Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Das geheime Leben der Vorstädte oder Ein Besuch in Aubervilliers

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Irgendwann muss man natürlich auch einmal in den Nordosten der Stadt fahren, dorthin, wo Paris in die Banlieue überblendet. Aubervilliers ist so ein Ort, der...

Irgendwann muss man natürlich auch einmal in den Nordosten der Stadt fahren, dorthin, wo Paris in die Banlieue überblendet. Aubervilliers ist so ein Ort, der sich streng genommen zwar noch in Paris intra muros befindet, gefühlt aber schon weit jenseits dieser unsichtbaren Grenze liegt, die das Pariser Zentrum von seinem Umland trennt. Der Name der Métro-Haltestelle, der sinnbildlich für die dezente Ungemütlichkeit steht, die diesem Ort vorauseilt, ist „Stalingrad“. Hier hält die Métro Nummer vier, in der es durchaus öfter als in anderen Linien passieren kann, dass man einem Menschen gegenübersitzt, der laute Selbstgespräche führt oder in der Nase bohrt oder die Zähne mit den Fingern reinigt, und zwar so lange bis der Sitznachbar zur rechten Seite sich herüber beugt und flüstert: „La quatre, c’est toujours un spectacle!“ Die vier, das ist immer ein Spektakel.

Und dennoch sollte man einmal nach Aubervilliers gefahren sein. Es ist nicht schön hier, das nicht. Es ist sogar ziemlich hässlich, die Häuser sind weitaus mehr funktional als museal, die Straßen laut und stinkend, der Asphalt dampft unter der Hitze. Aber Aubervilliers gibt auch nicht vor, mehr zu sein, als es ist, und das ist angenehm. Die Bedeutsamkeit, die auf Paris lastet, scheint hier jedenfalls meilenweit weg zu sein, genau genommen erahnt man sie erst wieder jenseits der auf dem Hügel von Montmartre liegenden Kirche von Sacrécœur, die man – wie mir jetzt erst auffällt – aus dieser nordöstlichen Himmelsrichtung übrigens auch noch nie gesehen hat.

Außerdem gibt es in Aubervilliers das Centquatre, und das ist auf jeden Fall eine Reise wert. Das Centquatre ist ein Kulturzentrum, das die Stadt Paris hier vor etwa anderthalb Jahren eröffnet hat. Es liegt gleich an den Gleisen der Gare de l’Est, in einem Haus, das bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein ein Bestattungsunternehmen war, ein Sarghaus, wie die Österreicher sagen würden. Wenn man das Gebäude betritt, steht man zunächst in einer mit Glas überdachten Halle, zur rechten und linken Seite verbergen sich hinter unterschiedlich großen Türen Ateliers, in denen Künstler aus aller Herren Länder arbeiten. Weiter hinten senkt sich der Boden ab, wie auf einer Rampe gelangt man dort in das Untergeschoss des Gebäudes, in dem früher die Pferdeställe untergebracht waren. Heute befinden sich hier einige Ausstellungsräume. Nach Bedarf lässt sich die Rampe auch abdecken und eine Bühne für Lesungen darauf errichten, so wie neulich, als an einem wunderbaren Sommerabend der Karikaturist und Comiczeichner Riad Sattouf aus seinem Bestseller „La vie secrète des jeunes“ las, der Saal proppenvoll war und das sehr junge Publikum nicht anders konnte, als sich dem Mann vor kreischendem Vergnügen zu Füßen zu werfen. 

So war das Centquatre von Anfang an gedacht. Es sollte ein Ort sein, an dem jede Kunstrichtung, ganz gleich ob Theater, Tanz, Musik, Malerei, Fotographie, Literatur oder Comics eine Bühne finden und an dem vor allem junge, (noch) unbekannte Künstler arbeiten und ihre Arbeit präsentieren konnten. Mehrere Monate lang sollte jeder von ihnen ein Atelier zur Verfügung gestellt bekommen, das allerdings nicht nur ihnen, sondern auch dem Publikum stets zugänglich sein sollte. Auf diese Weise wollte man nicht nur das Ergebnis der Arbeit, sondern den Entstehungsprozess selbst veröffentlichen, um einen engere Bindung zwischen Künstlern und Publikum zu schaffen – ein vorzüglicher Plan. 

Aber wie das so ist, kam dann natürlich alles anders. Im Alltag zeigte sich nämlich nicht nur bald, dass es wenig sinnvoll ist, die Künstler in ihrer Arbeit ständig zu stören, sondern auch, dass sich der Publikumsverkehr an normalen Werktagen ohnehin in Grenzen hielt. Zur Eröffnung sollen noch rund fünfzigtausend Gäste gekommen sein, aber so erfreulich ging es leider nicht weiter. In der Folge  waren die Kosten beispielsweise für das Wachpersonal unverhältnismäßig hoch, das Centquatre bekam finanzielle Probleme und auch die Stadt zeigte sich über die Entwicklung not amused. Sie forderte mehr „évènements populaires“, populärere Veranstaltungen, die ein größeres Publikum ansprechen sollten, also Zirkusvorführungen, Feuerwerke oder Maskenbälle. Weil die beiden Direktoren Robert Cantarella und Fréderic Fisbach das aber nicht mittragen wollten, weil es dem ursprünglichen Plan ja widersprach, einen Ort für jüngere Künstler zu schaffen, warfen sie das Handtuch. 

Nun soll ein neuer Direktor die Geschicke des Hauses leiten. José-Manuel Gonçalves, bisher Leiter eines Theaters in Marne-la-Vallée, wird dem Willen der Stadt vielleicht mehr zu Diensten sein als seine Vorgänger es waren. Ob sich der Weg nach Aubervilliers dann immer noch lohnt? Bis dahin sollte man jedenfalls unbedingt einmal dort gewesen sein.  

 


2 Lesermeinungen

  1. Plindos sagt:

    Womöglich läuft der quasi...
    Womöglich läuft der quasi pädagogische Ansatz, trotz allem Bemühens meist linksorientierter Arrangeure, aus falschen, grundsätzlichen Annahmen heraus bei solchen Projekten oftmals in´s Leere? Weil das Publikum meist viel heterogener zusammengesetzt ist, als angenommen.
    Panem et circenses möchte ich, sofern ich gestaltender Künstler bin, in meinem Atelier, bei qualitativ anspruchsvollem Arbeit, nicht unbedingt um mich haben. Selbst Schauspieler wollen unbefangen vor leerem Hause proben können/dürfen. Den vollsubventionierten Bitterfelder Weg gab´s ja mal in der untergegangenen DDR.
    Um die Miete für das eigene Atelier bezahlen zu können gibt es den Weg des Haupt-brotberufs oder man ist Hungerkünstler, ein Mäzen findet sich äusserst selten, vor allem für Anfänger. C`est très dure et triste.

  2. jbauer01 sagt:

    Aubervilliers befindet sich...
    Aubervilliers befindet sich nicht in Paris intra muros, sondern im Départment 93 vor den Toren vor Paris. Dem Artikel nach zu Urteilen war Frau Bopp im 19. Arrondissement von Paris (wo sich zum Beispeil das 104 befindet), und wenn sie dass schon hässlich, laut und stinkend findet, würde ich ihr davon abraten, weiter nach Norden ins echte Aubervilliers zu fahren…

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