
Die Flüchtlingsunterkunft in Berlin Köpenick ist eine ehemalige Turnhalle. Mit Decken und Tüchern sind im hinteren Teil Schlafkabinen abgehangen, im vorderen Drittel spielen Kinder Fangen. Daneben ein paar Biertische und –bänke aus Holz, der einzige Treffpunkt für die Erwachsenen zum Zusammensitzen und Reden.
Hier trifft sich Modar mit Abdullah Hassoun und dessen Frau Malaka Khadija. Alle drei waren Studienkollegen an der Fakultät für Ingenieurwesen der Universität Aleppo. Kennengelernt haben sie sich aber erst hier in Deutschland, als Kriegsflüchtlinge. An diesem Samstag sitzen die drei über Formulare gebeugt in der Biertisch-Ecke der Flüchtlingsunterkunft. Modar in der Rolle dessen, der am längsten hier ist und eine Erfolgsgeschichte mit Happy End im Gepäck hat: Nach einem Praktikum in einem Berliner Ingenieurbüro und nach viel, viel Papierkram hat er einen festen Vertrag als Bauingenieur bekommen. Abdullah und Malaka sind noch längst nicht so weit. Aber echte Neuankömmlinge sind sie auch nicht mehr. Schon seit Herbst fristen sie ihr Dasein in der Turnhalle und wollen eigentlich nur eines: „Raus hier!“, wie Malaka sagt. „Etwas Sinnvolles tun“, so formuliert es Abdullah.
Gerade bemühen sich die drei um eine offizielle Anerkennung von Abdullahs und Malakas Uni-Abschlüssen; er ist Vermessungsingenieur, sie Bauingenieurin. Modar hat die Formulare schon einmal für sich selbst ausgefüllt und weiß, wie es geht. Er darf sich anders als die beiden anderen schon jetzt in Deutschland „Ingenieur“ nennen. „Wirklich gebracht hat mir das allerdings gar nicht so viel“, sagt er. „Das Entscheidende, um beruflich hier Fuß zu fassen, war für mich ein erfolgreiches Praktikum.“
Weil das so ist, hat er seinen neuen Freund Abdullah davon überzeugt, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Er hat ihm geholfen, Bewerbungen zu schreiben und ihm Tipps für Vorstellungsgespräche gegeben. Jetzt hat es funktioniert: in wenigen Tagen beginnt Abdullah ein vierwöchiges Praktikum. „Seit wir hier sind haben wir vor zu arbeiten, uns in das Leben hier in Berlin zu integrieren“, sagt Abdullah. Doch niemand habe ihm erklärt, wie genau er das angehen sollte. „Das Lageso hilft uns nicht.“ Modar dagegen habe ihm sehr geholfen, sagt Abdullah. Das Praktikum werde ihm einen Einstieg in die „wirkliche“ Arbeitswelt bieten. „Und wer weiß, vielleicht bekomme ich hinterher einen echten Arbeitsvertrag?“
Flüchtlinge helfen Flüchtlingen – was Modar derzeit unter Freunden im Kleinen macht, will er demnächst in größerem Stil anbieten. Vor kurzem hat er Philip Belau kennengelernt, einen Berliner Jungunternehmer, der gerade ein Startup gegründet hat. Belaus Idee: Eine Personalvermittlung, die Arbeitgebern Flüchtlinge als Arbeitskräfte andienen will. „Connecteer“ heißt die neue Initiative. Geht es nach Belau, soll Modar zum einen als Best-Practice-Beispiel herhalten. Zum anderen soll er in seinem Freundeskreis nach Leuten Ausschau halten, die gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben könnten. „Das können Akademiker sein, aber auch andere Fachkräfte“, sagt Belau. „Jeder, der etwas Handfestes gelernt hat, das auf dem Arbeitsmarkt wertvoll sein könnte.“ Erst vor wenigen Wochen ist Belaus neue Website online gegangen, nun stürzt er sich ins Geschäft. „Ich bin überzeugt, dass man Arbeitgeber und Flüchtlinge nicht völlig wahllos und ohne Hilfe zusammenbringen kann“, sagt Belau. „Die Arbeitgeber brauchen Tipps, wer zu ihnen passt, wen sie überhaupt beschäftigen dürfen und wie sie das angehen. Und die Flüchtlinge brauchen Tipps, wo es lohnt, sich zu bewerben.“
Wen die Arbeitgeber beschäftigen dürfen – diese Frage wird sich allerdings mit dem Aussetzen der so genannten „Vorrangprüfung“ demnächst deutlich weniger stellen als früher. Stolperten Modar und seine neue Chefin noch über die vielen Formalitäten beim Thema Arbeitserlaubnis, will die Politik solcherlei Hürden nun vorerst beseitigen. Für die kommenden drei Jahre jedenfalls soll gelten: Findet ein Asylbewerber einen Job, darf er ihn auch annehmen, selbst dann, wenn sein Verfahren noch läuft.
Und Modar? „Ich weiß noch nicht genau, ob und wie ich anderen Flüchtlingen dabei helfen kann, ähnliche Erfolgserlebnisse zu haben wie ich“, sagt er. „Sicher ist aber, dass ich gern mein Wissen mit anderen teilen möchte.“ Als er zum ersten Mal die Turnhalle gesehen hat, in der Abdullah und Malaka hausen, hat er das mehr denn je begriffen. „Da habe ich erst gemerkt, dass meine eigene Flüchtlingsunterkunft echter Luxus war“, sagt Modar, der mittlerweile eine kleine Wohnung in Charlottenburg für sich gefunden hat. „Mein ganzes Gemecker über mein Viererzimmer in Spandau, über die Toiletten und Badezimmer und darüber, wie laut es in der Unterkunft immer war – das ist mir jetzt fast schon ein bisschen peinlich.“
