Als zwei ungarische Polizisten ihm die Finger auseinander biegen und sie gegen seinen Willen erst in die Tinte, dann auf das Registrierungspapier drücken, da hat Ayham Alshaabi schon davon gehört, dass das nicht gut für ihn ist. Aber er weiß noch nicht genau, warum. Wochen später, auf seinem Bett in einer Flüchtlingsbaracke in Hattersheim bei Frankfurt, liest er den Brief, in dem zwar auch nicht steht, warum genau es nicht gut für ihn ist, aber immerhin, wie es heißt. „Verordnung zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist“, kurz: Dublin III.

Ayham Alshaabi fragt einen Anwalt, und versteht, plötzlich und brachial, was der Moment bedeutet, in dem sie ihm in einem schummrigen Polizeigefängnis, nach zwei Tagen ohne Essen und Trinken, seine Fingerabdrücke abgerungen haben: Er soll zurück nach Ungarn, innerhalb der Europäischen Union darf er nur dort seinen Asylantrag stellen.
Seit der Brief gekommen ist, denkt der 22 Jahre alte Syrer die meiste Zeit über Dublin III nach. Etwas anderes hat er sowieso nicht zu tun, darf er nicht zu tun haben. An einem Tag hört er, dass Deutschland davon absehen wolle, Syrer nach dem Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückzuschicken. Am nächsten bekommt er einen zweiten Abschiebe-Brief. Er versteht inzwischen, wie das System funktioniert, aber er wundert sich trotzdem. „Sie wollen uns doch in Ungarn gar nicht“, sagt er, und meint damit auch: Ihr in Deutschland, ihr wollt uns.
Es liegt Trotz in diesem Satz, denn ob Deutschland ihn will, ist noch nicht entschieden. Auf seinem Papier, das der Main-Taunus-Kreis Alshaabi ausgestellt hat, steht das Datum, bis zu dem die Entscheidung in der Luft hängt wie kalter Rauch: 5. Januar 2016, bis dahin ist seine Abschiebung ausgesetzt. Bis dahin will er noch darum kämpfen, hier bleiben zu dürfen.
Nach Ungarn will er nicht, sagt er. „Falls sie mich abschieben, gehe ich lieber zurück nach Syrien.“

Alshaabi ist in Damaskus geboren, er hatte gerade angefangen, Wirtschaft zu studieren, als der Krieg losging. Der kurze Fußweg von seiner Wohnung zur Universität hätte ihn jeden Tag umbringen können. Er wollte nicht sterben, er war 19. Also machte er sich mit seinem Freund Bahaa Edden Sokia auf in die Türkei. Zweieinhalb Jahre blieben sie da, arbeiteten in einer Kleiderfabrik, und begriffen, dass der Krieg in ihrer Heimat nicht aufhören würde.
„Ich war sicher, wir sterben“
2015 schließlich, an einem Märzmorgen, steigen Alshaabi, Sokia und 28 andere in Izmir in ein Gummiboot. Der Schlepper bringt einem von ihnen bei, wie es zu steuern sei, zehn Minuten dauert das. Draußen auf der Ägäis geht der Motor aus, das Boot kommt vom Kurs ab, acht Stunden werden sie auf See sein. „Ich war sicher, wir sterben“, sagt Alshaabi und grinst: „Wenn der Mann am Steuer auf mich gehört hätte, wären wir eher angekommen.“ Der Motor springt schließlich an, und Alshaabi navigiert das Boot mit dem GPS seines Handys zur griechischen Insel Samos.
Alshaabi muss oft lachen, und sein Freund Sokia, mit dem er den ganzen Weg über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach München zurückgelegt hat, mit dem er sich jetzt in Hattersheim ein Zimmer teilt, der muss an den selben Stellen der Geschichte lachen. Zum Beispiel, als Alshaabi von dem einen Schlepper erzählt, der sie in Mazedonien nicht wie versprochen an die serbische Grenze fuhr, sondern zu einem Haus brachte und dort festhielt, bis sie ihm 500 Euro zahlten. Oder als es darum geht, dass sie in Serbien ausgeraubt wurden und der Räuber Alshaabi eine Pistole an den Kopf hielt. Sie lachen auch, als sie erklären, wie sie am Hauptbahnhof München den Bundespolizisten entwischt sind, um alleine nach Gießen weiterzufahren. Sie hatten gehört, dass es gut sei dort.
Sie lachen, weil es so besser zu ertragen ist. Nur an der Stelle, an der es darum geht, wie sie ihre Fingerabdrücke in Ungarn hinterlassen mussten, da lachen sie nicht.
Alshaabi sagt, er sieht seine Zukunft in Deutschland. Er will studieren, er will etwas aus sich machen. Im Moment kann er nur warten, was sein Anwalt für ihn herausschlagen kann. Der Anwalt sagt, es könnte schwierig werden. Alshaabi sagt: „Frankfurt ist so schön.“
Ein gutes Konzept
ist der gesamte Block!!!
Wer nichts über die Menschen weiß, die zu uns kommen, kann sich auch kein rationales Urteil über die Flüchtlingsfrage bilden, kann nicht beurteilen, welche Folgen es für D hat, wenn so viele Menschen nach D kommen. Viele würden Herrn Alshaabi wohl willkommen heißen, wünschen, dass er in D bleibt, auch wenn er nicht Naturwissenschaften, Ingenieurswissenschaften studieren möchte – aber auf alle, die kommen wird das nicht zutreffen.
