Hier. Und jetzt?

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Als Flüchtling in Deutschland

Ein Leben auf der Flucht

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Als der Mann mit dem vielen Geld kam, wusste Samsam Hassan endgültig: Jetzt muss ich aus Somalia weg, jetzt geht es nicht mehr. Sicher, reich war er, das hatte ihr Vater ihr gesagt, aber verkauft werden wollte sie nicht an ihn, selbst wenn es ihre Familie vielleicht jahrelang über Wasser gehalten hätte. Als sie sagte: Ich werde diesen Mann nicht heiraten, flippte ihr Vater aus: „Wenn Du ihn nicht heiratest, dann bringe ich Dich um!“ Gemeinsam mit ihrer Mutter floh Samsam zum ersten Mal – über den Golf von Aden hinüber nach Saudi-Arabien. Da war sie 10.

Samsam Hassan© Oliver GeorgiSamsam Hassan

Samsams Bruder ließen beide bei ihrem Vater in Somalia zurück – einem Land, das von Bürgerkrieg, Gewalt und Armut gebeutelt ist wie kaum ein anderes in Afrika. Seit der Entstehung der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz Anfang 2007 herrscht diese über weite Teile des Landes. Ihr Ziel: die Errichtung eines islamischen Staates und die Scharia als Gesetz. 2012 schwar Al-Shabaab Al Qaida die Treue und gilt seither als regionaler Al-Qaida-Ableger.

Für Frauen gilt Somalia nicht zuletzt durch die Al-Shabaab-Miliz eines der gefährlichsten Länder der Welt. In einem Ranking von TrustLaw, einer Stiftung von Thomson Reuters, wurde Somalia 2011 auf dem fünften Platz geführt – hinter Afghanistan, dem Kongo, Pakistan und Indien. Vergewaltigungen sind ebenso an der Tagesordnung wie Genitalverstümmelungen schon bei kleinen Mädchen.

Insgesamt 18 Jahre lebte Samsam in Saudi-Arabien – ein Glücksfall, wie sie heute sagt. Denn selbst wenn die strenggläubige Auslegung des Islams das Leben für Frauen dort auch schwierig macht, konnte sie immerhin in relativem Frieden weiter aufwachsen – weit weg von brutalen Übergriffen und alltäglichem Terror. Samsam ging zur Schule, fing später an zu arbeiten und begann Geld zu verdienen. Tagsüber betreute sie Kinder in Schulen, nachts arbeitete sie als Bedienung in Clubs. „Ich habe viel gearbeitet, ich habe immer gearbeitet“, sagt Samsam rückblickend – und mit hörbarem Stolz in der Stimme. Gemeinsam mit ihrer Mutter spart sie so über die Jahre viel Geld – Geld, das sie bald dringend nötig haben wird.

Als sie wieder nach Somalia kommt, erschrickt Samsam: Es ist noch schlimmer als damals

Mit 28 Jahren dann der Impuls: Ich will in meine Heimat, ich will nach Somalia zurück und sehen, wie es da jetzt aussieht. Samsam reist mit ihrer Mutter zurück, voller gemischter Gefühle. Als sie in Somalia ankommt, erschrickt sie: Es ist nicht besser als damals, es ist noch viel schlimmer. Die Armut, die Verfolgungen, die Lage der Frauen. Schon nach wenigen Wochen entscheidet sie sich: Ich muss wieder weg von hier, aber nicht zurück nach Saudi-Arabien. Samsam will nach Europa, wo Frauen dieselben Rechte haben wie Männer und nicht verstümmelt werden. Wo alle genügend zu essen haben und nicht ständig Angst haben müssen. Wo bestimmt alles gut wird.

Die Fluchtroute von Samsam Hassan© FAZ.NET/Carsten FeigDie Fluchtroute von Samsam Hassan

Das gesparte Geld aus Saudi-Arabien ist noch da, Samsam hat von Männern gehört, die einen nach Europa bringen können. Also kontaktiert sie einen: Kannst Du mich nach Deutschland bringen? Der Mann nickt, aber der Preis ist hoch. Samsam macht sich trotzdem auf den Weg, für 1000 Dollar geht es mit dem Auto von Somalia hinüber nach Äthiopien, für weitere 3000 Dollar mit dem Flugzeug in die Türkei. An der türkischen Küste steigt Samsam mit 40 anderen Flüchtlingen in ein Boot, das sie hinüber nach Griechenland bringt, eine gefährliche Überfahrt für 1100 Dollar, die zum Glück gut geht. Doch damit ist die Reise noch lange nicht zu Ende: Noch einmal 4000 Dollar zahlt Samsam, um von Griechenland mit dem Flugzeug in die Schweiz und dann weiter nach Deutschland zu kommen, eine unendliche Odyssee. Samsam ist erschöpft, als sie endlich im zentralen Aufnahmelager in Gießen ankommt. Ob es nicht ungewöhnlich sei, dass ein Flüchtling weite Strecken mit dem Flugzeug zurücklegt, wird Samsam gefragt. Sie  lächelt. Auch dafür gibt es Wege, heißt das wohl. Und vor allem Mittel.

„Wenn Du kein Deutsch lernst, hast Du hier keine Chance“

14 Monate bleibt Samsam in Gießen, eine Zeit, über die sie nicht gerne spricht. Überhaupt ist sie, wie die meisten Flüchtlinge, nur zögernd bereit, überhaupt Auskunft zu geben über sich und ihre Geschichte. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die viele Flüchtlinge in ihre Heimat gemacht haben, als dass sie jetzt so schnell vorbehaltlos Vertrauen fassen könnten, gegenüber diesen Behörden, diesen Journalisten, diesem Land.

Seit zwei Monaten lebt die 29-Jährige jetzt in einer früheren Pension im Stadtzentrum von Bad Soden, einer von drei Standorten in der kleinen Kurstadt, in der insgesamt 75 Flüchtlinge untergebracht sind. Das Asylverfahren läuft – die junge Frau hofft, dass es schnell bearbeitet wird, bei Flüchtlingen aus Eritrea werden die Anträge so gut wie immer bewilligt. Samsams Deutsch wird mittlerweile besser, auch auf Englisch versteht sie immer mehr – zum flüssigen Unterhalten reicht es aber noch lange nicht. Manchmal ist Samsam das egal – das Wichtigste ist die Freiheit, das bißchen Sprache kommt schon noch.

„Wenn Du kein Deutsch lernst, hast Du hier keine Chance“, hat Yosef Ghebrehwiet am Anfang zu Samsam gesagt. Er ist schon in den 70er Jahren aus Eritrea nach Bad Soden gekommen und ist als Küster in der evangelischen Kirchengemeinde so etwas wie der Mentor der Flüchtlinge. Er übersetzt, gibt Tipps, aber er treibt sie auch immer wieder an. „Das ist Deutschland hier, Du musst hier pünktlich sein“, tadelt er, als sich Samsam zum Treffen mit dem Journalisten verspätet. Samsam lächelt verschämt: Ja, diese Sache mit der Pünktlichkeit. Wie es ihr sonst in Deutschland geht? „Gut“, sagt sie dann. „In Deutschland geht alles gut.“


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