Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Generalstände der Nacht

Irgendwann reicht es einfach. Es reicht. Es kann ja nicht angehen, dass man in Paris jetzt nicht mal mehr tanzen darf, ohne Gefahr zu laufen, von...

Irgendwann reicht es einfach. Es reicht. Es kann ja nicht angehen, dass man in Paris jetzt nicht mal mehr tanzen darf, ohne Gefahr zu laufen, von Behördenvertretern wegen unerlaubten Bewegens zu rhythmischer Musik verwarnt zu werden. Ja, es geschehen wieder sehr seltsame Dinge in Paris.

Wann es genau angefangen hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Fest steht aber, dass sich die Barbesitzer, die Betreiber von Klubs, Konzertsälen und Diskotheken in Paris zunehmend gegängelt fühlen, seitdem in Frankreich das Rauchverbot in allen öffentlichen Plätzen eingeführt wurde, also seit dem 1. Januar 2008. Seitdem müssen alle Menschen – wie andernorts auch – zum Rauchen vor die Türen gehen. Weil das mitunter sehr viele Menschen sind, weil es ohne die Raucher im Inneren der Bars irgendwie langweilig wird und dann auch die Nichtraucher auf die Straße treten, wird es dort zuweilen recht voll. Und dass das zu Konflikten mit Anwohnern führen kann, die sich durch den Lärm gestört fühlen, weiß man nicht nur aus Paris. Hier aber verläuft das Bemühen um einen Ausgleich zwischen den Interessen anders als andernorts. Es verläuft so, wie wir es aus Frankreich gewohnt sind: Erst läuft man Sturm, dann wird verhandelt. 

Nach gutem revolutionärem Vorbild haben deswegen einige Klubbesitzer nicht weniger als die Einberufung der „Etats généraux de la nuit“, also etwa der Generalstände der Nacht gefordert, um das Problem zu lösen. In einer Petition mit dem schönen Titel „Quand la nuit meurt en silence“ (Wenn die Nacht in aller Stille stirbt) klagen sie ihr Leid. Eric Labbé, Besitzer des Plattenladens „My Electronic Kitchen“ in der Nähe des Centre Pompidou, und sein Freund Matthieu Jaussaud, der für „Technopol“ arbeitet, eine Vereinigung, die sich um die Verbreitung elektronischer Musik bemüht, schreiben: „In den vergangenen zehn Jahren haben die Pariser Nachtklub- und Barbesitzer einen hohen Preis gezahlt, um dem wachsenden Bedürfnis der Pariser nach Ruhe gerecht zu werden.“ Die Bestimmungen zur Nachtruhe und zum Nichtraucherschutz seien aber geeignet, „der Ville Lumière den Rang der europäischen Hauptstadt des Schlafes zu verleihen.“

Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang auch eine Studie, die Studenten der „Ecole de guerre économique“ im Sommer des vergangenen Jahres veröffentlicht haben. Ihrzufolge ist das Nachtleben von Paris schon lange nicht mehr so attraktiv wie jenes in Berlin, Barcelona, London oder Amsterdam, was unter anderem daran liege, dass die Metro teuer sei und schon um ein Uhr nachts den Betrieb einstelle, dass es an Taxis mangele, an Orten, die für Experimente zur Verfügung stünden, sowie eben an einer Gesetzgebung, die den Nachtklubbesitzern das Geschäft nicht erschwere, sondern erleichtere. 

In diese Kerbe hauen auch die Verfasser der Petition. Innerhalb von nur sechs Tagen haben mehr als zehntausend Sympathisanten ihre im Internet verbreitete Klageschrift unterzeichnet. Die Betreiber des legendären Klubs „Bataclan“ sind ebenso dabei wie die Besitzer des „Baron“ oder der „Panic Room Bar“ in der Rue Amelot. Dort befindet sich auch die Bar „Mécanique Ondulatoire“, die im vergangenen Jahr wegen unerlaubten Tanzens eine Verwarnung erhielt und dann wegen Lärmbelästigung vorübergehend geschlossen werden musste – „fermeture administrative“ heißt das im Fachjargon. 

Denn in Paris werden alle Etablissements, die nachts geöffnet haben, in drei Kategorien unterteilt. Für sie gelten unterschiedliche Regeln. Man unterscheidet klassische Bars, in denen nicht mehr als fünf Konzerte im Jahr gegeben werden dürfen. Des weiteren gibt es Bars, die zwar so viele Konzerte veranstalten dürfen, wie sie mögen, in denen aber das Tanzen verboten ist. Zu diesen Orten zählen unter anderem das „Bataclan“ und das „Olympia“. Vor allem in Letzterem auftreten zu dürfen, kommt für französische Musiker indes einem Ritterschlag gleich. Wirklich tanzen darf man laut Gesetz aber nur in echten Diskotheken, die unter die dritte Kategorie fallen, wie das „Showcase“ unter dem Pont de l’Alma. „Man muss eine Kategorie dazwischen finden“, sagt deswegen Eric Labbé.

Wie rufschädigend das alles sein kann, haben nun aber offensichtlich auch die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung erkannt. Gerade erst wurde das Faltblatt „Paris Nightlife“ vorgestellt, mit dessen Hilfe sich Touristen im Pariser Nachtleben künftig besser zurechtfinden sollen. Da ist es wohl irgendwie unpassend, wenn beinahe alle Medien des Landes die Klagen der Nachtklubbesitzer aufgreifen und direkt oder indirekt das generelle Misstrauen geißeln, mit dem allem begegnet wird, was des Nachts in Paris geschieht. Am 1. Februar jedenfalls wollen sich Vertreter von Stadt, Präfektur und Nachtleben nun ein erstes Mal zusammensetzen und nach Lösungen suchen. Das sind keine „Etats généraux“. Es klingt vielmehr nach dem kleinen Bruder der Generalstände, der guten alten Arbeitsgruppe. Aber es ist ein Anfang. A suivre – Fortsetzung folgt.