Brasilien gewährt dem in Italien zu lebenslänglicher Haft verurteilten Terroristen und Schriftsteller Cesare Battisti politisches Asyl – und das kurz nach dem Staatsbesuch von Carla (und Nicola) Sarkozy.
In Italien war Cesare Battisti in den siebziger Jahren, zur Zeit der Roten Brigaden, an mehreren Terroranschlägen beteiligt. Zwei Menschen hat er kaltblütig erschossen. Er wurde zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt. Rechtsgültig, aber im Abwesenheitsverfahren: denn Battisti hatte sich wie Dutzende anderer Terroristen nach Frankreich abgesetzt. Von Mitterrand bekamen sie – im Sinne einer Befriedung nach der bleiernen Zeit – politisches Asyl. Im Namen der Republik.
Cesare Battisti gründete eine Familie und begann, Kriminalromane zu schreiben. Er wurde Mitglied und Liebling der Intellektuellen-Zirkel. Selbstgefällig thematisierte er mehr oder weniger direkt auch die Taten, an denen er beteiligt war. Ohne Reue, ohne ein Zeichen in Richtung der Opfer. Battisti fühlte sich sicher – und selbstsicher – in seinem Pariser Exil.
Doch die Zeiten ändern sich, in Frankreich und Italien. Rom verlangte die Auslieferung. In Paris waren die neuen Machthaber sehr viel eher bereit, auf diese Anliegen einzugehen. Das französische Gericht sagte: Battisti darf und muss ausgeliefert werden. Der Terrorist bezeichnete sich fortan als unschuldig. An den ihm zur Last gelegten Morden sei er nicht beteiligt gewesen, in Italien würde man ihn ermorden.
In Frankreich inszenierten die Intellektuellen eine laute Solidaritätskampagne für Cesare Battisti. An ihrer Spitze engagierte sich die international erfolgreiche Krimi-Bestsellerautorin Fred Vargas – die auch schon den deutschen Krimi-Preis bekam – für den Terroristen. Bernard-Henri Lévy wollte ebenso seine Auslieferung verhindern und machte seinen ganzen Einfluss geltend. Viele Prominente schlossen sich der Kampagne an – die Stadt Paris ernannte Battisti offiziell zum „Ehrenbürger“.
Groß war die Empörung in Italien – auch unter den linken Intellektuellen. Voller Entsetzen kommentierte Claudio Magris die Haltung der Pariser Kollegen, ihre arrogante Herablassung gegenüber Italien und ihre Nachsichtigkeit gegenüber brutalster Gewalt.
Anders als Mitterrand waren Präsident Chirac und sein Premierminister Villepin nicht bereit, Battisti zu begnadigen. Sie hätten sich weigern können, das Dekret zur Auslieferung zu unterschreiben. Battisti, der schon in Auslieferungshaft saß, kam während des Wartens auf einen Rekursentscheid frei – und tauchte unter. Dabei konnte er auf effiziente Unterstützung zählen. Wahrscheinlich auch auf die Komplizenschaft der Polizei: Für Frankreich war damit das innen- und außenpolitisch lästige Thema vom Tisch.Während seiner Flucht schrieb Battisti ein Buch, „Ma cavale“. Vorwort: Fred Vargas. Nachwort: Bernard-Henri Lévy.
Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich wurde er vor fast zwei Jahren verhaftet – in Brasilien. Und ins Gefängnis gesteckt. Die Verhaftung erfolgte dank konkreter Hinweise aus Paris, wo man dank der Sympathisanten, die Battisti unterstützen, sehr genau wissen konnte, wo er war. Die französische Veranstalterin eines Krimi-Festivals war mit 9000 Euro in bar nach Rio geflogen, bei der Übergabe konnte Battisti verhaftet werden. „Sarkozy wollte im Wahlkampf einen Coup lancieren“, sagte Fred Vargas und irrte sich kaum. Er bekam von der schweigenden Mehrheit den Bonus der Verhaftung – war aber zu Hause das Problem Battisti los. Auch Italien applaudierte und verlangte die Auslieferung. Die war bis vor wenigen Tagen auch eine beschlossene Sache.
Doch vor gut einem Jahr trat Carla Bruni ins Leben von Nicolas Sarkozy. Die aus Italien stammende Familie kam aus Angst vor den Roten Brigaden nach Frankreich, wo sie sich in den siebziger Jahren niederließ. Carla Bruni ist im Milieu der linken Intellektuellen zu Hause – und vor wenigen Wochen hat sie schon einmal verhindert, dass eine Ex-Terroristin, die sich im Gefängnis schier zu Tode gehungert hatte, ausgeliefert wurde. Und jetzt hat ganz offensichtlich ihr Einfluss dazu geführt, dass Brasilien sich anders besinnt und Battisti politisches Asyl gewährt.
Das bestätigen nicht einmal nur Battistis Anwälte in Frankreich und Brasilien. Dank Carla Bruni konnte sich Fred Vargas mit Nicolas Sarkozy unterhalten – das stärkte ihre Position gegenüber den brasilianischen Behörden. Man darf allerdings auch vermuten, dass Sarkozy und Carla direkt für Battisti eintraten. Kurz vor Weihnachten waren sie in Brasilien. Zahlreiche wirtschaftliche Verträge wurden abgeschlossen – Waffenlieferungen inklusive.
In Italien hat die völlig überraschende Kehrtwende des brasilianischen Justizministers eine Welle der Empörung ausgelöst. Seine Regierung appellierte umgehend an Staatspräsident Lula. Doch Lula bestätigte das politische Asyl für den ehemlaigen Terroristen und erklärte, Italien müsse den souveränen Entscheid respektieren, Brasilien sei schließlich keine Bananenrepublik.
Battisti, seit fast zwei Jahren in Brasilia im Gefängnis, kann jetzt stündlich mit seiner Freilassung rechnen.