500 Euro kostete das Gedeck, aber man brauchte auch noch eine spezielle Einladung. Und die bekamen nur verdienstvolle Unternehmer, Sponsoren, Mäzene, Sammler – zum Beispiel Pierre Bergé. Auch die Kulturministerin Christine Albanel kam. Das Galadiner fand in der Bibliothèque Nationale in Paris statt. Journalisten waren auch am Katzentisch nicht willkommen. Das Trinkgeld übersteigt bei solchen Veranstaltungen in aller Regel den Preis für die Mahlzeit. So waren vor Jahresfrist in der Bibliothèque Nationale 200 000 Euro zusammengekommen. Damit konnte ein Werk von Anselm Kiefer – eine Hommage an Paul Celan – erworben werden.
In der Bibliothèque Nationale François Mitterrand findet das Galadiner jährlich statt. Es gibt ähnliche mondäne Veranstaltungen für die Förderung der Kunst und der guten Beziehungen in den besseren Kreisen auch im Louvre und anderen Institutionen des Kulturstaats. Private können inzwischen ganze Säle mieten. Zur Finanzierung trägt auch die Vermietung für Filmproduktionen ein Scherflein bei. Dazu dienen die Tage, an denen die Kulturtempel für das Publikum geschlossen sind. Der Louvre ist ein richtiges Unternehmen geworden und dessen Chef mehr Manager denn Kunsthistoriker.
Alles nicht der Rede wert – doch in der Bibliothèque Nationale, wo man das Essen wohl kaum aus der Kantine auffuhr, wäre man aus anderen denn kulinarischen Gründen gerne dabei gewesen. Denn Ehrengast war der verstorbene Guy Debord, der Begründer des Situationismus und seiner Internationale. Man hat sie nicht ganz zu unrecht zu den Vorläufern des Mai 68 und des Terrorismus in Deutschland hochstilisiert. Auch wenn die Konstruktion „vom Text zur Tat“ eine heikle und nicht kausale ist, darf man doch auf die vielen Bezüge hinweisen.
Guy Debord galt und gilt vielen als schärfster Kritiker der Konsumgesellschaft und Visionär des Medientotalitarismus. Er hatte einen Sponsor und Mäzen, den er gerne öffentlich beschimpfte. Er starb 1994 durch eigene Hand. Jetzt sollte sein Nachlass nach Amerika verkauft werden. Notizen, Drehbücher, das Manuskript seines Essays „Die Gesellschaft des Spektakels“. Auch unveröffentlichte Kommentare zu Hegel, Clausewitz, Machiavelli. Und die Aufzeichnungen seiner Träume. Feinsäuberlich war alles aufgelistet und aufgearbeitet worden. Die Witwe Alice Debord unterzeichnete einen Vertrag mit der Universität von Yale. Doch Anfang des Jahres legte der französische Staat sein Veto ein: kein Export – schon gar nicht nach Amerika. Debord wurde zum „trésor national“ erklärt. Sein Nachlass muss zu Hause bleiben. Doch enteignen kann man die Witwe auch nicht ganz: der Staat muss in etwa den gleichen Preis, den die Amerikaner boten, bezahlen. Sonst läuft die Sperrfrist ab und der Nachlass – inklusive Holztisch, Sonnebrille etc – geht doch über den großen Teich. Dafür wurde am Galadiner in der Bibliothek plädiert und gesammelt.
Im linken „Monde diplomatique“ hat Guy Scarpetta Debord nochmals als Avantgardist aller Avantgarden gelobt: alles hat er vorausgesehen. Im feinen „Figaro“ hat für die Literaturbeilage Pierre-André Taguieff die Selbststilisierung des Guy Debord nach Strich und Faden auseinander genommen. Er verspottete seinen Geniekult in eigener Sache und seine Obsession am Archivieren: bürgerlicher hätte der selbsternannte intellektuelle Terrorist, der sich im Hass der Gesellschaft auf ihn suhlte, nicht handeln können. Ein „Schriftsteller ohne Werk“ nennt ihn Taguieff, und sein genauso inszenierter Suizid sei doch nur das Eingeständnis gewesen, dass ein Werk auch nie mehr folgen würde. Er verhöhnte seine Subversion und Gesellschaftskritik – gar nicht nur bezüglich des Galadiners, das die Mittel zum Kauf seines Nachlasses freisetzen soll. Langfristig. Denn auch mit einem vielfachen Trinkgeld des Preises für das gute Essen ist es in diesem Fall nicht getan.
Ja, man wäre gerne dabei gewesen, als die feinen Damen und Herren des Pariser Establishments in den heiligen Hallen der Nationalbibliothek zu Messer und Gabel griffen. Die anwesende Witwe habe sogar erlaubt, dass man das Originalmanuskript der „Gesellschaft des Spektakels“ zeige. Haben sie mit dieser Vorstellung nicht auch noch die wirrsten Theorien Guy Debords verwirklicht? Das sagen seine empörten Anhänger. Taguieff schreibt vielmehr, dass schon dieses letzte Abendmahl für den Situationisten in seiner Selbstverklärung angelegt sei.
Wir wollen diese heikle Frage nicht beantworten. Aber amüsiert hätten wir uns zweifellos angesichts dieser neuen Form von Situationskomik.