Heinrich-Böll-Schule in Hattersheim, Raum 134, kurz nach neun. Beim Deutschkurs für Flüchtlinge ist es wie in jeder anderen Klasse. Es gibt den, der sein Basecap auf- und die Jacke anlässt und nach 20 Minuten fragt, wann Pause ist. Und es gibt Leute wie Ayham Alshaabi, die pünktlich kommen, um an der Stirnseite der zu einem „U“ gestellten Tische sitzen zu können, mit dem besten Blick zur Tafel, und schnell begreifen, was der Unterschied ist zwischen „Ich mache Sport“ und „Ich spiele Fußball“.
Seit März lebt Alshaabi in einer Flüchtlingsunterkunft in Hattersheim, seit gut zwei Wochen lernt er Deutsch, jeden Tag von neun bis eins. Noch bevor Alshaabi den Kurs begonnen hatte, hat er sich mit dem Google-Übersetzer auf seinem Handy durch die erste Seite des Deutschbuches gequält. Jetzt, in einer Pause des Kurses, antwortet er auf ein „Hey, how are you?“ mit „Gut, danke, und Dir?“. Er schmunzelt und wechselt ins Englische, um zu erklären, was das Schwierigste sei an der Sprache. „Ich verstehe vieles, aber ich kann noch wenig sagen.“ Als seine Lehrerin das hört, ermahnt sie ihn. „Sagen Sie das auf Deutsch, dann lernen Sie es auch.“
Wie schwer muss es sein, eine Sprache zu lernen, die man überhaupt nicht kann, und zwar in nur dieser Sprache? Ayham und die 22 anderen in seinem Kurs, die meisten davon junge Männer, lernen Deutsch wie Babys: durch Zuhören und Nachsprechen. Im Unterricht der Volkshochschule des Main-Taunus-Kreises wird nicht übersetzt, die Lehrerin spricht kein Arabisch, kein Farsi oder Dari. Sie könnte mit Russisch dienen, das würde nur keinem im Raum etwas nützen, und so ist das auch nicht gedacht.
„Sprache lernen hat sehr viel mit Imitieren zu tun“, sagt Kerstin Rohlf-Wachs, die an der Volkshochschule für Sprachen zuständig ist. Am Anfang laufe da noch viel über Mimik, Gestik und Bilder. „Aber Anfängerunterricht ist für jeden Lehrer der erfreulichste“, sagt sie. „Nie wieder hat man solche großen Lernfortschritte.“
Im Klassenzimmer in Hattersheim geht es jetzt um die Familie. „Ich habe zwei Kinder“, sagt ein Mann aus Syrien, und obwohl es an dem Satz nichts auszusetzen gibt, wundert sich die Lehrerin: „Wirklich?“, fragt sie angesichts der Jugendlichkeit des Mannes zurück, und als der begreift, dass er keine Fantasiesätze sagen muss, korrigiert er sich: „Ich habe ein Schwester.“ Eine Schwester, sagt die Lehrerin, sei eine Frau, und bei Frauen gehöre immer ein „e“ ans Ende des „ein“. „Das können Sie sich leicht merken“, behauptet sie dann.
320 Stunden dauert der Deutschkurs, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylbewerbern mit hoher Bleibeaussicht inzwischen schon vor ihrer endgültigen Anerkennung bezahlt. Das sind halb so viele Stunden wie bei einem Integrationskurs. An dessen Ende sollten die Schüler mit ihrem Deutsch auf B1-Niveau sein. „Dann kann man einfachen Konversationen folgen und sich über Arbeit, Familie und Freizeit unterhalten“, sagt Rohlf-Wachs. Der Landrat des Main-Taunus-Kreises hat das Ziel ausgegeben, dass alle Flüchtlinge so schnell wie möglich auf B1 gebracht werden sollen. Die Volkshochschule will ihr Deutsch-Programm deshalb bis zum nächsten Jahr verdoppeln und bis zu 40 neue Sprachlehrer einstellen.
Wenn Ayham Alshaabi seinen ersten Deutschkurs absolviert hat, wird er in einen Integrationskurs eingestuft, bei dem er nicht wieder bei Null anfangen muss. Die meisten Schüler in seiner Klasse sind hochmotiviert und haben Spaß daran, den richtigen deutschen Satz zu finden. Ayham, dessen Englisch ganz gut ist und der grundsätzlich keine Angst vor Sprachen hat, springt schon mal als Übersetzer ein, wenn einer seiner Mitschüler die Fragestellung nicht gleich versteht.
Als die Lehrerin zwei Freiwillige für eine Übung an der Tafel sucht, schnellt Ayhams Arm nach oben. Vorne schiebt er dann sehr schnell das „Ich“, das „komme“, das „aus“ und das „Syrien“ zusammen. Als alle Sätze fertig sind, sagt er, dass die Wörter, die rot eingefärbt sind, Verben sind und immer an zweiter Stelle stehen. „Okay, super, Sie sind gut“, lobt ihn die Lehrerin.
In Damaskus hat Alshaabi bis zu seiner Flucht Wirtschaft studiert. Um das in Deutschland wieder machen zu können, um also den Sprachtest einer Hochschule zu bestehen, braucht er ein C1-Sprachniveau. Das bedeutet für ihn mindestens 1200 Stunden Sprachunterricht, eher mehr. Aber schon, wenn er mit seinem aktuellen Kurs fertig ist, wird er laut Sprachlehrerin Rohlf-Wachs eines auch auf Deutsch können: Hoffnungen und Ziele beschreiben.
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Klappt nicht immer so schön
Meine Freundin unterrichtet Deutsch als Fremdsprache.
Während des Ramadans kommt sie mit ihren Schülern keinen Schritt weiter, weil diese fast nicht ansprechbar sind.
Ich mache Sport
Man kann Sport treiben, aber man kann keinen Sport machen – genausowenig wie etwas Sinn machen kann. Geld kann man zwar machen, aber das bringt so ca. 10Jahre Urlaub auf Staatskosten.
Titel eingeben
Lieber Herr Ludwig, Sie haben recht: Sinn machen, Sport machen – das sind eigentlich falsch verstandene Übernahmen aus dem Englischen. Inzwischen sind sie aber so sehr in den deutschen Sprachgebrauch übergegangen, dass der Lehrerin dieses Beispiel nachzusehen ist – und uns, dass wir es hier zitieren.