Die viele Schutzkleidung ist noch immer ungewohnt. „In Syrien trägt man auf der Baustelle mehr oder weniger, was man möchte“, sagt Modar Rabbat, während er die Sicherheitsschuhe zuschnürt. „Manchmal auch Sandalen.“ Dass er nun jedes Mal in Warnweste, Stiefel und Helm schlüpfen muss, bevor er mit der Arbeit loslegt, nimmt er aber liebend gern in Kauf. „Das hier ist ein toller Job“, sagt er. „Die Kollegen und die Chefin sind total nett, ich habe schon sehr viel gesehen, sehr viel machen können, sehr viel gelernt. Und ich lerne jeden Tag mehr dazu.“ Seit einiger Zeit arbeitet Modar mittlerweile nun schon für verschiedene Bereiche des Ingenieurbüros „Krebs und Kiefer“. Als unbezahlter Praktikant zwar – „aber das ist besser als nichts, schließlich möchte ich Erfahrungen sammeln und mein Deutsch verbessern“, sagt Modar.

Das ist die bescheiden vorgetragene Variante der Geschichte. Denn eigentlich ist da noch viel mehr. Modar wartet sehnlichst auf einen Brief. Einen Brief von der Bundesagentur für Arbeit, der sein Leben als Flüchtling in Deutschland radikal verändern würde: auf eine Arbeitserlaubnis.
„Schon nach zwei Wochen waren wir uns sicher, dass Herr Rabbat zu uns passt“, sagt Modars Chefin, Martina Köppe. Das Praktikum hat sie Modar angeboten, „weil auch ich meinen Beitrag leisten will für die Flüchtlinge“, wie sie sagt. Erst hat sie gemeinsam mit Ehemann und Sohn in einem Flüchtlingsheim ausgeholfen. Dann habe sie gemerkt, dass sie das neben ihrem Job dauerhaft nicht leisten könne. „Aber ich dachte: Vielleicht können wir hier bei uns im Büro ein bisschen was tun. Schließlich suchen wir ständig mit viel Aufwand gute Jungingenieure.“ Martina Köppe kontaktierte Modar Rabbat über ein Jobportal für Flüchtlinge im Internet. Wenig später saß der 24 Jahre alte Bauingenieur ihr zum Vorstellungsgespräch gegenüber.

Modar wird ein wenig rot, als Köppe beginnt, von seinen Leistungen im Praktikum und von seiner Eignung für den Job zu schwärmen. „Herr Rabbat ist gut qualifiziert, wahnsinnig engagiert, spricht schon super Deutsch und kommt bei den Kollegen toll an. Er arbeitet sehr selbständig und kann gut um die Ecke denken.“ Auch seine Herkunft und die Tatsache, dass er Arabisch spricht, sei für das Büro sehr wertvoll. „Wir bauen gerade die drittgrößte Moschee der Welt in Algier – da kann er für uns zum Mittler zwischen den Kulturen werden.“ In der Gesamtschau hat sie sich entschlossen, Modar einen Arbeitsvertrag als Ingenieur anzubieten. Erst mal befristet für ein Jahr, „aber mit guten Übernahmechancen“, wie sie sagt.
Es klingt ein wenig wie ein Märchen: Der Jungingenieur aus dem umkämpften Aleppo flieht in die Sicherheit Deutschlands und direkt in die Arme eines Arbeitgebers, der sich um junge Mitarbeiter wie ihn reißt. Doch das wäre zu einfach: Modar darf die ersehnte Stelle gar nicht annehmen. Denn er darf im Moment in Deutschland gar nicht arbeiten.
Keine bezahlte Stelle, wenn das Asylverfahren noch läuft
Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch läuft, dürfen grundsätzlich keine bezahlte Stelle bekommen. Schließlich könnte das Verfahren negativ ausgehen und mit der Abschiebung enden. Allerdings gibt es seit kurzem eine etwas pragmatischere gesetzliche Regelung – und damit eine Chance für Modar: Wenn ein Arbeitgeber nachweisen kann, dass er keinen Deutschen oder EU-Bürger für die Stelle findet, darf er den Flüchtling ausnahmsweise einstellen; schließlich nimmt er dann niemandem den Job weg. „Meine Betreuerin bei der Arbeitsagentur hat mir viel Hoffnung gemacht, dass das für mich ein guter Weg sein könnte“, sagt Modar und versichert, die Dame habe ihr Bestes gegeben, er sei ihr „unendlich dankbar“, sie habe für seine Integration „Großes geleistet“. Geholfen hat es allerdings wenig.