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Ich lebe im Ruhrgebiet. Da können Sie sich rund um die Uhr mit Menschen aller Nationen unterhalten. Nur in den Verwaltungsstuben mit den Parteibüchern und den Redaktionen unserer Medien finden sie diese Vielfalt nicht; dort bevorzugt man eher etwas weniger diversity.
ein "Flüchtling" ? geflohen vor der Kleiderfabrik ?
“ … in die Türkei. Zweieinhalb Jahre blieben sie da, arbeiteten in einer Kleiderfabrik, …“ – darf man dazu mehr erfahren? Was war so gefährlich an dieser Arbeit, dass er aus der Türkei fliehen musste?
„Er will studieren“ – das liest man über fast jeden. Darf man erfahren, was und auf wessen Kosten? Hat ihm schon jemand die Vorzüge einer Berufsausbildung erläutert?
Lieber Herr Gruber,
Herr Alshaabi hat nach seinen Worten nicht wegen der Arbeit in der Kleiderfabrik die Türkei verlassen, sondern weil nach zweieinhalb Jahren Krieg im benachbarten Syrien seine Hoffnung dahin war, bald nach Damaskus zurückkehren zu können.
Ich nehme an, dass Herr Alshaabi sich genauer Gedanken um seine berufliche Zukunft machen wird, sobald sein Aufenthaltsstatus geklärt ist, in welcher Form auch immer
Herzlich,
Denise Peikert
@Peikert
Liebe Frau Peikert,
die Genfer Flüchtlingskonvention ist aber für Flüchtlinge gemacht.
Wer sich in einem Drittland niedergelassen hat, verliert den Schutzanspruch.
Wer zweieinhalb Jahre in der Türkei war und auch einer Arbeit nachging, kann sich nicht mehr auf die Kriegslage in seinem Heimatland berufen. Sein Herkunftsstaat ist dann nämlich ein anderer.
Das mag nun nicht jedem gefallen, so wäre aber die Rechtslage.
Und Rechtsstaatlichkeit ist bekanntlich einer dieser Werte, die wir ständig hochhalten und den Neuankömmlingen beibringen wollen…
Beste Grüße
Fakten
Sicher ein schlimmes Schicksal, aber die harten Fakten sind: der Mann ist kein Flüchtling, denn er war schon 2 Jahre in der Türkei und hat dort gearbeitet. Also ist er ein Immigrant, der wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse in der Türkei eine Verbesserung in Deutschland sucht. Asyl ist hier also kein Thema. Des weiteren – wenn Asyl trotzdem Thema wäre, schreibt Dublin III vor, dass man im Registrierungsland Asyl beantragen muss. Also muss er eben nach Ungarn abgeschoben werden, so leid es einem tun kann. Aber ich verstehe die Aussetzung der Abschiebung in diesem Fall überhaupt nicht.
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Dear Johannes Eckstein sagt I have spent 12 years of my life in the study and reached to undergraduate and everything was i dream about is that I can complete my studies this Of the simplest human rights and I stayed for two years in Turkey tried it and but I could not so I was working day and night just inorder to I can live
War missed years of my life my life was very difficult in Turkey
An eyewitness is better than hearsay
Gescheit
Laut Dublin könnte eigentlich niemand in Deutschland Asyl beantragen, da jeder schon mindestens über ein EU-Land reisen musste.
Daher kann Deutschland praktisch die Menschen aussuchen, die gebraucht werden können und den Rest nach Ungarn abschieben.
Rein faschistisch, würde ich sagen.
So kann man sogar Millionen Migranten einladen, auf Kosten von Anderen, Ärmeren.
Oder welche Ziele werden verfolgt?
Die Völker in der EU dürfen keinen Widerstand leisten gegen die globalistische Macht?
Gerechtigkeit
Man redet über Flüchtlinge, Demokratie, Humanität und ähnliches.
Gleichzeitig dürfen die Türken die Kurden ermorden.
Warum haben die Kurden kein Recht auf eigene Staat?
Wenn die Starken die Massen in die EU treiben, was soll dann das Ganze?
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Die Kurden sind unter sich uneins. Wenn sie zusammenhielten, wären sie schon längst ein Staat. Islam ist eine Macho-Kultur, in der jeder der Stärkste sein will, das verhindert die Einigung.
Nicht ganz korrekt !?
Es ist nicht ganz korrekt was hier behauptet wird. In der Türkei hat Ayham so gut wie keine Rechte. Es mag sein, dass er dort gearbeitet hat aber schwarz und die Türkei könnte jederzeit ihn wieder zurück schicken. Er war – wie viele andere Syrer derzeit auch – einfach nur geduldet. Ayham hat geltend gemacht das ungarische Asylsystem leide an systematischen Mängeln und entsprechend erzählt. Eine Ansicht, die mittlerweile viele Gerichte teilen dürften. Wie der ungarische Staat mit Asylsuchenenden umgeht verdient nicht das Etikette „Mitgliedsstaat der Europäischen Union“ zu tragen. Wir stehen für unantastbare Werte und dazu gehört auch Schutz von Minderheiten und von Flüchtllingen.
Was also tun? Soll Deutschland des Menschenrechtsstandard auf osteuropäischem Niveau absenken oder müssen wir nicht Druck aufbauen das Niveau jedenfalls innnerhalb der europäischen Union deutlich anzugleichen? Wollen wir wirklich so einen Rechtsruck wie in Ungarn kommentarlos tolerieren? Ich hoff
Aus der Türkei
Richtung Europa. In Ungarn (Europa) nur unter Zwang registriert worden, in Deutschland vor der Polizei abgehauen, weil man sich einen anderen Aufenthaltsort ausgesucht hat. Hey?
Eigentlich sollte das Ticket in Richtung Türkei ganz fix ausgestellt werden.