In diesen Tagen plaudert ganz Frankreich über das Gerücht, demzufolge der Präsident der Republik, Nicolas Sarkozy, eine Affäre mit seiner Umweltstaatssekretärin Chantal Jouanno haben soll. Gleichzeitig, so heißt es, amüsiere sich seine Carla Bruni mit dem Sänger Benjamin Biolay. Darüber wird hinter vorgehaltener Hand in Paris zwar schon seit Wochen geredet, aber seitdem auch die Öffentlichkeit auf dem Laufenden ist, nehmen die Dinge einen seltsamen Verlauf. Es wird spekuliert und dementiert, Journalisten wurden entlassen und Blogs gesperrt, Untersuchungen angeordnet und Freundschaften gekündigt. Ein guter Zeitpunkt also, um einmal den Journalisten Christophe Deloire anzurufen. Zusammen mit seinem Kollegen Christophe Dubois hatte er im Jahr 2006 das Buch „Sexus politicus“ veröffentlicht, ein gut recherchiertes Werk über die amourösen Eskapaden französischer Politiker, das zum Bestseller wurde. Ein Interview, aus gegebenem Anlass.
Monsieur Deloire, in Ihrem Buch haben Sie geschrieben, dass Sex, Liebe und Politik in Frankreich untrennbar miteinander verbunden seien. Ist das, was derzeit in Paris geschieht, typisch französisch?
Überhaupt nicht. Typisch ist, dass die Präsidenten Affären mit anderen Frauen haben. Das ist die Tradition der politischen Macht in Frankreich. Wenn man politisch stark sein will, muss man auch auf der sexuellen Ebene stark sein. Ludwig XVI. beispielsweise hatte Probleme mit Marie-Antoinette und er hat den Kopf verloren! Aber heutzutage geht es um etwas anderes. Es geht um Gerüchte und darum, dass niemand weiß, ob sie wahr sind oder nicht. Es ist untypisch, dass der Präsident und seine Frau dazu gezwungen sind, im Fernsehen und im Radio auf das Gerede zu reagieren. Früher hätten sich die Präsidenten nie öffentlich zu derlei Gerüchten geäußert. Die Voraussetzung dafür war allerdings, dass die Politiker selbst so gut wie nie öffentlich über ihr Privatleben gesprochen haben.
Das ist bei Nicolas Sarkozy anders.
Ja, er hat mit dieser Tradition gebrochen. Er war der erste Präsident, der seine Familien und seine Ehefrauen öffentlich in Szene setzte. Das hat die Codes zwischen Politikern, Medien und der Öffentlichkeit verändert. Natürlich hat diese Veränderung aber auch mit dem Internet zu tun. Früher verbreiteten sich Gerüchte sehr langsam. Zum Beispiel wusste « la France profonde » nichts von Mazarine, der Tochter von François Mitterrand, auch wenn die Angehörigen bestimmter Pariser Kreise schon lange davon sprachen. In dem jetzigen Fall aber wussten die Menschen davon, noch bevor die Presse darüber sprach. Die Gerüchte, die zuerst von ausländischen Zeitungen aufgegriffen wurden, stammten ja aus dem Netz. Die französische Presse hat erst reagiert, als halb Europa längst über sie sprach. Die französischen Journalisten hatten sie zuvor aber nicht von sich aus verbreitet und sie haben sicher auch nicht recherchiert, ob an ihnen etwas Wahres dran sein könnte.
Warum nicht?
Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Zum einen hegen die Franzosen in Sachen Ehebruch keinen großen Moralismus. Man hat immer toleriert, dass Politiker zwar verheiratet sind, aber auch Affären haben. Deswegen gehen auch Journalisten davon aus, dass sich die Menschen für Gerüchte dieser Art überhaupt nicht interessieren. Oder zumindest, dass sie es nicht für skandalträchtig halten.
Aber von ihrem Buch „Sexus politicus“, in dem sie von den Affären der Politiker erzählen, sind mehr als 200.000 Exemplare verkauft worden. Es scheint die Franzosen ja doch zu interessieren.
Ja, das stimmt. Aber wir haben ein System beschrieben, und das haben auch die Politiker selbst als gerechtfertigt gefunden. Damals haben sogar Jacques Chirac und Valéry Giscard d’Estaing gesagt, dass sie unser Buch interessant fänden. Und zwar, weil das Buch etwas sehr wichtiges über die französische Politik sagte, etwas sehr altes, das seit Versailles existiert, aber nie beschrieben wurde. Wir haben das Buch auf eine französische Weise geschrieben, lustig, ohne Skandal. Die Franzosen lieben das.
Und was sind die anderen Gründe, warum man in Frankreich über derlei Dinge weniger spricht?
In Frankreich schützt das Gesetz das Privatleben sehr stark. Wer öffentlich vom Privatleben eines anderen spricht, kann sehr schnell in Schwierigkeiten geraten. Das ist der zweite Grund. Der dritte hat mit der besonderen Funktionsweise des französischen Journalismus zu tun. Die Journalisten hierzulande sind meist sehr eng mit der Macht verbunden, sie folgen den Politikern oft jahrelang, kennen sie gut und wollen ihre Geheimnisse auch deswegen nicht verraten, weil sie um das Vertrauensverhältnis fürchten, das sie mit ihnen verbindet. Der politische Journalismus in Frankreich ist ein Begleit-Journalismus. Manchmal werden die Mächtigen auf diese Weise auch beschützt. Die Journalisten befinden sich da jedenfalls in einem Interessenkonflikt.
Wenn das so ist, wieso hätte Nicolas Sarkozy dann ohne Not mit dieser Praxis brechen sollen? Sie ist doch vorteilhaft für ihn!
Warum er das tut, weiß ich nicht. Aber er tut es. Um bewundert zu werden? Weil er stolz ist? Es gab keinen anderen Präsidenten, der seinen Ehefrauen einen so prominenten Platz in der Öffentlichkeit zugebilligt hätte, wie Sarkozy. Es gibt überhaupt keine First-lady-Tradition in Frankreich. Die Verführung durch Frauen ist in den vergangenen Jahrzehnten nie ein wichtiges Thema gewesen. Das war ein Thema zur Zeit der Marquise de Pompadour, die im Elysée-Palast wohnte und einen gehörigen Einfluss auf die Politik ausübte.
Glauben Sie denn, Sarkozy wird Konsequenzen fürchten müssen, weil die Gerüchte um ihn und seine Frau nun öffentlich sind? Oder wird man eher verurteilen, dass deswegen zwei Verantwortliche beim „Journal du Dimanche“ entlassen wurden?
Ich glaube nicht, dass das eine wichtige Affäre ist. Allerdings zeigt sie ein weiteres Mal, dass Sarkozy sein privates und sein öffentliches Leben nicht trennt. Schon vor einigen Monaten gab es ja diesen Skandal, als Sarkozy seinen Sohn, 21 Jahre alt, in eine offizielle Funktion heben wollte. Die Franzosen wollen aber, dass Sarkozy sich um das ganze Land kümmert, nicht um seine Familie. Dafür wurde er nicht gewählt.