London Eye

Der Spion, der in die Wärme kam

Daß außergewöhnliche Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, gehört zu meiststrapazierten Phrasen der Stunde. Gegenwärtig geschieht auf den Finanzmärkten so viel Unfaßbares, daß Ausnahmeerscheinungen fast zur Norm zu werden scheinen. Wieder eine Pleite, noch ein Skandal. Die Nachrichten überschlagen sich in atemloser Folge und wir beginnen wohl schon ein wenig abgebrüht zu reagieren. Nur so läßt sich erklären, daß der Verkauf der Londoner Abendzeitung „Evening Standard“ an den ehemaligen KGB-Agenten Aleksandr Lebedew so glatt über die Bühne lief. Die Medien fanden den Vorgang eher erheiternd als bedenklich. Mag sein, daß sie recht haben. Dennoch lohnt ein näherer Blick.

Trotz sinkender Auflage wird der „Evening Standard“ immer noch von den Meinungs- und Geldmachern in der Hauptstadt gelesen. Die Lokalzeitung ist dem 49 Jahre alten russischen Unternehmer ans Herz gewachsen, als er Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in der sowjetischen Botschaft die britischen Medien studieren mußte. Die Spezialität des als Wirtschaftsattaché getarnten Geheimdienst-Oberstneutnants soll Kapitalflucht gewesen sein. Inzwischen hat er ein großes Vermögen gemacht und ist außerdem in der Politik engagiert. 2003 kandidierte er erfolglos für das Amt des Moskauer Bürgermeisters. Er wurde für die als kremlnah geltende Rodina-Partei ins russische Parlament gewählt, wo er nun der Fraktion der Partei Gerechtes Russland angehört.

 

Bereits im Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gründete Lebedew eine Kapitalanlagegesellschaft, die drei Jahre später die Nationalny Reservny Bank kaufte. Außerdem gehört ihm fast ein Drittel der staatlichen Fluggesellschaft Aeroflot, ist unter anderem bei Gazprom beteiligt und besitzt mit Michail Gorbatschow 49 Prozent der unabhängigen Zeitung „Nowaja Gaseta“, deren Sonderkorrespondentin Anna Politkowskaja im Oktober 2006 ermordet wurde. Am vergangenen Montag hat ein maskierter Attentäter zwei weitere Mitarbeiter des Blattes, den Anwalt Stanislaw Markelow und die Journalistikstudentin Anastassja Baburowa, in Moskau auf offener Straße von hinten in den Kopf geschossen und getötet. Lebedew hat den Geheimdienst FSB daraufhin aufgefordert, die Journalisten von „Nowaja Gaseta“ zu bewaffnen, wenn die Behörden ihnen schon keinen Schutz gewährten.

Lebedew will nicht in einen Topf geworfen werden mit den anderen Oligarchen, die sich an der Themse bemerkbar machen und der britischen Hauptstadt den Beinamen Londongrad bescherten (bevor ihr die Bankenmisere den Spitznamen Reykjavik an der Themse einbrachte). In Lebedews Büro hängen Altmeistergemälde, er liebt Tschechow, spendet eher für wohlätige Zwecke als sich eine Jacht zuzulegen und betont seine Anglophilie.

Wie schlecht es um den „Evening Standard“ bestellt ist, zeigt der nominelle Kaufpreis von einem Pfund für 75,1 Prozent der Anteile. So viel kosten zwei Ausgaben dieses Zwitters aus gehobener Boulevardzeitung und seriösem Journalismus. Viele fürchten, der „Evening Standard“ könne nicht mehr aus den roten Zahlen geholt werden.  

Lebedew hat jedoch versprochen, im Laufe der nächsten zwei Jahre „Zigmillionen“ in die Zeitung zu investieren, um sie zu retten. Er wolle nicht, daß behauptet werde, „irgendein russischer Idiot und ehemaliger Spion“ sei dahergekommen und habe die Zeitung gekauft, nur um sie wieder zuzumachen. Er beteuert auch, daß er sich nicht in redaktionelle Angelegenheiten einmischen werde. Allerdings schwebt ihm ein Beratergremium vor mit Mitgliedern wie Tony Blair, Michail Gorbatschow und Jacques Chirac, die Themen vorschlagen sollen. Eine kuriose Vorstellung für eine Lokalzeitung.

Will dieser Mann uns wirklich weismachen, daß er die Zeitung aus reinem Altruismus gekauft habe?

Olga Kryschtanowskaja, Direktorin des Moskauer Instituts für angewandte Politik und Leiterin der Abteilung Eliteforschung am Institut für Soziologie der russischen Akademie der Wissenschaften, hat sich im britischen Fernsehen skeptisch geäußert. Lebedew könne ohne die Zustimmung der russischen Behörden nicht so handeln, wie er es täte. „In seiner Seele ist er ein Geheimdienstagent,“ sagte die Soziologin, „aber er hat erstaunlich schnell das Verhalten und die Spielregeln des großen Geschäftemachens gelernt, indem er ein modischer Dandy geworden ist. Er hat gute Beziehungen und ist ein Meister der Intrige, dessen Kopf hinter allen Vorhängen steckt.“

Der britische Handelsminister Peter Mandelson hat „gegenwärtig“ nicht vor zu prüfen, ob der Kauf des „Evening Standard“ im öffentlichen Interesse sei. Der konservative Abegordnete, der eine Untersuchung verlangt, bleibt eine einsame Stimme. Immerhin erstaunlich, bedenkt man den Aufschrei jedes Mal, wenn Rupert Murdoch auch nur den kleinen Finger hebt.  Es scheint den sonst so Hellhörigen auch entgangen zu sein, daß Murdochs Schwiegersohn, der PR-Agent Matthew Freud (Urenkel von Sigmund), Fäden für Lebedew gezogen haben soll bei den Verhandlungen. Hier und da wird sogar vermutet, das Ganze sei eine Intrige Rupert Murdochs, um seinen Stand auf dem Londoner Zeitungsmarkt zu stärken. 

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