Haymat

Haymat

Mehr als zwei Millionen Menschen türkischer Abstammung leben in Deutschland. Was sie beschäftigt, wissen wir zu wenig. Ihre Referenzpunkte liegen

Meine Familie ist türkisch

| 6 Lesermeinungen

Trotz Anfeindungen unterschreiben immer mehr Türken die Armenier-Petition. Die Unterzeichner sind ein Querschnitt durch die türkische Gesellschaft: Juristen, Krankenschwestern, Ingenieure, Schüler, Kellner und Hausfrauen sind darunter. Ist das der Beginn einer sozialen Bewegung in der Türkei?

Nachdem Canan Aritman, eine Abgeordnete der Partei CHP, Staatspräsident Abdullah Gül vergangene Woche vorgeworfen hatte, er verurteile die Armenier-Petition nur deshalb nicht, weil seine Mutter armenische Wurzeln habe, hat Gül gestern eine Erklärung abgegeben: Sowohl die Familie seines Vaters als auch die seiner Mutter seien türkisch und muslimisch, das gehe aus jahrhundertealten Aufzeichnungen hervor. Er respektiere alle ethnischen Hintergründe und Glaubensrichtungen, die es im türkischen Volk gebe, heißt es in der Erklärung. Gül betonte, dass es für ihn keine Unterschiede zwischen den Bürgern gebe und dass alle die gleichen Rechte hätten.

Es ist bedauerlich, wenn ein Staatspräsident sich gezwungen sieht, seine Äußerungen mit Hinweis auf die Genealogie seiner Familie zu verteidigen. Warum hat Gül nicht einfach zu diesem rassistischen Angriff geschwiegen?

Mehr als zwanzigtausend Türken haben die Petition inzwischen unterzeichnet. Die vielen Unterschriften sind schon jetzt eine Sensation, denn eine lange Tradition zivilgesellschaftlichen Engagements gibt es in der türkischen Gesellschaft nicht. Die Liste zeigt einen Querschnitt durch das türkische Volk: Lehrer, Schüler, Kellner, Krankenschwestern, Journalisten, Ingenieure und Anwälte sind darunter, die meisten von ihnen leben in der Türkei. Die Petition zu unterzeichnen erfordert Mut – wie die Reaktionen zeigen, riskieren die Unterzeichner gerichtlich dafür belangt, verfolgt, beleidigt und sozial geächtet zu werden.

Die Kritiker des offiziellen Verschweigens der Massaker, eine Minderheit europäisierter Intellektueller ohne politisches Mitspracherecht, stand bisher immer allein da. Mit einem einfachen zivilgesellschaftlichen Mittel ist es ihnen gelungen, der Verleugnungsstrategie und den Interessen der türkischen Regierung eine Stimme entgegenzusetzen, die sich, sollten noch mehr Menschen die Petition unterzeichnen, zu einer sozialen Bewegung auswachsen könnte.

Türkische Schulbücher schweigen über die Massaker von 1915, Publikationen, die etwas anderes als die offizielle Geschichtsschreibung behaupten, werden zensiert oder verhindert. Verlagshäuser, die sich diesem Diktat nicht beugen wollen, treibt der Staat durch hohe Geldstrafen in den Ruin. Kann er diese Strategie noch lange aufrechterhalten?

Die Initiative im Internet ist der bisherige Höhepunkt eines schwierigen Enttabuisierungsprozesses, der vor drei Jahren mit einer Konferenz in Istanbul über das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich begonnen hat. Das Treffen fand damals unter Polizeischutz statt und wurde von wütenden Protesten türkischer Nationalisten begleitet. Erstmals in der türkischen Geschichte konnten Akademiker, die nicht der offiziellen Staatslinie folgen, ihre Sicht auf die Armenier-Frage öffentlich vortragen. „Sogar das Wort Völkermord wurde ausgesprochen, und die Welt dreht sich immer noch“, freute sich die linksliberale Zeitung „Radikal“ damals nach der Konferenz. Der Prozess konnte auch nicht durch die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink, der wegen seiner Äußerungen zur Armenier-Frage wegen „Beleidigung des Türkentums“ nach Artikel 301 verurteilt worden war, gestoppt werden. „Wir alle sind Armenier“ stand auf den Plakaten der Demonstranten, die sich im Januar vor zwei Jahren am Tag seiner Beerdigung in türkischen Städten versammelt hatten.