Doch der Reihe nach: Modars Chefin war bereit, den Nachweis zu erbringen, dass Modar der einzig mögliche Bewerber ist, der für sie in Frage kommt. Schließlich war sie überzeugt, dass kein anderer Jungingenieur dieselbe Qualität und interkulturelle Kompetenz für die Stelle mitbrachte. Also hängte sie sich ans Telefon und besprach die Angelegenheit mit dem Jobcenter. Sie nahm sich einen Anwalt, um beim Ausfüllen der Fragebögen keinen Fehler zu machen. Und sie beschäftigte hielt ihre Personalmanagerin über Tage mit den bürokratischen Feinheiten von Modars Fall.. Schließlich stellte sie einen Antrag. In vielen Formularen und in einem ausführlichen Schreiben begründete sie, warum nur Modar und kein anderer auf genau diese Stelle passt.
Einstweilen hat Martina Köppe Modar einen erfahrenen Ingenieur als Mentor an die Seite gestellt. Munkhtuvshin Purevdorj arbeitet seit acht Jahren bei Krebs und Kiefer in der Projektsteuerung. Mit Purevdorj und einem Leitenden Ingenieur teilt sich Modar nun ein kleines Büro. Die Wände sind vollgestopft mit Ordnern, auf Modars Schreibtisch wellt sich eine Papierschlange mit verschiedenfarbigen Linien, die eine komplizierte Terminplanung darstellen sollen. Neben die Fachbegriffe hat Modar grüne Zettel geklebt und die arabische Übersetzung daneben geschrieben. Die Aufgaben des Teams sind vielfältig: Für jedes Bauvorhaben gibt es unzählige Einzelschritte, Genehmigungsverfahren, Baustellenvorbereitung, Personalplanung und so weiter. Modar darf bei allem mitreden. 70 Prozent seiner Tätigkeit finden am Schreibtisch statt, 30 Prozent draußen auf der Baustelle.

An diesem Mittwoch fahren Purevdorj und Modar raus zu einer Autobahn-Tunnelbaustelle in Berlin-Neukölln – ein echtes Großprojekt mit einem dreistelligen Millionenbetrag an Baukosten. „Ich finde es eine Riesenchance, bei so etwas dabei sein zu dürfen“, sagt Modar. Purevdorj prüft den Fortgang des neuesten Tunneldocks – so heißen die einzelnen Abschnitte, in denen ein Tunnel gebaut wird. Modar erfährt nebenbei viel über Materialprüfungsverfahren, Betonbeschaffenheit oder auch über die Arbeit von Industrietauchern, die gerade in einem anderen Tunneldock unterwegs sind, der noch voll Grundwasser steht. Auch Purevdorj ist voll des Lobes für seinen Schützling. „Was in Syrien an der Uni gelehrt worden ist, scheint dem Bachelorstudium hierzulande ziemlich ähnlich“, sagt er. „Modar hat gute Grundlagen, er ist wissbegierig und lernt schnell. Klar weiß er nicht, was ein deutsches Planfeststellungsverfahren beinhaltet oder solche Feinheiten. Dafür kann er viel souveräner mit dem Computer umgehen als die meisten deutschen Absolventen.“ Wenn es nach Purevdorj geht, könnte Modar gern sofort als sein neuer Kollege anfangen. „Ich kann mir gar keinen Grund vorstellen, warum die Behörden das nicht erlauben sollten.“
Als der Brief vom Amt kam, war es wie ein Schlag ins Gesicht
Das allerdings sehen die Behörden offenbar anders. Nach wochenlangem Hoffen und Bangen hält Modar den ersehnten Brief endlich in den Händen. „Was darin stand, war wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt er. Auf Behördendeutsch liest sich der Schlag kurz und knapp: „Die Zustimmung zur Beschäftigung wird nicht erteilt.“ Es folgen einige Paragraphen und schließlich die Bemerkung: „Für diese Tätigkeit stehen ausreichend bevorrechtigte Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt des Beschäftigungsortes zur Verfügung.“

Hier endet das Märchen. Vorerst. Martina Köppe sagt, sie sei aus allen Wolken gefallen. „Wenn dieser junge Mann mit Studium, Sprachkenntnissen, seinem außergewöhnlichen Engagement und Intellekt hier nicht arbeiten darf, obwohl wir ihn dringend brauchen könnten, was soll mit all den anderen passieren? Mit den weniger Qualifizierten und Ungelernten? Wenn wir nicht mal einen Herrn Rabbat einstellen dürfen, sieht es düster aus für die Flüchtlingsintegration.“ Gegen den Bescheid hat Modar mit Unterstützung seiner Chefin Widerspruch eingelegt. Jetzt heißt es wieder: warten.