Der 4. Juli, neunzehnter Tag auf der Grenzsteintrophy-Strecke. Ich komme bis nach Hirschberg. Und schon am Morgen gratuliere ich mir, dass ich nicht versucht habe, den Anstieg hinter Nordhalben noch am Abend zu schaffen. Erst geht es steil hinunter nach Grund, wo die Straße gesperrt ist, weil der Sturm so viele Bäume auf die Fahrbahn geworfen hat, dass die Forstleute wohl noch Tage zu tun haben werden. Die Neue Presse, Ausgabe Kronach, warnte beim Frühstück ausdrücklich vor Waldspaziergängen und hatte als Aufmachung die gute Nachricht, dass der Preis der Maß beim Kronacher Freischießen konstant bleibt: 6,90 Euro.
Und dann geht es wieder brutal hinauf gen Heinersberg. Und das bleibt nicht der einzige Buckel, der an diesem Tag zu bewältigen ist. Nach dem Knöcklein – welch niedlicher Name für eine Höhe von knapp 700 Meter – hoffe ich zwar, es so ziemlich geschafft zu haben, wo am Weg gen Blankenstein das große blaue R wie Rennsteig prangt, aber vergebens. Bei Sparnberg wird mein Fluchen ziemlich unchristlich, denn da ist noch eine kleine Sonderprüfung eingebaut worden, anstatt den Weg über Rudolphstein an der Saale entlang zu nehmen. Die Pensionswirtin in Hirschberg serviert mir ein Begrüßungsbier, ruft im Ort an, ob das von ihr empfohlene Restaurant auch auf hat, und ich? Ich bin so erschossen, dass ich nach dem Waschen auf dem Bett umsinke und ohne Abendessen einschlafe.
Es bleibt spannend bis zuletzt: Am Morgen des 5. Juli ein gemütliches Frühstück mit der Pensionswirtin in Hirschberg, die mich dazu überreden will, auf einem etwas anderen Weg nach Mödlareuth aufzubrechen. Kaum bin ich aus Hirschberg raus, brav dem Track an der Saale und dem Kammweg folgend, fängt es an zu regnen, und ich frage mich, warum ich eigentlich nicht auf wohlmeinende Ratschlägen höre. Der Weg wird zunehmend glitschiger, und dann verfahre ich mich auch noch. Ein radwandernder Vater mit zwei Kindern kommt mir entgegen: Da vorn gehe es nicht weiter. Das will ich sehen, und tatsächlich: Dieser Weg endet im Wasser, an einer Badeleiter hinunter zur Saale. Über die ich vorher hinweg geradelt bin, nicht auf einer Brücke querend, sondern auf einem Holzsteg, der unter die Felsen gehängt worden ist, entlang des Flusslaufs.
Dass ich nicht der einzige GST-Fahrer bin, der sich hier mit der Strecke vertan hat, die tatsächlich knapp neben diesem Pfad zum Wasser liegt, zeigt mir ein Fund: eine leere Trinkflasche mit dem Aufdruck ¨Rouleur¨ der bekannten Radsport-Zeitschrift. Die Flasche ist mitsamt dem Flaschenhalter vom Rad abgebrochen. Wer vermisst eine Flasche – möglicherweise einer der englischen Teilnehmer?
Ich komme schließlich in Mödlareuth an, wo die Grenze ein Stück weit geradezu gespenstisch noch nach der Grenze aussieht, wie sie in DDR-Zeiten war. Der kleine Ort ist wie ein Freilichtmuseum, ich trinke in der stechenden Sonne ein alkoholfreies Bier und mache mich weiter; hier war ich schon mal. Der Hubschrauber steht nicht mehr am Parkplatz, sehe ich noch. Und der radwandernde Vater, der hier mit seinen Kindern rastet, fragt mich, ob ich an der Badestelle durchgekommen sei: Nein, umgekehrt und neu angesetzt.
