Der Parc Astérix liegt vor den Toren von Paris, in einem Niemandsland zwischen der Autobahn nach Westen und dem Flughafen Charles de Gaulle. Während der langen französischen Sommerferien hat er täglich geöffnet, dann karren Pendelbusse die Menschen aus der Stadt vor die Tore des Parks. Fußballfeldgroße Flächen stehen für eigene Autos bereit, um die Menschenschlagen in geordnete Bahnen zu lenken, hat man feste Absperrungen in den Boden eingelassen, dahinter wartet ein quietschbuntes, überdimensionales gallisches Dorf aus Plastik – für fünfunddreißig Euro Eintritt pro Person. Man muss hier nicht gewesen sein, um sich zu vergewissern, dass ein Besuch nicht lohnt. Und wenn man doch schon kommt, dann wirklich am besten zu einer Zeit, zu der der Park eigentlich geschlossen ist.
So war es neulich an einem normalen Mittwochnachmittag. Der Himmel über Paris bestand nur aus Sonne und Licht. Das gallische Dorf hatte seine Rollläden heruntergelassen und lag leer in der Landschaft und obgleich (fast) niemand da war, haben wir uns zunächst verirrt, sind geschwungenen Wegen gefolgt, die nirgendwo hinführten, aber auch kein Ende nahmen. Erst ein Anruf führte uns in die richtige Richtung: zu den Restaurants, Geschäften, Wildwasserrutschen, Drachenschlössern, Hochsitzen, Piratenschiffen, die mit der Welt von Asterix vielleicht gar nicht viel zu tun haben, wegen derer man aber eben doch hierher kommt. Die Regisseurin Anne Fontaine, die mit ihrer Sonnenbrille im Haar am Set stand, fing denn auch gleich an zu lästern, wie man fünfunddreißig Euro zahlen könne, um anderthalb Stunden vor der Rutschbahn Schlange zu stehen! Dabei war sie es, die den Ort ausgesucht hatte, um ein paar Szenen ihres nächsten Films zu drehen. „Mon pire cauchemar“ (Mein schlimmster Albtraum) ist sein Arbeitstitel.
Er wird von einer vornehmen Pariser Dame handeln (Isabelle Huppert), die einem versoffenen Bauern begegnet (Benoît Poelvoorde), dessen Sohn erstaunlicherweise viel schlauer ist als ihr eigener. Poelvoorde glaubt, es werde ein typischer Anne-Fontaine-Film: zwei Welten treffen aufeinander und stellen sich gegenseitig infrage. Er war es, der sie auf diese Idee gebracht haben will, nach „Entre ses mains“ und „Coco avant Chanel“ ist es ihr dritter gemeinsamer Dreh. Sie hingegen möchte Poelvoorde für die Art der Rolle, die er in diesen Filmen spielte, überhaupt erst entdeckt haben. Es stimmt, dass Benoît Poelvoorde zuvor in seinen meisten Filmen die komischen Parts übernommen hatte. Dass er auch anders kann, hat er erst spät bewiesen. Nun spielt er wieder einen dieser abgetakelten, seltsamen Typen, die meist am Rande irgendeines Wahnsinns wandeln, zynisch oder brutal oder beides sind, manchmal aber auch komisch und sogar zärtlich.
An diesem Tag trägt er eine ausgebeulte Hose, ein dunkelblaues Netz-Shirt und eine Goldkette um den Hals und gibt den gutmütigen Proletarier, als würde er nie etwas anderes machen. In einer Szene läuft er neben Isabelle Huppert aus einer Bar, deren Ausgang in Form eines lilafarbenen Drachenmauls gestaltet ist. Die Szene wird x-mal aus allen möglichen Perspektiven gedreht, raus, wieder rein, raus, rein, als Zuschauer spürt man die Aufmerksamkeit längst schwinden, die beiden Schauspieler aber wirken nie, als müssten sie sich wirklich konzentrieren. Im Gegenteil: Poelvoorde vertreibt sich die Zeit, indem er seine Zuckerwatte zu seltsamen Figuren formt oder sein Jackett versteckt und seiner Kostümbildnerin einen Schrecken einjagt. Dann fragt er: „Ist Ihnen nicht langweilig?“ Und beantwortet die Frage mit seinem Gesichtsausdruck gleich selbst.
Vor ein paar Tagen hatte Poelvoorde Geburtstag. Beim Mittagessen, das in einem Zirkuszelt aufgetragen wird, trägt jemand eine kleine Torte mit Kerzen herein. Poelvoorde sitzt mit Huppert, Fontaine und deren Mann, dem Produzenten Philippe Carcassonne, an einem Tisch. Die eine küsst ihn auf die Schulter, die andere auf den Kopf, Carcassonne winkt freudig vom anderen Tischende herüber. Die vielen Statisten, die an langen Tischen in einem gewissen Abstand sitzen, singen ein Ständchen und schauen während des Essens oft mit einer Mischung aus Scheu und Neugierde herüber. Aber das nimmt niemand wahr. Am zentralen Tisch werden Filme verhandelt: „Soul Kitchen“ fällt durch, „Vicky Cristina Barcelona“ auch, „Whatever works“ aber nicht. Außerdem, so erfahren wir, soll Carla Bruni einen unendlich peinlichen Auftritt in dem nächsten Film von Woody Allen haben.
Erst später, als alle wieder draußen sind und auf die nächste Szene warten, als man beginnt sich zu fragen, wie viel Arroganz eigentlich erlaubt sein dürfte und von welchem Moment an es wirklich unangenehm wird, da betrachtet man noch einmal Isabelle Huppert. Sie ist weitaus kleiner und zierlicher als gedacht, trägt Jeans, braune Schuhe und einen fabelhaften, feuerroten Mantel. Und wenn sie gerade nicht im Schatten steht, sondern irgendwo in der Sonne eilt stets eine Mitarbeiterin herbei, um einen riesigen roten Schirm über ihr aufzuspannen – und wie Isabelle Huppert mit einer selten gesehenen Mischung aus Würde und Zerbrechlichkeit unter diesem Schirm mehr schreitet als geht, wo sich andere sich zu Tode schämen würden, das ist schon sehenswert.
Man kann natürlich noch nicht wissen, ob der Film, den sie hier drehen, gut oder schlecht sein wird. Man kann sich auch, zum Glück, gar nicht vorstellen, wie er enden könnte. Aber klar ist bereits jetzt, dass er, auch wenn er die Gunst von Kritik und Publikum nicht findet, seinen beiden Hauptdarstellern nicht schaden kann. Für seine Regisseurin gilt das gleichwohl nicht.
Jetzt versteh' ich, weshalb in...
Jetzt versteh‘ ich, weshalb in der Blogstatistic zu „Lena Bopp“ eine Null bei der Kommentar-Anzahl steht. Nun steht da wohl eine 1. Reines Mitleid.