Eine Flucht ist kein Witz, aber manchmal beginnt eine Reise damit. Als wieder Bomben flogen, hatte Omar al-Masalmah im Scherz zu seinen Eltern gesagt, dass er auch flüchten könnte nach Deutschland. Um ihnen dann, wenn er Arbeit hat, zuerst Geld zu schicken und sie später nachzuholen.

Innerhalb einer Woche hatte seine Familie entschieden, ihren Sohn fortzuschicken.
Ein paar Monate später steht Omar, 20 Jahre alt, am Münchner Hauptbahnhof im Zelt des Technischen Hilfswerks und übersetzt die Anweisung der Ärzte ins Arabische, damit die neu ankommenden Geflüchteten verstehen, was nun mit ihnen passiert.
Mit seinen Eltern hat er lange nicht gesprochen. Doch nun, in Sicherheit, will er etwas von der Freundlichkeit zurückgeben, mit der er in Deutschland empfangen wurde.
Als Omar seine Eltern unterwegs anrief, hörte er zum ersten Mal in seinem Leben, dass sich sein Vater beherrschen musste, um nicht loszuweinen. Mit dem Bus war Omar da gerade von der südsyrischen Stadt Darʿā in den Libanon gefahren, noch nie hatte er sein Heimatland zuvor verlassen. Es war der erste Tag seit Jahren, an dem er keine Explosionen, Befehlsschreie und Kampfflugzeuge hörte. Sein Geld, knapp 3000 Dollar, hatte er in der Unterhose versteckt, in der Hoffnung, dass die Soldaten es nicht finden.
Am Fahrkartenschalter am Hafen hatte ihm ein Kontrolleur versprochen, dass es ein Passagierschiff sein würde, das Omar, seinen Cousin und einen gemeinsamen Freund mitnehmen würde. Natürlich warteten sie dann sechs Stunden im Rumpf eines Containerfrachters, eingepfercht zwischen anderen Syrern, die genau wie sie in die Türkei wollten. Nach 14 Stunden legten sie an, und wurden von einem Grenzbeamten empfangen. Omars Pass sei nur noch weniger als sechs Monate gültig, weswegen er ihn leider nicht ins Land lassen könne, sagte der Mann. Dabei hatten die drei jungen Männer ihm bereits ein wenig Geld über den Tresen geschoben. Doch für eine Handvoll Dollar mehr durften Omar und sein Freund gehen – für seinen Cousin war die Reise dort allerdings vorbei.

Das alles erzählt Omar nun, da er in Deutschland ist. Ob jedes Detail davon stimmt, ist kaum nachzuprüfen. Die Fotos, die Omar auf seiner Reise geschossen hat, zeichnen ein seltsam harmonisches Bild, was auf den ersten Blick kaum zu seinen Erzählungen passt. Aber den zweiten aber schon, denn: Überall dort, wo es unbequem ist, wo es kalt, nass und dreckig ist, da macht man keine Fotos, wenn man nicht gerade ein Menschenrechtsaktivist ist, der Missstände aufzeigen will. Der Familie Zuhause will man zeigen, dass es einem gut geht, den zurück Gebliebenen Hoffnung geben. Und dann gibt es noch ganz praktische Gründe: die meiste Zeit der Reise war Omars Handy aus. Strom gibt es auf einem Schiff, nicht in einem Graben am Grenzzaun.

Nach drei Tagen in der Türkei sind sie mit einem Schlauchboot und etwa 40 anderen Flüchtlingen nach Griechenland übergesetzt. Um Griechenland zu durchqueren brauchte Omar neun Tage, in Mazedonien liefen sie vier Tage und warteten dann einen halben Tag auf einen Zug, der sie nicht mitnehmen konnte. Sie kauften Fahrräder und radelten nach Serbien, nur um dort Polizisten zu begegnen, die sie wieder zurückschickten.
Nach vier Stunden im Wald sind sie wieder über die Grenze gelaufen, ein Taxi brachte sie weiter nach Belgrad. Von dort aus ging es noch über Ungarn und Österreich nach Deutschland.

Nur ein Mal sollte es noch gefährlich für Omar werden: Als die Gruppe, mit der er unterwegs war, in Ungarn von Polizisten gestoppt wurde und einer ihnen sagte: „Geld oder Fingerabdrücke“. Omar, dem in Serbien sein Rucksack mit 500 Dollar geklaut wurde, brüllte zurück, dass er nichts mehr bezahlen wird. Insgesamt hatte ihn die Reise seine ganzen 3000 Dollar gekostet.
Ein anderer bezahlte 200 Euro – und alle durften gehen.
Omars erster Kontakt mit der deutschen Polizei war ein Willkommensgruß: „Nun seid ihr in Sicherheit“, sagte der Polizist.