Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Ganz Paris träumt von Berlin

Man trifft im Paris dieses Spätherbstes sehr viele Menschen, die sagen, Berlin sei die kulturelle Hauptstadt Europas, nicht etwa Paris, denn Paris sei so...

Man trifft im Paris dieses Spätherbstes sehr viele Menschen, die sagen, Berlin sei die kulturelle Hauptstadt Europas, nicht etwa Paris, denn Paris sei so museal. Berlin dagegen sei „innovativ, kreativ und frei“, wie es die Kulturzeitschrift „Les Inrockuptibles“ formuliert hat. In einem umfangreichen Dossier anlässlich des Mauerfalls vor zwanzig Jahren war in der Zeitschrift zu lesen, dass praktisch sämtliche Kunst auf den Trümmern der Vergangenheit in Berlin zu neuer Blüte gelangt sei. Berlin sei außerdem so angenehm, weil dort beispielsweise niemand nach seiner Arbeit bewertet werde, weil man auch nicht als Verlierer gelte, wenn man gar keine Arbeit hätte und weil es sich dort einfach weit besser wohnen lasse als in Paris.

Ganz neu ist das nicht: Schon seit einigen Jahren erkunden französische Kulturschaffende die deutsche Hauptstadt, schon seit langem beispielsweise die Schriftstellerin Cécile Wajsbrot und seit kurzem etwa Marie N’Diaye. Man mag das hierzulande ebenso erstaunlich wie erfreulich finden, sollte aber wohl doch bedenken, dass sich das Interesse vor allem auf Berlin bezieht, weniger auf ganz Deutschland. Die einzige und beinahe unbemerkt gebliebene Ausstellung in Paris, die sich den Geschehnissen im Herbst 1989 widmet, ist denn auch in weiten Teilen eine Huldigung an die deutsche Hauptstadt. 

In seinen kleinen, nur rund zweihundert Quadratmeter messenden Räumen in einer Ecke des sonst so großzügigen Hôtel des Invalides sucht „Berlin – L’effacement des traces“ nach den Spuren der untergegangenen DDR. Denn, so schreiben die Kuratoren Sonia Combe, Thierry Dufrêne und Régine Robin, in ihrem Katalog, Berlin sei eine Stadt, die viel Neues auf dem Brachland geschaffen habe, das ihr die Wiedervereinigung zukommen ließ. Gleichzeitig aber sieht man die Zerstörung der Mauer gleich nach deren Öffnung als Metapher für all das, was in den zwanzig Jahren nach der Wende in Berlin ebenfalls verschwunden sei: nicht nur die Erinnerungen an ein Unrechtsregime, sondern beinahe sämtliche Spuren des alltäglichen Lebens in einer anderen Kultur.

Bild zu: Ganz Paris träumt von Berlin

Jean-Claude Mouton, Berlin 1990, série „Berlin no man’s land, 1989 – 2009“. © Jean Claude Mouton, Traces du Mur

Die Gewissenhaftigkeit, mit der diese Spuren in Berlin beseitigt worden sind, bezeichnen die drei französischen Historiker als „Leugnung einer Realität“ und als „pauschale Delegitimierung der DDR“. Die Ausstellung im Musée d’histoire contemporaine will deswegen nicht zeigen, was im November 1989 in Berlin passierte, sondern, was in den zwanzig Jahren danach geschehen ist. Sie stützt sich dabei vor allem auf das Werk des französischen Fotografen Jean-Claude Mouton, der damals in Berlin lebte und die Mauer kurz nach ihrem Fall fotografierte, als es den verminten Todesstreifen und die Wachtürme noch gab. Mouton ist dann jedes Jahr nach Berlin zurückgekehrt und hat immer wieder Bilder von der Mauer gemacht oder von dem, was in der Zwischenzeit aus ihr geworden war: ein Abstellplatz für schrottreife Autos, ein Ort, an dem sich die Natur zwischen verfallenen Häusern ihr Recht erkämpfte, später Baustellen und dann natürlich der Potsdamer Platz.