Heute berichtet außerdem der Kolumnist Sahin Alpay in der Zeitung „Today’s Zaman“ darüber, warum er die Petition unterzeichnet hat (www.todayszaman. com). Zunächst stellt er klar, dass er nicht die Sicht vieler armenischer Nationalisten teile, die behaupteten, „dass die Tragödie, die im Jahr 1915 über die Armenier im Osmanischen Reich gekommen ist, mit dem Völkermord an den Juden durch das nationalsozialistische Regime während des Zweiten Weltkrieges verglichen werden kann“. Dass er dennoch unterzeichnet hat, begründet Alpay folgendermaßen:

„Natürlich bin ich nicht persönlich für die Tragödie verantwortlich, die über die Armenier im Osmanischen Reich gekommen ist. Ich empfinde jedoch eine tiefe Trauer und ein tiefes Bedauern für eine Tragödie, unter der Landsmänner von mir gelitten haben. Eine Tragödie, die von den staatlichen Autoritäten vertuscht und zu einem Tabu gemacht worden ist. Der Hauptgrund, warum ich die Petition unterschrieben habe, ist, dass ich mich aus Gewissensgründen dazu verpflichtet gefühlt habe. Zweites möchte ich, dass die Demokratisierung in der Türkei so voranschreitet, dass das Land sich seiner Vergangenheit stellen kann und dass es kein Thema gibt, dass vertuscht bleibt. Drittens halte ich es für sehr wichtig, dass die historische Freundschaft, die Türken und Armenier über Jahrhunderte verbunden hat, bevor das Zeitalter des Nationalismus anbrach, wiederaufgenommen wird und dass sich die Beziehungen zu unserem Nachbarstaat Armenien normalisieren. Ich möchte, dass es endlich ein Ende mit diesen ,Genozid-Resolutionen‘ hat, die ausländische Parlamente verabschieden und die Animositäten damit nur vorantreiben.“


6 Lesermeinungen

  1. buket-medien sagt:

    Als ich in der FAZ.net...
    Als ich in der FAZ.net Übersicht diesen Blog vorfand, war ich überrascht und erfreut, die kurze Beschreibung hörte sich auch sehr Interessant an. Aber irgendwie verstehe ich den Sinn des Blogs nicht? Ich dacht es geht um „Deutsche türkischer Abstammung“, um das „Zusammenleben“ in Deutschland, aber statt dessen kommentieren alle Blogs nur ein (nicht besonders positives) innenpolitisches Thema aus der Türkei!
    Nur EIN und DAS SELBE Thema.
    Die erste Freude ist verflogen und wenn ich mich über innenpolitische Ereignisse in der Türkei informieren will, da gibt es doch die kompetenten Kommentare von Rainer Hermann, wofür brauche ich um gotteswillen diesen Blog?
    Aber… jetzt verstehe ich erst…, ich war zu voreilig, natürlich bin ich (als „Deutschtürke“) gar nicht die Zielgruppe dieses Blogs!! Genau, solche wie ich lesen eigentlich die FAZ doch gar nicht!
    Ja dann, viel Spaß noch.

  2. Wo ist meine Kommentar ?

    Was...
    Wo ist meine Kommentar ?
    Was ist das bloß für eine Zeitung, die wild um sich schießt und den Dialog mit ihren Lesern verneint ?

  3. Superpirtik sagt:

    Wir duetschlandtürken lesen...
    Wir duetschlandtürken lesen FAZ nicht! Schon gar nicht wegen diese Schlampe!

