Vor einigen Monaten war an dieser Stelle ein Text über die Nacht zu lesen, die in Paris mittlerweile besonders langweilig geworden ist. Mag sein, dass man sich aus der Ferne Paris nach wie vor als eine Stadt vorstellt, die noch lauter und bunter wird, sobald es dämmert. Aber in Paris selbst sieht man die Dinge anders. Zumindest haben sich jene, die sich in den dunklen Stunden des Tages zu Hause fühlen, vor etwa einem Jahr zusammengetan, um sich über die Verschnarchtheit, die Eintönigkeit und Berechenbarkeit ihrer angestammten Viertel zu beschweren. Im Grunde war das Problem, dass das Rauchverbot, das in Frankreich seit dem 1. Januar 2008 gilt, die Nachtschwärmer von den Bars auf die Straße getrieben hatte, wo sie von wütenden Anwohnern und der Polizei vertrieben wurden. „Paris by night“ war fortan zum Gähnen.
Wenn Matthieu Jussaud, Liebhaber elektronischer Musik, heute von damals erzählt, dann sagt er, es habe Paris seinerzeit gedroht, seine besten kreativen Köpfe an Berlin, London und Barcelona zu verlieren. Überhaupt fühlte man sich mit den Nächten dieser Städte schon lange nicht mehr konkurrenzfähig. Die französische Administration hat, so Jussauds Ansicht, ihre nachtaktiven Kinder solange mit Auflagen zum Lärmschutz, zum unerlaubten Tanzen, zum Ausschenken von Alkohol undsoweiter gegängelt, bis die gesamte Stadt nachts in tiefen Schlaf zu fallen drohte. Die Petition „Quand la nuit meurt en silence“ (Wenn die Nacht in aller Stille stirbt), die er mit anderen verfasste, haben mehr als sechzehntausend Menschen unterschrieben. Fast alle Medien des Landes berichteten darüber. Und so ist es den Kollegen um Matthieu Jussaud tatsächlich gelungen, die „Etats généraux de la nuit“, die Generalstände der Nacht einzuberufen – nicht irgendwo, sondern im Rathaus von Paris.
Am vergangenen Wochenende saßen Vertreter der Stadt und der Region, der Bar- und Klubbesitzer sowie der Anwohner, außerdem Soziologen, Philosophen, Urbanisten und Verkehrsplaner zwei Tage lang zusammen, um zu beratschlagen, wie die Nacht zu retten sei. Und zwar für alle. Es war ein kluger Zug von Mao Peninou, Mitarbeiter des Bürgermeisters und von diesem mit der Organisation der Generalstände beauftragt, das Themenspektrum zu erweitern: So ging es nicht nur um die Interessen der Klubbesitzer oder der Anwohner, sondern auch um die jener Pariser, die nachts arbeiten müssen, also um Händler, Krankenschwestern, Polizisten und Fabrikarbeiter. Man diskutierte über die historische Entwicklung des Nachtlebens, über die schlechte nächtliche Anbindung der Vorstädte an die Innenstadt, über den Transport intra muros und über Kriminalität. Vor allem sind sich die verschiedenen Parteien aber wohl das erste Mal wirklich begegnet – und zwar nicht über den Umweg einer offiziellen Beschwerde. Matthieu Jussaud sagt, er habe jetzt die Telefonnummern von allerlei Leuten, an die er sich im Fall der Fälle direkt wenden kann. Das findet er sehr gut.
Außerdem gibt es auch schon einige konkrete Vorschläge. Darunter sehr begrüßenswerte wie den des Präsidenten des Regionalrates, Jean-Paul Huchon, einige Metrolinien am Wochenende die ganze Nacht hindurch fahren zu lassen. Einige vernünftige Ideen, wie die, künftig in jedem Arrondissement eine „commission de conciliation“, eine Art Schlichtungskommission zu gründen, in der Probleme diskutiert werden, bevor sie bei den Ordnungshütern landen. Und schließlich griff man auch Kurioses auf: In Barcelona sollen nachts etwa Clowns und Pantomimedarsteller vor den Bars unterwegs sein, um die Menschen „auf kreative Weise“ daran zu erinnern, dass sie sich leise verhalten müssen. Manchmal verteilen sie sogar Lollis. Der Hintergedanke ist: Wer einen Lolli im Mund hat, redet nicht so viel.
Matthieu Jussaud fand die letztgenannte Idee anfangs seltsam, aber jetzt sagt er: „Warum nicht?“ Er gibt nur zu bedenken, dass man entweder kräftige Kerle schicken sollte oder Frauen, die sich auf ihre Art durchsetzen können – vor allem nachts. Bloß keine Berufsanfänger! A suivre – Fortsetzung folgt.
Wenn eine Stadt uner...
Wenn eine Stadt uner Federführung einer Behörde einen Arbeitskreis gründen muss, um die Nacht neu zu beleben, ist das Nachtleben klinisch schon lange tot :-).