Place de la République

Absence d’absinthe?

Seit ein paar Tagen ist Frankreich wieder um ein Kulturgut reicher. Es ist keine ganz neue Sache, über die man sich da freuen darf, genau genommen ist sie sogar viel älter als die fünfte Republik, ach was, älter als alle Republiken, die das Land jemals gesehen hat – das Gut, um das es geht, ist mehr als zweihundert Jahre alt. Lange Zeit aber war es aus dem französischen Leben verbannt, weil man ihm dämonische Kräfte nachsagte. Wer immer in Frankreich das sehr alkoholreiche Getränk verkaufen wollte, von dem hier die Rede ist, musste das jahrzehntelang im Verborgenen tun. Erst von den achtziger Jahren an konnte man es wieder auf legalem Weg erwerben, sein Name aber durfte immer noch nicht genannt werden. Auf den Etiketten der Flaschen, die seit gut zwanzig Jahren wieder in alle Welt exportiert werden, nach Asien vor allem, auch in die Vereinigten Staaten, durfte es zwar stehen: Absinth. Aber nicht in Frankreich. Dort musste es heißen: „Spiritueux à base de plantes d’absinthe“, also etwa: Alkoholhaltiges Getränk auf Basis der Absinthpflanze.

Diese Regelung galt seit 1988, zuvor, nämlich von 1915 an, war der Absinth in Frankreich gänzlich verboten. Denn zur Jahrhundertwende erfreute er sich so großer Beliebtheit, man sprach allenthalben vom „absinthisme“, dass sich die Regierung genötigt sah, seinen Verkauf zu verbieten. Absinth enthält Thujone genannte Extrakte aus der Wermutpflanze, die bei zu hoher Dosierung dem Nervensystem schaden und halluzinogene Wirkungen entfalten. Heute weiß man zwar, dass die Dosierung der Thujone im Absinth zu gering war, um die Nervensysteme der Konsumenten wirklich in die Bredouille zu bringen. Aber damals sah man das anders, und so suchte man die Exzesse, die sich allerorten abspielten und auf zahlreichen Plakaten und Postkarten verewigt worden sind, zu stoppen. Und selbst wenn der Absinth auf entlegenen Pfaden immer noch und jederzeit zu bekommen war, sah er sich durch das Gesetz doch wirklich so geächtet, dass er ein wenig in Vergessenheit geriet. Von den mehr als einhundert Bars, die es um die Jahrhundertwende in Pontarlier gegeben haben soll, der Hochburg der französischen Absinth-Brennerei in der Franche-Comté, wurden fast alle geschlossen. Mittlerweile existiert dort ein Absinth-Museum.

Jetzt allerdings darf auch in Frankreich der Absinth wieder sein, was er ist. In der vergangenen Woche hat das Parlament in Paris beschlossen, das Gesetz aus dem Jahr 1915 aufzuheben – man darf jetzt also den Absinth nicht nur trinken, sondern auch zugeben, dass man ihn trinkt. Das ist deswegen wichtig, weil die Franzosen nicht die einzigen sind, auf deren Territorium die Wermutpflanze wächst und all die anderen Kräuter, die in den Absinth gehören: Melisse, Ysop, Anis, Fenchel, Pfefferminze. Jenseits der Grenze, auf schweizerischem Boden, gibt es das alles nämlich auch, und zwar vor allem im Val-de-Travers. Dessen Bewohner haben den Absinth nicht weniger gemocht als die Franzosen, auch ihnen wurde sein Genuss von 1910 an untersagt. Erst vor sechs Jahren hat man ihn wieder erlaubt.

Eine Weile lief dann alles sehr gut. Die französischen und die schweizerischen Absinth-Gebiete vertrugen sich prächtig, auf Initiative der Schweizer sind sie seit kurzem sogar durch einen Wanderweg miteinander verbunden. Die „Route de l’Absinthe“ führt von der Schweiz durch das Juragebirge nach Frankreich, vorbei an den alten Absinth-Destillerien, von denen manche noch heute in Betrieb sind. Bei Dominique Rousselet, dessen kupferfarbene Destillationsanlage in einem schönen alten Haus an einer Straße nahe Pontarlier vor sich hindampft, führte dieser neue Weg allerdings dazu, dass ständig Wanderer in seinen kleinen Laden stürmten, mit ihren riesigen Schuhen alles dreckig machten, sich einen Schluck genehmigten, um dann, ohne etwas zu kaufen, wieder zu gehen. Rousselet glaubt, dass sie ihre Rucksäcke einfach nicht mit den Flaschen beschweren wollen. Er ist, man versteht es, auf den Wanderweg nicht so gut zu sprechen.

Noch viel weniger dürfte ihm aber gefallen, dass die Schweizer aus dem Val-de-Travers seit zwei Jahren versuchen, ihren Absinth mit einer Herkunftsbezeichnung schützen zu lassen. Mithilfe derartiger Bezeichnungen ist es möglich, bestimmte Lebensmittel oder Agrarprodukte einem bestimmten geographischen Raum zuzuordnen (zum Beispiel: Aachener Printen), was bedeutet, dass ähnliche, oder auch nahezu gleiche Produkte, die nicht aus diesem Gebiet stammen, diese Bezeichnung nicht mehr tragen dürfen. Wenn die Schweizer damit durchkämen, dürften die Franzosen ihren Absinth also nie mehr Absinth nennen. Um sich dagegen zu wehren, muss man sich aber natürlich zunächst einmal selbst gestatten, den Namen „Absinth“ wieder auszusprechen. Ob die Aufhebung des Verbots damit etwas zu tun haben könnte? Wer hat’s nochmal erfunden? Natürlich.

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