Place de la République

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Eine Nacht im Museum

Vor zwei Tagen war ich im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris. Ich habe dort die Ausstellung „Seconde Main" angeschaut, die einen neuen Blick...

Vor zwei Tagen war ich im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris. Ich habe dort die Ausstellung „Seconde Main“ angeschaut, die einen neuen Blick auf die permanente Sammlung versprach. Zwischen die Vasen, Möbel und Bilder, die im Untergeschoss des Hauses zu sehen sind, hatte man allerlei Doppelgänger gehängt, also Kopien, Fälschungen und Parodien, die sich alle auf eines der Originale beziehen, die sich im Besitz des Museums befinden. 

Eigentlich eine ganz schöne Idee, und die Ausstellung begann auch gleich mit einem falschen Picasso aus dem Jahr 1987, den der Künstler Mike Bidlo sinnvollerweise „NOT Picasso“ getauft hat. Er hing über einem riesengroßen, fünf Sitze fassenden Sofa, das Gérard Saddier anlässlich des Besuchs des englischen Königspaares Elizabeth und George im Jahr 1938 in Paris angefertigt hatte. Das Sofa war sicher sechs, sieben Meter lang, die Form der Lehne erinnerte an eine geöffnete Muschel, der Bezug aus elfenbeinfarbener Seide schimmerte fleckig nach all den Jahren. Man sah deutlich, dass das Sofa gerade in seiner Überdimensioniertheit einmal ein majestätisches, würdevolles Möbel gewesen sein muss. Aber wie es da so stand an einer Wand im Museum, umgeben von lauter anderen Möbeln, von Kommoden, Schreibtischen, Sideboards, alle aus edlem Holz, meist im Art-déco-Stil, da sah das Sofa aus, als gehörte es eigentlich nicht hierher, als habe man es in diesem Saal nur abgestellt, vielleicht auch, weil man sonst nicht wusste, wohin damit. 

Nur der falsche Picasso schien sich mit dem Sofa auf Augenhöhe zu unterhalten. Das Bild von Mike Bidlo ist eine Hommage an Picassos „Girl with a cock“ aus dem Jahr 1938. Es zeigt eine Frau, die einen Hahn auf ihren Knien hält, zu ihrer rechten Seite liegt schon das Messer, und der Hahn schaut, als wüsste er sehr gut, was ihm gleich blüht. Wenn es nicht so explizit auf dem kleinen Schild gestanden hätte, hätte ich das Bild sofort für einen echten Picasso gehalten. Aber dass es eine Fälschung war, machte die ganze Szenerie im Grunde noch viel besser, denn irgendwie war das rührend, wie diese beiden gefallenen Größen, das Bild und das Sofa, sich dort gemeinsam gegen die Bedeutungslosigkeit stemmten. Mit Erfolg, das muss man sagen. Denn es war einer der schönsten Orte in der gesamten Ausstellung. 

Ansonsten war der Nachmittag in diesem Museum nämlich weitgehend langweilig. An der ursprünglichen Idee, die permanente Sammlung durch Verfremdung in ein neues Licht zu hüllen und womöglich aufzuwerten, hat das nicht gelegen. Eher schon lag es daran, dass sich in beinahe allen Räumen der Eindruck von Willkür und Beliebigkeit breitmachte. Ein innerer Zusammenhang zwischen den Besitztümern des Museums und ihren großteils geliehenen Spiegelungen, der über das reine Spiel mit dem Original hinausging, war jedenfalls nicht immer zu erkennen. Vielmehr war überall der beinahe verzweifelte Versuch zu spüren, wieder einmal mit einer guten Idee frischen Wind in das Haus zu bringen, das neben dem sehr angesagten Palais de Tokyo ja mehr und mehr ein Schattendasein fristet. 

Und zu diesem verkorksten Auftritt passte dann irgendwie auch, dass es in dem Haus eigentümlich laut war, obwohl nach mir niemand mehr kam. Im Untergeschoss krachte dennoch alle fünf Minuten die Tür des Damenklos ins Schloss, im Raum mit den Werken von Sigmar Polke, Gerhard Richter und Thomas Schütte stand eine Gruppe Frauen mittleren Alters, die auf irgendetwas zu warten schienen und sich dabei angeregt unterhielten, irgendwann aber einfach weitergingen. Aber offengestanden war auch meine Aufmerksamkeit nach einiger Zeit so anfällig, dass ich bald vor einem Fenster stand und auf die vorbeifließende Seine blickte und dann durch ein anderes Fenster die Skater anschaute, die bei schönem Wetter auf dem glatten Boden im Hof zwischen Musée d’Art Moderne und dem Palais de Tokyo stets ihre Kreise ziehen. 

Ich weiß aber sicher, dass ich Modiglianis „La femme à l’éventail“ – das richtige unter all den Kopien – in einem der Räume noch gesehen habe, ich kann bezeugen, dass es am Dienstag noch da war. Jetzt ist es weg, gestohlen. Und vielleicht, wer weiß, wäre ich dann tatsächlich die Letzte, die dieses Bild noch gesehen hat, und ich muss sagen, bei dem Gedanken wird mir ganz warm ums Herz.