Haymat

Abschied von Multikulti

Heute Abend heißt es Abschied nehmen: Abschied von Radio Multikulti. Zwei Stunden vor dem Jahreswechsel wird der RBB den Sender abschalten. Auf der Berliner UKW-Frequenz 96,3 wird danach das WDR-Programm Funkhaus Europa aus Köln zu hören sein. Doch das Programm ist ein schlechter Ersatz – mit Radio Multikulti geht mehr als eine Berliner Ära zu Ende.

Der Auftrag zur Gründung von Radio Multikulti lautete, in der Hauptstadt ein Hörfunkprogramm zur Integration von Minderheiten anzubieten. Federführend bei der im Jahr 1993 entstandenen Idee waren die Grünen. Kurz zuvor hatte es die Anschläge von Solingen und Mölln gegeben – alle fanden die Idee deshalb gut. Mit Radio Multikulti sollte ein Zeichen gesetzt werden, dass es auch anders geht. Der Sender war von Anfang an ein politisches Symbol.

Radio Multikulti hat achtundzwanzig festangestellte Mitarbeiter, acht davon stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Russland, Polen, Dänemark und aus der Türkei. Die Moderatorensprache von 6:00 bis 17:00 Uhr ist Deutsch, ab 17:00 Uhr wird in verschiedenen Sprachen gesendet. Unter anderem auch auf Türkisch. Die türkische Redaktion im Senderhaus in der Berliner Masurenallee gab es schon vor der Gründung von Radio Multikulti; sie existiert seit vierunddreißig Jahren. „Gastarbeitersendung“ hieß das Programm damals noch, gesendet wurden erst zehn, dann fünfzehn Minuten am Tag. Aus den „Gastarbeitern“ wurden irgendwann  „ausländische Mitbürger“, dann „Deutsche mit Migrationshintergrund“. Seit der Gründung von Radio Multikulti im September 1994 sendete die türkische Redaktion eine Stunde am Tag.

Das Bedürfnis, auch in der Sprache der eigenen Herkunft informiert zu werden, einen Sender zu haben, der aktuelle Musik aus dem Land spielt, in dem ein Teil der eigenen kulturellen Wurzeln liegen, Themen von Menschen aufbereitet zu bekommen, deren Familien die Erfahrungen der Entwurzelung und Migration teilen, besteht noch immer. Radio Multikulti offerierte ein Programm, das sich auf sehr hohem Niveau mit Fragestellungen des türkischen Lebens auseinandersetzte. Ein Medium, das dies auf vergleichbare Weise erfüllt, gibt es in Deutschland nicht. Radio Multikulti war immer ein Gegengewicht zu jenen türkischsprachigen Medien, deren Berichterstattung vor allem auf Themen aus dem Boulevard abzielt.

Radio Multikulti war fest in Berlin verankert; nahm mit seinen Berichten direkt Bezug auf türkische Veranstaltungen und türkisches Leben in der Region und widmete sich Fragestellungen, mit denen Migranten sich in der Hauptstadt konfrontiert sahen. Das von Köln aus sendende Funkhaus Europa wird das nicht leisten können.  Zwar hat es ebenfalls ein vielsprachiges Programm rund um die Uhr. Auf Berlin bezogene regionale Programmstrecken passen jedoch nicht in das Format.

Es wird also ein trauriger Abend werden.       

Der Protest von Hörern und auch jenen, die Radio Multikulti nicht hörten, doch in dem Sender einfach eine gute Sache sahen, ist ungehört geblieben. Auch die über 30 000 gesammelten Unterschriften konnten den RBB von seiner im Mai gefällten Entscheidung nicht mehr abbringen. Der Grund für die Schließung ist Geld: Dem RBB fehlen in der Gebührenperiode von 2009 bis 2012  fast 54 Millionen Euro. Schätzungen sprechen von 12 Millionen Euro, die durch die Einstellung von Radio Multikulti gespart werden können.

Eine andere, sehr positive Entwicklung spielt sich derzeit in der Türkei ab. Ab morgen wird es das erste Mal in der Geschichte der türkischen Republik einen vom Staat initiierten kurdischsprachigen Fernsehsender geben: TRT 6. Das Programm soll ein Gegengewicht zu dem aus Dänemark sendenden kurdischsprachigen  Roj TV sein, der als Sprachrohr der PKK gilt. Fernsehprogramme auf Persisch, Arabisch und Armenisch sollen folgen. Außerdem hat TRT angekündigt, dass es von Februar an einen armenischsprachigen Hörfunksender geben wird. Zudem sind Sendungen geplant, die sich der alevitischen Kultur widmen.

Ich wünsche allen ein schönes Neues Jahr! Yilbasiniz kutlu olsun!

 

 

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