Bild zu: Ganz Paris träumt von Berlin

Jean-Claude Mouton, Berlin 1992, série „Berlin no man’s land, 1989 – 2009“. © Jean Claude Mouton, Traces du Mur

Der steht auch im Zentrum der Bilderserie „Berlin, l’été“, die der Fotograf Bernard Plossu im Jahr 2005 gemacht hat. Seine Fotos zeigen Ausschnitte der schon fertigen Gebäude, zwischen denen einzelne Autos und Menschen auf verlorenem Posten stehen. Diese Einzelgänger inmitten des grauen Betons verleihen den Bildern des Potsdamer Platzes jene Aura von Einsamkeit und Überdimensionalität, die ihn nach verbreiteter Meinung noch heute auszeichnet. Umso erstaunlicher ist es für den deutschen Besucher, die kleine Tafel zu lesen, die neben dem Werk von Plossu hängt, und erklärt: Der neu gestaltete Potsdamer Platz sei „atemberaubend“. Man habe dort nach der Wende ein kleines Manhattan mit „eleganten Wolkenkratzern“ entstehen sehen, die dem Viertel ein neues Gesicht geben. 

Man hat den Eindruck, dass es gerade der morbide Charme des Zusammengekrachten und hoffnungslos Heruntergekommenen war, den Ost-Berlin nach der Wende auszeichnete und der die Macher der Ausstellung so fasziniert hat, ohne dass man der DDR deswegen nachtrauern würde. Die Pariser Historikerin Sonia Combe war selbst bei ihren früheren Reisen in die DDR von der Stasi bespitzelt worden. Was sie in ihrer Ausstellung trotzdem bedauert, ist die Art, mit der alles Andenken an die DDR später vernichtet wurde.

Womöglich hat man sich deshalb dazu entscheiden, den etwas peinlichen Beitrag des südafrikanischen Soundkünstlers James Webb auszustellen. Webb hat eine im Gründungsjahr der DDR geborene Frau mit zartem Stimmchen im alten Funkhaus an der Berliner Nalepastraße a capella die Hymne der DDR singen lassen. Sie hallt nun in einer Endlosschleife durch die Pariser Ausstellungsräume. Der Besucher hört sie auch noch, wenn er vor dem kleinen Kuriositätenkabinett steht, in dem all die kleinen Dinge aufgereiht sind, die im Alltag der DDR-Bürger eine Rolle gespielt haben sollen: Bücher von Christa Wolf, Christoph Hein, Marx und Engels, Schallplatten von Helga Hahnemann und den Puhdys, FDJ-Ausweise und ein Stück der Mauer. Das sieht aus wie die Auslage in einem dieser Souvenirläden, in denen man heute Ost-Accessoires kaufen kann. Aber so ist es nicht gemeint: Man wolle hier weder Schrecken verbreiten noch sich lustig machen, sondern lediglich zeigen, was das Leben in der DDR prägte, sagt Sonia Combe.

Dazu gehört natürlich auch der Palast der Republik, dessen Demontage in einer feinen Film-Dokumentation von Dominique Treilhou gedacht wird. Genauso wie das Verschwinden gewisser Straßennamen in Ost-Berlin (die Hans-Beimler-Straße wurde zur Otto-Braun-Straße, die Dimitroff-Straße zur Danziger Straße) wird der abgerissene Palast als Beispiel dafür gesehen wird, wie in Berlin nach dem Mauerfall eine Ideologie einfach die andere ersetzt hat. Das mag auf deutsche Besucher wie eine sehr eigenwillige Interpretation der Vorgänge wirken. Man könnte das aber auch als Einladung verstehen, einmal einen anderen Blick auf die DDR zu werfen. Und dass dieser Impuls aus Frankreich kommt, wäre dann doch eine bemerkenswerte Fußnote.

Bild zu: Ganz Paris träumt von Berlin

Patrick Pinter, dit Pinter. Karl Marx: „Juste quelques emplettes…et je rentre !“. France, 13 novembre 1989. Dessin original, coll. BDIC

Berlin – L’effacement des traces. Musée d’histoire contemporaine; bis 31. Dezember. Der Katalog kostet 24 Euro.