  4. WebbStar sagt:

    Kopftuch oder barfuss

    „So...
    Kopftuch oder barfuss
    „So kann man das nicht sehen…“ werden vielleicht manche sagen und wissen sofort was gemeint ist. Niemals barfuss in die Moschee und ohne Kopftuch zum „Ballermann“. Jetzt passt es besser? Dann käme noch das Bild eines Bosporusstämmigen mit einem vollen Bierhumpen und ’ner deftigen Schweinshaxe dazu und schon ist er fertig: der knitterfreie Euro-Türke für den täglichen Gebrauch.
    Aber das Bild ist gestellt, montiert und keineswegs realitätsnah. Etwas fehlt doch. Mit welcher Hand soll denn Kollege „Ali“ die Gebetskette halten, die den ganzen Tag durch seinen Daumen wandert? Also doch lieber oane Moaß-Bier? Islam und Alkohol? Da stimmt was nicht, steht doch der Genuss von Alkohol an 13. Stelle, unter den 20 größten Sünden.
    Hier unterscheidet sich der Koran deutlich von der Bibel. Jesus selbst verwandelte schließlich Wasser zu Wein und Wein enthält bekanntlich Alkohol. „Man kann eben nicht alles nüchtern ertragen“, könnte man die Szene untertiteln. Und „halb-besoffen ist rausgeschmissenes Geld“, weiß der Leberinsuffiziente zu berichten.
    Arbeit bei den Arbeitslosen.
    Auch steht in der Bibel etwas vom „gelobten Land“. Das scheint für einige Leute Deutschland zu sein. Hierzulande herrscht zwar überwiegend Parkplatzmangel, denn weniger „eitel Sonnenschein“, doch das kann den Reisewilligen aus Anatolien nicht davon abbringen, hier seine Zelte aufzuschlagen, sei es auch nur für ein paar Jahre.
    Man findet immer eine Arbeit und sei sie noch so mies. Der Deutsche ist seit der Migration wählerisch und verweigert so manche Erwerbsmöglichkeit. Früher war es noch der „Müllkutscher“ und heute ist es der Erntehelfer im Gewande eines Spargelstechers. „Für den Lohn mache ich mich nicht krumm…“ und krumm machen ist die vorrangigste Körperhaltung.
    Ob nun beim Erdbeerpflücken, beim Spargelstechen oder sonstigen Feldarbeiten, bücken muss man sich. Dass das Geld auf der Straße liegt und man sich somit danach bücken muss, ist vielen Landsleuten nicht mehr präsent. Die Frauen mit den Kopftüchern bieten hier Hilfestellung und erledigen unliebsame Jobs für wenig Lohn.
    Genügsamkeit heißt die Parole.
    Die kommen doch letztlich wegen der Arbeit hierher, dann müssen sie sich nicht wundern. Die sind genügsam, wohnen mit 12 Personen in einer kleinen Butze und schicken ihr gesamtes Geld eh nach Hause, also in die Türkei. Dort machen sich Oma, Opa und der Rest der Sippe einen Lenz damit und bauen ein 10-Familienhaus, Stein für Stein mit den eigenen Händen auf.
    Wenn das Haus dann fertig ist, kommen alle zurück in die Türkei, werden als wohlhabende Bürger angesehen und feiern ein großes Fest. Dem „gelobten Land“ sei Dank. Bis es soweit ist, verrichtet man niedere Arbeiten, hält sich „bedeckt“ und bleibt unter sich. Man spricht die Sprache des Landes nicht, in dem man eigentlich lebt und integriert sich auch sonst eher mangelhaft.
    Die Deutschen sind da völlig anders. Die passen sich immer und überall an, denn überall ist Deutschland. Auch im Ausland. Deutsche bringen es selbst nach 15 Jahren Auswanderung nicht zustande, ein Bier in der jeweiligen Landessprache zu bestellen und outen sich dort ebenfalls als „Ausländer“. Eine Gaststätte ohne Sauerkraut auf der Speisekarte taucht nun mal nichts. Selbst wenn das Ristorante an der ligurischen Küste liegt.
    Erholung für Leib und Seele.
    Und Wein aus Italien kann man auch beim Discounter um die Ecke kaufen. Tetra-Pack macht’s möglich. Ebenso die Salami, die Pizza und eine CD mit „O sole mio“. In die Türkei reist man so betrachtet nur wegen der Sonne, der Kultur und …. tja, warum bloß noch. Wegen der Speisekarte wohl weniger. Der Döner ist ein Imbiss und – wer hätte es vermutet – hatte seine Geburtsstunde nicht in Istanbul, sondern in Berlin.
    Eine türkische Familie scheint der deutsche Urlauber selbst in der Türkei nie kennen zulernen. Wen wundert es dann, wenn es hierzulande „Migrationsprobleme“ gibt und die Integrierung unserer ausländischen Bürger zur Hürde gerät. Sind Dänen und Österreicher eigentlich auch Ausländer, oder steuert der Ausdruck nur bestimmte Geographien, wie z.B. die Türkei an?
    Avanciert ein Land wie die Türkei, welche mit der Gesetzgebung noch teilweise im Mittelalter steckt, zur Europäischen Nation? Das wäre doch toll. Bräuchten sich die dort Beheimateten nicht mehr auf den Weg hierher machen, wenn man den ganzen Kram schriftlich regeln und bestimmen kann.
    Ausland ist (fast) überall.
    Kein Kopftuch mehr in unseren Gassen und kein Döner Kebap mehr an der Ecke. Die Currywurst triumphiert wieder als „Nationalspeise“ und der saftige BigMac aus reinem Rindfleisch…äh…
    Moment mal. Kommt der BigMac nicht aus Amerika? Sind die Amerikaner demnach keine Ausländer…
    lG
    Lutz Spilker

  5. RssFeed sagt:

    Ich stelle die ...
    Ich stelle die journalistische Kompetenz der Autorin in Frage.
    Wie oben schon erwähnt ist der Überschrift total irrelevant im Bezug auf den Inhalt.
    Wieso wird der Leser Stück für Stück im Laufe des Textes mit der Armenier Frage konfrontiert?
    Will die Autorin damit politisch etwas erreichen?

  6. kaktusfeige sagt:

    Ich finde es sehr mutig, dass...
    Ich finde es sehr mutig, dass Frau Krüger sich dieses Themas angenommen hat, kompetent darüber berichtet und beiden Seiten die Möglichkeit bietet, dazu Stellung zu nehmen. Leider musste ich viele Beiträge lesen, die in ihrer unflätigen, rücksichtlosen Art auf nicht mehr als verletzten Stolz und Unkenntnis hinweisen.

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