Ein Politiker, der es wagt, in den heiligen Hallen des türkischen Parlaments Kurdisch zu sprechen? Das hatte seit dem Skandal im Jahr 1991, als Leyla Zana ihren Eid vor dem Parlament auf Kurdisch ablegte, niemand mehr gewagt. Kein Wunder: Seit dem Militärputsch im Jahr 1980 ist die kurdische Sprache im Parlament verboten, Gleiches gilt für den Schulunterricht und für offizielle Anlässe. Doch nun hat gestern wieder ein Politiker im Parlament das Wort auf Kurdisch ergriffen: Ahmet Türk, der Vorsitzende der prokurdischen Partei DTP.
Am 21. Februar sei der „Internationale Tag der Muttersprache“ gefeiert worden, der daran erinnere, dass jeder Mensch in seiner eigenen Sprache sprechen solle. „Niemand bestreitet die Tatsache, dass Türkisch die offizielle Sprache des Landes ist. Wir wollen, dass das Verbot endlich aufgehoben wird, Kurdisch zu sprechen. Deshalb werde ich jetzt meine Rede auf Kurdisch fortsetzen“, erklärte Türk und wechselte ins Kurdische. Das Verbot habe für viel Leid unter den Kurden gesorgt, sagte Türk in seiner Muttersprache und erinnerte an die vielen jungen Kurden, die während des Militärputschs im Jahr 1980 verhaftet worden sind. „Ihre Eltern, die nicht Türkisch sprachen, wollten bei Besuchen im Gefängnis auf Kurdisch mit ihren Kindern sprechen. Das durften sie aber nicht – sie verließen das Gefängnis mit gebrochenem Herzen“, sagte Türk. Doch von seinen Worten erfuhr die türkische Öffentlichkeit erst am nächsten Morgen. Denn der staatliche Fernsehsender TRT3, der die Parlamentsrede live sendete, schaltete die Übertragung sofort ab, als Türk ins Kurdische switchte.
Wie ernst ist es der Türkei mit ihrer Minderheitenpolitik? Viele von Erdogans Schritten in den vergangenen Monaten lesen sich als Versuch, die kurdische Bevölkerung des Landes endlich in die türkische Gesellschaft zu integrieren: Seit dem 1. Januar gibt es einen staatlichen Fernsehsender, Kanal TRT 6, der rund um die Uhr in Sorani und Zaza, den beiden von Kurden gesprochenen Sprachen des Landes, sendet. Und am vergangenen Samstag lobte Erdogan bei einer Wahlkampfrede – Ende März sind Kommunalwahlen in der Türkei – die ethnische Vielfalt des Landes: Zur türkischen Republik gehörten selbstverständlich auch die Kurden dazu. „Wir alle sind wichtige Elemente dieses Landes. Jeder von uns ist ein Bürger erster Klasse. Niemand ist wichtiger als der andere“, sagte er in der osttürkischen Stadt Diyarbakir. Später kündigte er an, dass seine Partei die Überführung des im Jahr 2002 in Frankreich verstorbenen Sängers Ahmet Kaya veranlassen wolle. Gegen den Sänger hatte es eine Medienkampagne gegeben, nachdem er angekündigt hatte, in seiner Muttersprache, auf Kurdisch, singen zu wollen. Das Wohlwollen vieler kurdischer Wähler war Erdogan damit gewiss. In den östlichen Provinzen ist die DTP von Ahmet Türk übrigens die große Konkurrentin von Erdogans Regierungspartei.
Türks Intervention in kurdischer Sprache wurde heftig kritisiert. Cihan Paçaci, der Generalsekretär der nationalistischen Partei MHP machte die Regierung für den Vorfall verantwortlich: Indem sie einen kurdischsprachigen Fernsehsender ermöglicht habe, habe sie den Weg für derartige Vorfälle geebnet. Abgeordnete der Oppositionspartei CHP verlangten, dass Türks Rede rechtliche Konsequenzen haben müsse. Gegenüber der Presse sagte Türk später, dass er den Parlamentssprecher nicht von seinem Vorhaben, die Rede auf Kurdisch zu halten, informiert habe. Es sei eine Parteientscheidung gewesen: „Ich habe über die Schönheit und den Reichtum von Sprachen gesprochen. Wenn der Ministerpräsident Kurdisch sprechen kann, dann kann ich das auch“, sagte Türk. Damit bezog sich der Politiker auf Erdogans Glückwünsche zum Sendestart von TRT 6: Der Ministerpräsident hatte Anfang Januar dem Sender auf Kurdisch gratuliert, mit den Worten: „Möge TRT 6 der Türkei Gutes bringen.“
Türk wird sich wahrscheinlich vor Gericht verantworten müssen. Gleichzeitig hat sich mit seiner auf Kurdisch gehaltenen Rede der Druck auf das Verfassungsgericht, die DTP zu verbieten – der Partei wird Nähe zur PKK nachgesagt -, erhöht. Die Chancen der AKP, die Kommunalwahlen Ende März auch im Osten des Landes zu gewinnen, wären damit drastisch erhöht.