In diesen Tagen ist im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Ausstellung zu sehen, die sich mit den Fremden beschäftigt. „Bilder von den ‚Anderen‘ in Deutschland und Frankreich nach 1871“, so lautet der Untertitel. Und wer nun erwartet hat, jene Bilder wieder zu sehen, die den früheren „Erbfeinden“ vom jeweils Anderen vorschwebten, wer etwa haufenweise Karikaturen von Uhren klauenden Preußen mit Pickelhaube oder jammervollen gallischen Hähnen auf Misthaufen sehen wollte, der wird in dieser Ausstellung nicht recht fündig. Das ist die erste schöne Überraschung.
Diese Ausstellung versucht vielmehr, die deutsch-französische Bildergeschichte einmal zu erweitern und in einen europäischen Kontext zu stellen. Sie zeigt beispielsweise, welches Bild sich die Franzosen in der III. Republik von den Algeriern machten, von den Juden, den Zigeunern und auch den Engländern. Das ist zwar nicht neu, deswegen aber auch nicht uninteressant. Daran zu erinnern, dass manche Karikaturisten die westlichen Länder Europas zwischen den Jahren 1870 und 1950 immer wieder auch in eine Reihe stellten, und zwar immer dann, wenn es darum ging, auf Gefahren zu verweisen, die größer schienen als die Antipathie untereinander, ist jedenfalls ein lohnendes Unterfangen. So sind gleich mehrere Karikaturen im DHM zu sehen, die den Erzengel Gabriel zeigen, der die französische Marianne, die deutsche Germania und die englische Brittannica mal vor der „Gelben Gefahr“ aus Asien, dann vor den Juden und später vor dem osteuropäischen Kommunismus warnt. Die Idee zu diesem Motiv stammte übrigens von Wilhelm II.
Ebenfalls nicht neu, aber in diesen Tagen wieder einmal aufschlussreich, ist es zu sehen, wie sich „der Fremde“ in allgemeiner Wahrnehmung immer dann in einen Bösen verwandelte, wenn es den Menschen wirtschaftlich nicht gut ging. In Deutschland etwa um 1890, als im Ruhrgebiet der Hass auf die „Ruhrpolen“ um sich griff, jene oft polnisch sprechenden Bewohner der ostpreußischen Provinzen, die an der Ruhr nach Kohle gruben. In Marseille wehrten sich französische Arbeiter wenige Jahre später ebenfalls in wirtschaftlich schwieriger Zeit gegen das „Lohndumping“, das die italienischen Einwanderer in ihren Augen betrieben. Im Jahr 1893 eskalierte der Streit dann im südfranzösischen Aigues-Mortes, als Franzosen Italienern vorwarfen, ihnen in den Salinen die Arbeit wegzunehmen, sie durch die Straßen des Ortes jagten und einige von ihnen töteten.
Natürlich ist im weiteren Verlauf der Ausstellung dann auch von den bekannten Feindbildern des Ersten Weltkrieges die Rede, von den katastrophalen Auswüchsen des Antisemitismus während des Zweiten Weltkrieges, von den „Gastarbeitern“, die der Bundesrepublik später eine Integrationsdebatte brachten, von den nordafrikanischen Immigranten, die in Frankreich für ähnliche Diskussionen sorgten. Und nach all dem wird klar, dass es gar keine Antwort auf die Frage geben kann, wer denn der „Fremde“ nun eigentlich sei. Das Bild des Fremden ist – zumindest so, wie es diese Ausstellung zeigt – immer eng gekoppelt an gesellschaftliche und historische Kontexte, die einen gehörigen Einfluss darauf haben, zu welcher Zeit der Fremde exotisch und faszinierend wirkt, wann unbekannt und bedrohlich und wann beides.
Wie wichtig es daher ist, miteinander in Kontrakt zu treten, ist natürlich längst allen klar, und gerade Deutschland und Frankreich haben hier in den vergangenen Jahrzehnten enorm viel geleistet, wie man nicht nur in der Ausstellung in Berlin sehen kann. Auch neulich in Paris erzählte ein Herr, der sich beruflich seit mehr als zwanzig Jahren um die deutsch-französischen Beziehungen bemüht, man müsse künftig einmal versuchen, auch die „normalen Leute“ für das jeweils andere Land zu interessieren. Er selbst und seine Mitstreiter seien schließlich nicht normal. Er sei sicher, dass die Franzosen den Deutschen weiterhin auf die Nerven gingen, und auch die Art der Deutschen ginge ihm allzu oft unendlich gegen den Strich. Wenn er nach Deutschland reise, dann gehe er jedenfalls immer bei Rot über die Straße, nur um die Deutschen zu ärgern. Und wenn das nun das Ergebnis seiner langen Bemühungen um den Fremden sein sollte, dann klingt es doch, als sei aus ihnen mittlerweile eine wunderschöne Liebesbeziehung entstanden.
Die Ausstellung „Der Fremde. Bilder von den ‚Anderen‘ in Deutschland und Frankreich nach 1871″ ist noch bis zum 21. Februar im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.