Place de la République

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Chansons, Existentialismus, französische Malerei – alles vorbei? Ganz im Gegenteil. In New Yorker Klubs hört man Musik aus Paris, in China liest

Dunkerque, mon amour

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Jetzt ist auch Cédric Klapisch auf den Zug aufgesprungen, der derzeit durch die französische Kinowelt fährt, und hat sich in die französische Pampa...

Jetzt ist auch Cédric Klapisch auf den Zug aufgesprungen, der derzeit durch die französische Kinowelt fährt, und hat sich in die französische Pampa begeben, um dort seinen neuen Film zu drehen. Schauplatz des Geschehens in „Ma part du gâteau“ (Mein Stück vom Kuchen) ist unter anderen das an der belgischen Grenze gelegene Dunkerque, eine Stadt, von der man annehmen darf, das sie in der allgemeinen Wahrnehmung der Franzosen ohnehin schon mehr zu Belgien gehört als zu Frankreich. In Dunkerque jedenfalls wohnt France (gespielt von der fabelhaften Karin Viard, von der hier an einem anderen Tag noch einmal die Rede sein soll). France ist allein erziehende Mutter von drei halbwüchsigen Töchtern und verdient ihr Geld mehr schlecht als Recht in einer Fabrik. Als die Fabrik eines Tages geschlossen wird, beschließt sie nach Paris zu gehen und dort als Putzfrau ein Auskommen zu suchen.

Im Zentrum des Films stehen also wieder einmal rechtschaffene, kleine Bürger aus der ach so unterschätzten Provinz. Dass gerade der Norden Frankreichs als Projektionsfläche für cineastische Phantasien herhalten muss, die zwar gottlob zumeist mit einem wohltuenden Anflug von Ironie versehen sind, aber eben doch auf die Wiederaufbereitung uralter Klischees hinauslaufen, ist ein Phänomen, das sich in jüngster Zeit öfters beobachten lässt. Losgetreten hat diesen Trend Dany Boon mit seinem Film „Bienvenue chez les Ch’tis“ (Willkommen bei en Sch’tis). In ihm ging es ja darum zu zeigen, dass der Norden zwar sicherlich ein verregnetes, dunkles, vollständig lebensfeindliches Gebiet ist, dass dort aber eben doch zuweilen wirklich sympathische Menschen leben. Aufgewärmt hat derselbe das Thema dann in seinem jüngsten Film „Rien à déclarer“ (Nichts zu verzollen). Er spielt zu der Zeit, zu der im europäischen Raum das Schengen-Abkommen in Kraft tritt und die Grenzkontrollen beispielsweise zwischen Frankreich und Belgien wegfallen. Vor allem der Grenzbeamte Ruben Vandevoorde (Benoît Poelvoorde) findet das aber überhaupt nicht lustig und verbrüdert sich mit seinem Lieblingsfeind, dem französischen Grenzbeamten Mathias Ducatel (Dany Boon), um die Grenze trotz des Verbots weiterhin zu überwachen.

Nicht ganz zu Unrecht ist diesem zweiten Boon-Film vorgeworfen worden, eine aufgewärmte Version des ersten zu sein – und zwar gerade, was den Topos der verunglimpften, in Wahrheit aber höchst liebenswerten Bewohner von „la France profonde“ betrifft. Das Publikum schien die Kritik zu teilen. Gemessen an den zwanzig Millionen Besuchern, die „Willkommen bei den Sch’tis“ im Kino sahen, nehmen sich die zehn Millionen, die „Rien à déclarer“ bisher gesehen haben, geradezu als bescheiden aus. Um so schwieriger dürfte es allerdings auch für den neuen Film von Cédric Klapisch werden. Nicht, dass die Geschichte nicht einen gewissen Reiz hätte. Denn France wird in Paris bei einem Mann zu putzen beginnen, der in einer ganz anderen Welt als der ihren lebt. Steve (Gilles Lellouche) ist Trader einer großen, in London ansässigen Bank und gerade mit dem Aufbau einer Zweigstelle in Paris beauftragt worden. Sein Leben besteht aus Geld, Geld, Geld. Einmal sagt sein Boss in London zu ihm: „Business ist nichts für die Guten.“ Und Steve antwortet: „Ich bin böse.“ Um die Beschäftigten der Firmen, an deren Untergang er verdient, macht er sich folglich keine Gedanken. 

Bei der Zuschauer-Premiere des Films in Paris sagte Gilles Lellouche vor kurzem, die Rolle des Steve habe ihn gereizt, weil sie überzeichnet wirke wie eine Karikatur und doch vollkommen der Wirklichkeit entspreche. „Die Frage war: Wie werde ich ein echtes Schwein?“ Drei, vier Tage hat sich Lellouche in London unter echten Tradern aufgehalten, um ihre Sprache, ihren Gestus, ihr Denken zu lernen. Ihn habe beeindruckt, sagte er, wie schnell diese Menschen redeten und Entscheidungen fällten. „Und glauben Sie mir, die Realität ist noch viel schlimmer als der Film!“ Als Antipode zu ihm, dem bösen Buben, muss also France herhalten, die gute, mit redlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienende Frau aus Dunkerque. Karin Viard macht das großartig. Ihre France ist alles gleichzeitig, würdevoll und chancenlos, forsch und unterwürfig, naiv, aber von guten Mächten umgeben. Eine französische Pretty Woman. Eine Frau, die ihre Gegner in die Knie zwingt, ohne gleichwohl etwas daran ändern zu können, dass die Dinge in der modernen, sprich globalisierten Welt laufen, wie sie eben laufen. Dunkerque hat in dieser Welt keinen Platz mehr – genauso wenig wie Bergues aus den „Sch’tis“ und der Wachposten an der französisch-belgischen Grenze. Das französische Kino widmet sich diesen untergehenden Orten in Form von Liebeserklärungen, in Wahrheit versetzt es ihnen mit seiner Aufmerksamkeit aber den Todesstoß. Was soll man denn noch werden, nachdem man Kulisse in solchen Filmen war?


1 Lesermeinung

  1. proserpina sagt:

    Ihren Blog lese ich sehr...
    Ihren Blog lese ich sehr gerne, so ist es doch eine Möglichkeit Interessantes und Aktuelles aus Frankreich zu erfahren.
    Grand merci.

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