch schlimmer machen.

Wenn ich Bologna höre, stelle ich mir immer vor, dass es an den Unis in Deutschland jetzt so zugeht wie an denen in Frankreich. Ich erinnere mich sehr gut, dass ich mit den Nerven schon am Ende war, als von meinem ersten Semester in Paris erst drei Wochen vergangen waren. Eine Lektüreliste, wie ich sie in Deutschland noch nie gesehen hatte, ein Zahl an Referaten, Klausuren und Hausarbeiten, wie sie mir in dem angepeilten Zeitraum ebenfalls noch nie abverlangt worden waren, ließen mich an den Worten unseres Professors zweifeln, der behauptete, viele seiner deutschen Studenten würden sich nach einem Jahr entscheiden, in Paris zu bleiben und ihr Studium dort zu beenden. Er wollte uns Mut machen.

Und ganz Unrecht hatte er nicht. Später sollten sich die gestellten Aufgaben als lösbar erweisen, auch wenn sie kaum Raum und Zeit für andere Dinge ließen. Nicht selten gaben uns Dozenten den Rat, dieses oder jenes weiterführende Werk zu lesen, für den Fall, dass sich jemand mit dem behandelten Thema intensiver auseinandersetzen wollte. Allein, dafür fehlte schlicht die Zeit. Einmal hat mich unser Professor gefragt, was ich denn privat gerade für ein Buch lesen würde, und ich dachte, das solle jetzt wohl ein Witz sein, aber er meinte das ernst, und so log ich, ich hätte ein Werk von Amos Oz auf dem Sofa liegen. Etwas Französisches war mir auf die Schnelle nicht eingefallen.

Allerdings muss man sagen, dass ich im Vergleich zu anderen Studenten in Paris noch ein angenehmes Leben führte. Mein Studium galt auch in Frankreich als Orchideenstudium. Meine Freundin Hélène aber studierte Medizin und war in einem Maße eingespannt, das mir noch viel unwürdiger vorkam als alles andere. Neben ihren Seminaren hatte sie jede Woche ein oder zwei Nachtdienste im Krankenhaus zu absolvieren, das waren Nächte, in denen sie gegen vier Uhr morgens ins Bett kam. Und trotzdem muss man zugeben, dass sie bei keiner wichtigen Party gefehlt hat, dass sie ins Kino ging und Ausstellungen besuchte, dass sie zwar manchmal einschlief, wenn sie längere Zeit still sitzen musste, aber auch immer hellwach war, wenn es aufregend wurde. Sie verfiel nie ins Klagen, wenn sie über ihr Studium sprach, sie hatte wohl nicht den Eindruck, dass es irgendwie unmenschlich sei. Sie fügte sich mit dem guten Glauben in die Arbeit, später dafür belohnt zu werden. Einmal sagte sie: Jetzt studiere ich – „et après ça sera la vie!“ Und danach beginnt das Leben. Dagegen zu streiken wäre ihr niemals in den Sinn gekommen.

Vielleicht, weil sie nicht ahnen konnte, dass das Leben nach dem Studium auch für Ärzte in Frankreich nicht mehr halten würde, was sie sich damals noch davon versprach. Vermutlich aber auch, weil sie gar nicht anders konnte, als sich in dem System zurechtzufinden, in dem sie aufgewachsen und an das sie gewohnt war. Von uns deutschen Studenten ist nach einem Jahr jedenfalls wirklich der ein oder andere in Paris geblieben. Und von dem vielen auswendig gelernten Kram über die französische Geschichte, das politische System undsoweiter war auch nicht alles ganz ohne Nutzen. Natürlich – hätte man noch einen winzigen Platz für Amos Oz frei gehabt, es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein.