Wenn heute das Gespräch auf diesen Wagen kommt, auf die DS von Citroën, dann wird noch immer gerne folgende Geschichte erzählt: Es war im Sommer 1962. General de Gaulle wurde gemeinsam mit seiner Frau in seiner DS durch irgendein Dorf gefahren, als Attentäter der OAS (Organisation de l’armée secrète) seinen Wagen beschossen. Mehrere Kugeln schlugen in das Auto, eine durchbohrte einen Reifen. Aber der Präsident fuhr eben mit einer DS. Die DS verfügte über eine hypopneumatische Federung, so dass der Wagen auch mit nur drei Reifen weiterfahren konnte – und de Gaulle entkam.
Später, als die DS – die französisch ausgesprochen wie „déesse“, wie Göttin klingt – schon auf dem Weg war, zu einer Legende zu werden, da spielte sie auch in einer Reihe französischer Filme mit. Alain Delon beispielsweise stahl eine DS in „Le samurai“. Catherine Deneuve fuhr in „Belle de Jour“ mit der DS zu dem Bordell, in dem sie zuweilen als Prostituierte arbeitete, um sich ein bisschen Abwechslung vom Leben zu verschaffen. Die DS war damals schon viel mehr als ein Auto. Sie war auch mehr als ein reines Prestigeobjekt oder ein Zeichen des Fortschritts, von dem sich die Bourgeoisie angesprochen fühlte, sie war auch mehr als das Must-have geltungssüchtiger Ganoven oder der Traum frühzeitig zur Nostalgie neigender Studenten. Sie war all das zusammen. Nur zehn, zwanzig Jahre nachdem sie vorgestellt wurde.
Was muss das für ein Tag gewesen sein, der 6. Oktober 1955, als die DS im Grand Palais von Paris zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde? Der 2. Weltkrieg war erst vor einer Dekade zu Ende gegangen, und noch immer dürften doch nicht wenige hauptsächlich mit der Frage beschäftigt gewesen sein, was sie am nächsten Tag essen sollten. Und dann flog Citroën mit der DS vorbei, die anders war als alles, was man bis dahin gesehen hatte. Die sich überhaupt nicht um den Alltag scherte, sondern von einer ganz anderen Zeit zu sprechen schien. Man sagt, sie habe ein bisschen ausgesehen wie ein Raumschiff, sie sei sinnlich und verspielt gewesen, optimistisch, aber von radikaler Eleganz. Roland Barthes widmete dem Wagen im Jahr 1957 in seinen „Mythen des Alltags“ einen kleinen Aufsatz, in dem er sie mit einer großen gotischen Kathedrale verglich und als ein Wesen bezeichnete, das vom Himmel gefallen sei. Und das mag zwar ein wenig übertrieben wirken, irgendwie auch lächerlich, aber es beschreibt doch sehr gut die Begeisterung und den Rausch, den die „déesse“ ausgelöst hat.
Und jetzt? Jetzt ist sie wieder da. Man kann sie kaufen. Sie steht beim Citroën-Händler und sieht aus wie, ja irgendwie wie jeder andere Kleinwagen auch. Denn sie ist jetzt ein kleiner Wagen, kein großer mehr wie früher. Von vorne sieht sie aus wie ein Walfisch, der mit weit aufgerissenem Maul durch das Meer segelt, um Plankton zu sammeln. Von der Seite und von hinten aber könnte die DS auch ein Audi sein oder ein Opel. Muss ja nicht sein.
Warum sich Citroën aber dennoch überlegt hat, diesem Wagen das berühmte Kürzel zu verleihen, das ist nicht leicht zu erklären. Vielleicht soll es nur ein PR-Witz sein, wenigstens ist dem Unternehmen so kurzfristig die Aufmerksamkeit sicher. Richtig ist aber auch, dass Citroën seine Wahl irgendwie erklären muss, denn das erwartet man einfach. Und so hat Citroën jetzt eine Werbekampagne herausgebracht, im Fernsehen laufen zwei Werbespots, einer mit Marilyn Monroe in der Hauptrolle und einer mit den Beatles. Beide sitzen irgendwo und sagen sinngemäß, es gebe keinen Grund mehr für Nostalgie. Man solle nicht ewig in vergangene Zeiten blicken, sondern sich lieber der Gegenwart zuwenden und der Zukunft. Marilyn Monroe lächelt verwegen, die Beatles lachen fröhlich, und dann sind die Spots vorbei.
Aber was soll das heißen? Wenn Citroën jetzt für die neue DS-Familie wirbt, indem es Legenden wie Marilyn Monroe oder die Beatles erzählen lässt, dass Nostalgie nicht angebracht ist, dann ist das eben nicht nur ein lustiger Clin d’œuil und ein ironisches Spiel mit der eigenen großen Vergangenheit. Es ist vor allem der hilflose Versuch zu verbergen, dass man dieser Vergangenheit nicht gewachsen ist. Und das ist nicht nur kein Ruhmesblatt für Citroën, es ist auch ein schlechtes Zeichen für die Gegenwart – und die Zukunft. Denn „Anti-Retro“ heißt dann eben auch: Die fetten Jahre sind vorbei.
Und wenn man sich jetzt noch vorstellt, in Frankreich würde tatsächlich jemand einen solchen Wagen kaufen, und er würde dann, denn das ist seit einem Jahr Gesetz, eines dieser neuen Nummernschilder bekommen, auf dem die letzten beiden Ziffern verschwunden sind, an denen man bisher stets erkennen konnte, aus welchem Département der Fahrer kam; wenn man sich also vorstellt, dass demnächst lauter gesichts- und namenlose Wagen durch Paris, durch die Provinz und überhaupt das ganze Land fahren und es gar keine äußeren Hinweise mehr gibt, die Rückschlüsse auf Herkunft und Persönlichkeit des Fahrers zulassen – wenn man sich das eine Weile vorstellt, dann bekommt man ein bisschen Angst. Angst um Frankreich.
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