Von der Mittagszeit an fahre ich, schiebe ich, fahre ich vor einem Gewitter her. Im Kopf ist es schon zu spüren und es hängt rabenschwarz in meinem Nacken. Nachmittags gegen vier hat es mich eingeholt. Ich kreuze gerade auf dem vermaledeiten Holperweg die Straße zwischen Sachsgrün und Gassenreuth, als mich die ersten Tropfen treffen. Rasch entschlossen fahre ich auf der Straße nach Gassenreuth hinein. Zu meinem Glück! Ich kann mich gerade noch in ein Bushäuschen verkriechen, dann geht ein schweres Gewitter nieder. Es rummst gewaltig, Hagel und Starkregen wechseln, schließlich stehe ich klamm in einer braunen Brühe, die über den niedrigen Rinnstein auf mich zugeschossen kommt. Alles ist klitschnass, und die Ortliebtaschen können zeigen, dass sie tatsächlich wasserdicht sind. Ich mache mir Sorgen um die Buchsen des Handys, aber das bleibt in der Lenkertasche trocken.
Um mich zu beschäftigen, operiere ich mein Bein: Seit zwei Tagen quält mich ein infizierter Biss von Wer-weiß-was-für-einem Biest an der rechten Achillessehne, ich schneide die hässliche Blase auf, entferne die Haut, lasse alles etwas bluten und versorge die 5-Cent-große Stelle dann mit einem sauberen Pflaster. Was mich am Meisten wurmt: Laut GPS sitze ich genau 4,02 Kilometer vom Ziel entfernt in der besseren Hundehütte. Hätte ich doch bloß in Mödlareuth gar nicht gerastet, ja, hätte ich.
Und dann klart es auf, die Sonne scheint, ein schöner Abend, wenigstens am Himmel, während der Rest der Strecke wieder glitschig und voller Matschlachen ist. Das Wasser steht in meinen Schuhen und das nasse Gras putzt mir das Rad und die verspritzten Taschen. So komme ich an Mittelhammer vorbei zum Ziel dieser Reise: Am zwanzigsten Tag auf der GST-Route, Donnerstag, 5. Juli 2012, 18:41 Uhr verkünde ich meiner Digitalkamera, dass ich angekommen bin. Laut GPS bewege ich mich ein paar Meter um den Endpunkt der GST herum, auch zwei, drei Schritte in die Tschechische Republik hinein, aus der eine blasse Elfe im kurzen Kleid herüberhüpft, die das just Gleiche in entgegengesetzter Richtung tut: ein paar Fotos knipsen vom Dreiländereck. Ich halte mich kaum zehn Minuten an dem idyllisch murmelnden Grenzbach auf. Die Mücken machen mich verrückt.
Zurück nach Mittelhammer, hinauf zum Wachtturm und nach Pabstleithen, wo mich dann der Oberhammer erwartet: Das Lokal ¨Zur gemütlichen Kleintierschänke¨, wo das Buch für die Finisher der Grenzsteintrophy ausliegt, macht erst am Freitagnachmittag auf. Unter der angegebenen Telefonnummer meldet sich nur ein ziemlich uninteressiert klingender Anrufbeantworter. Das Glücksgefühl ¨Geschafft!¨wandelt sich zu einem säuerlichen ¨Auch das noch…¨
Ganz im Grünen: die Pension am Ziel in Pabstleithen (Foto: py)
Kurze Telefonkonferenz mit GST-Initiator Gunnar Fehlau, er hat in Göttingen auch keine bessere Telefonnummer, schickt aber per SMS die Adresse und Rufnummer einer Pension im nächsten Ortsteil von Eichigt. Und dort werde ich bei Familie Klemm in der Pension Fröschel auf das Allerherzlichste aufgenommen. Tschechien ist hier so nahe, dass e-plus mich im EU-Ausland begrüßt – mit den entsprechenden Roaming-Tarifen.