Als ich vor kurzem den Schriftsteller Erik Orsenna anrief, um ihn zu fragen, wann wir uns treffen könnten, war ich darauf gefasst, einen Mann zu sprechen, der gerne plaudert. Tatsächlich hat er meine Erwartungen nicht enttäuscht. Man könnte, sagte er, ruhig einen Café trinken gehen, eine Stunde Zeit hätte er wohl, er sei ohnehin in der Gegend, also in der Nähe der Place de la République – warten Sie, ich hole schnell meinen Stadtplan – wie wäre es zum Beispiel am Anfang des Boulevard du Temple, ja, das wäre gut, werden Sie mich denn auch erkennen? Sie werden sehen, George Clooney und Brad Pitt sind nichts gegen mich!
Der Mann, der mir dann am Boulevard du Temple entgegenkommt, ist klein, hat schlohweißes Haar und trägt eine rot umrandete Brille. Es sei, das sagt er gleich, eher selten, dass man ihn in Paris antreffen könne. Rund zwei Drittel des Jahres befinde er sich auf Reisen und den Sommer verbringe er regelmäßig, wie sich das für einen ordentlichen Franzosen gehört, in seinem Landhaus. Das „maison de campagne“ von Erik Orsenna steht in der Bretagne, seiner Heimat. In das kühle Klima dieser Gegend zieht er sich zurück, um zu schreiben, und Eric Orsenna schreibt viel. Wenn man seine Bücher liest, hat man oft den Eindruck an einen jener seltenen Menschen geraten zu sein, die es sich leisten können, allein ihrer Neugier zu frönen. Irgendwann einmal interessierte sich Erik Orsenna also für Baumwolle, und weil die Baumwolle ein Gewächs ist, das enorm viel Wasser benötigt, erregte eines Tages auch das Wasser sein Interesse. So entstand „Die Zukunft des Wassers“, Orsennas letztes Buch.
Es ist wirklich „eine Reise um unsere Welt“ geworden, genauso wie es der Untertitel ankündigt. Orsenna besucht Australien und Singapur, reist von dort weiter nach Kalkutta und Bangladesch, er informiert sich über Staudammprojekte in China, besucht eine Meerwasser-Entsalzungsanlage in Israel und landet schließlich in Marokko. Überall trifft er auf Zustände, die alle auf ihre ganz eigene Weise prekär sind: Kalkutta ist ständig von der Cholera bedroht, Israel von Wassermangel und China von verseuchten Flüssen. Überall suchen die Menschen mehr oder weniger verzweifelt nach Lösungen, sei es gegen Trockenheit, sei es gegen Überschwemmungen. Und manchmal sagen sie ihrem Gast: In Frankreich haben sie diese Probleme ja nicht. Dass das nicht richtig ist, wissen Franzosen wie Orsenna natürlich nicht erst seit „Xynthia“ oder „Kyril“. Orsenna erinnert daran, dass der Glaube einer grundsätzlich friedlichen Natur auch in Europa noch gar nicht so alt sei. In der europäischen Mythologie seien Wälder, Meere und Berge lange nur als bedrohliche, Angst einflößende Orte aufgetaucht. Erst als die Industrialisierung und die Naturwissenschaften um sich griffen, habe man begonnen, die Natur als beherrschbar und dem Menschen damit nicht mehr gefährlich zu betrachten. Orsenna hält diesen Gedanken aber für einen Irrtum. „Der moderne Mensch“, sagt er, „möchte die Natur dominieren. Aber die Natur fühlt sich dadurch verletzt und zeigt ihm: Du dominierst mich nicht!“
Wenn Erik Orsenna redet, tut er genau das, was ihm auch beim Schreiben immer passiert: Er behandelt das Wasser mal wie einen bösen, mal wie einen guten Menschen, er personalisiert alles, was ihm begegnet und wirkt in dem Bemühen, den Dingen Leben und Macht einzuhauchen, zuweilen wie ein Kind. So gelangt er von einem Thema zum nächsten, und aus einem Gespräch über Wasser, Wind und Wetter wird eine Unterhaltung über das Risiko, das die Menschen scheuen und doch gerade in der Natur immer wieder suchen. In der Liebe sei das übrigens genauso. Und überhaupt im ganzen Leben. Er jedenfalls gehe gerne Risiken ein, denn wer nichts riskiere, habe nur ein einziges Leben. „Diese Vorstellung ertrage ich nicht.“ Und so wird sich Erik Orsenna als nächstes dem Thema Abfall widmen. Er sei schon in Ägypten gewesen, sagt er, und werde bald auf die Philippinen und nach China reisen.
Alles andere hätte einen indes auch extrem gewundert.