Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Was ist eigentlich in Belgien los, Benoît Poelvoorde ?

Zunächst einmal muss man dem Menschen, der in der Metro von Brüssel für die Musikauswahl zuständig ist, ein Lob aussprechen. Zweimal bin ich vor kurzem in...

Zunächst einmal muss man dem Menschen, der in der Metro von Brüssel für die Musikauswahl zuständig ist, ein Lob aussprechen. Zweimal bin ich vor kurzem in Brüssel mit der Metro hin- und hergefahren, inklusive Umsteigen habe ich an drei verschiedenen Haltestellen gesessen und Musik gehört: Sade, The Verve und The Centurions, und wenn ich nicht eine Verabredung gehabt hätte, zu ich keinesfalls verschieben konnte, wäre ich vielleicht noch andernorts ausgestiegen, nur um zu hören, was dort läuft. 

Aber ich musste eben aussteigen, ging ins Hotel Barsey in der Avenue Louise und traf dort den Schauspieler Benoît Poelvoorde. Poelvoorde erschien im feinen Zwirn, bestellte ein Wasser und, als das nicht kam, ein Bier und redete so, wie man es von ihm erwartet, wenn man seine Filme sieht: schnell, viel, ein bisschen ungehobelt. Wenn er nicht gewusst hätten, dass er sich später noch mit jemand anderem treffen muss, hätten er vermutlich noch viel länger an unserem Tisch gesessen als eine Stunde, er kommt wirklich vom Hölzchen aufs Stöckchen. 

Poelvoorde lebt nach wie vor in Belgien. Er ist zwar, wie er selbst sagte, „von den Franzosen adoptiert“ worden, was er als Kompliment begreift, schließlich sei er „ein Beispiel für gelungene Integration“. Aber nach Frankreich zu ziehen, kam ihm gleichwohl nie in den Sinn. Er mag dort leben, wo er aufgewachsen ist, in der Nähe von Namur, dort, wo „Menschen leben, die ein normales Leben führen“. 

Für Franzosen gelten Belgier ja selten als normal. Es ist in Frankreich ein weit verbreiteter Topos, dass Belgien das surrealistischste Land der Welt ist. Ein Klischee, sagt Poelvoorde sofort. Dann sagt er aber: „Was stimmen könnte, das ist, dass wir Belgier uns nicht so ernst nehmen, dass wir große Eseleien veranstalten können, zu denen wir aber auch stehen.“ Und die Franzosen, die sich mit den Belgiern immer verglichen, weil sie dieselbe Sprache sprächen, hätten vor dieser Fähigkeit großen Respekt. Sie könnten also nicht einfach von Dummheiten reden, sondern müssten einen ästhetischen Ausdruck dafür finden. So seien sie auf das Wort „surrealistisch“ gekommen. „Wir sind aber nicht surrealistischer als andere.“

Aber warum, hake ich ein, sagen die Franzosen das nur von den Belgiern?

„Weil wir sympathisch sind und ihre nächste Nachbarn.“ Die Deutschen seien zwar auch nächste Nachbarn, aber die Geschichte habe gezeigt, dass sie eben nicht immer sympathisch sind. 

So einfach ist das. Überhaupt macht sich Poelvoorde keine großen Sorgen um den Ruf seines Landes. Dass Belgien – das ja immerhin zu den Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft zählt – seit Monaten ohne stabile Regierung lebt und seit Jahren keine Ruhe einkehrt im Streit zwischen Flamen und Wallonen, scheint er nicht als Problem zu sehen. Im Gegenteil. Darauf angesprochen, lehnt er sich in seinem roten Plüschsessel zurück, atmet tief aus und sagt: „Siehst du irgendwo eine Banderole? Wir werden uns nicht teilen wie die Tschechoslowakei, wir schießen auch nicht aufeinander wie in Irland.“ Das Problem werde sich zwar nicht lösen lassen. Aber Poelvoorde ist überzeugt, dass es von außen dramatischer erscheint als es von den Belgiern selbst wahrgenommen wird. Dort, wo er lebe, sagt er, also unter normalen Menschen, interessiere sich jedenfalls kein Mensch für diese Probleme. Alle kämen gut miteinander aus, sogar die Deutschen seien willkommen. Ich glaube, er meint damit jene Touristen, die das Land meist vom Rheinland aus überschwemmen. 

Und vielleicht hat er ja Recht. Vielleicht muss man die Fähigkeit der Belgier zur gesunden Selbstironie nur hoch genug einschätzen, um zu erkennen, dass das Land alles andere als dem Untergang geweiht ist. Brüssel jedenfalls machte einen sehr entspannten Eindruck. Und das lag zwar nicht nur an dem Bier trinkenden Benoît Poelvoorde oder an der Musik in der Metro. Aber eben auch. Wo erlebt man schon so etwas, an einem Tag?