London Eye

Fiedeln, während Rom brennt

Führende britische Politiker heizen die öffentliche Meinung gegen die „Geldsäcke“ an der Spitze des Bankwesens an. Harriet Harman, die stellvertreterin Gordon Browns hat sogar das „das Gericht der öffentlichen Meinung“ beschworen, das Sir Fred Goodwin, den geschassten Geschäftsführer der Royal Bank of Scotland ins Gebet nehmen solle wegen seiner Riesenabfindung, wenn es auf juristischen Wege nicht gelinge. Sie zuckte mehr oder weniger die Achseln, als der Mob Selbsjustiz übte und drohte, die Fenster von Goodwins Haus eingeschlagen zu haben, sei bloss der Anfang.  Aus den Reaktionen sprach die selbe Gesinnung, wie damals, als die Al-Qaida-Terroristen die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centre steuerten und Viele, vor allem unter den Linken, mit einer gewissen Genugtuung meinten, der Westen habe es nicht anders verdient. Die übersatten Banker bekämen jetzt ihr Fett ab, meint man zwischen den Zeilen zu hören, wenn von dem Anschlag auf die Wohnung von „Fred dem Reisswolf“ die Rede ist.

Unterdessen bilden sich dieselben Politiker ein, die diese Stimmung schüren, sie könnten die Welt beim Londoner Gipfel retten. Gordon Brown hat hohe Ziele gesteckt, als den Vergleich mit der Konferenz von Bretton Woods anstrengte, wo im Juli 1944 die internationale Wirtschaftordung der Nachkriegsära herausgehämmert wurde. Das Treffen in New Hampshire dauerte drei Wochen. Im ehemaligen Hafenviertel von London wollen es die Teilnehmerstaaten in zehn Stunden schaffen.  London wird auf den Kopf gestellt, während die hohen Besucher von einem Ende der Stadt in das trostlose, zum Schutz gegen Anarchisten und Terroristen von einem „Stahlring“ umschlossene ExCel-Messezentrum am anderen Ende chauffiert werden. Die Polizei steht auf dem Prüfstand. Wenn es ihr nicht gelingt, die angedrohte Krawalle in Griff zu halten, wird alle Welt denken: wie will diese Stadt gewährleisten, dass die olympischen Spiele 2012 glatt von der Bühne gehen, wo sie nicht einmal einen zweitägigen Gipfel meistern kann?

Zudem muß man sich fragen, in welcher Welt die Politiker leben, die jetzt auf eine globale Lösung für die Wirtschaftskrise setzen. Sie tadeln die gierigen Banker, die immer noch nicht begriffen hätten, dass die alten Zeiten vorbei sind. Welches Zeichen der Mäßigkeit aber setzt es, wenn der amerikanische Präsident mit einem Gefolge von mehr als fünfhundert Delegierten und Sicherheitsbeamten anreist?

Und woher will der bis über den Kopf verschuldete Gordon Brown die Mittel für weitere Steueranzreize hernehmen, wo schon die Mehrwertsteuersenkung nichts gefruchtet hat. In der vergangenen Woche gab der nüchterne britische Notenbankpräsident einen Warnschuss ab, der Gordon Brown den Wind aus den Segeln nahm. Mervyn King sagte vor dem Finanzauschuss des Parlamentes, dass die britische Regierung sich die neuerlichen Steueranreize, die dem Premierminister vorschweben, mitnichten leisten könne. Andere beschwören sogar wieder das Schreckgespenst eines britischen Bettelganges zum Internationalen Währungsfonds, das 1976 schon enmal unter einer Labour-Regierung geschah.

Was tat Gordon Brown? Er trat vor die Weltöffentlichleit mit der Nachricht, dass Downing Street im Gespräch sei mit der Königin über die Änderung des Thronfolgegesetzes von 1701. Diese Refom soll bewirken, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter auch das Königshaus einschliesst und Königskinder, die einen katholischen Ehepartner wählen, nicht mehr von der Thronfolge ausgeschlossen sind. Alles zu seiner Zeit, aber diese schon seit langem erwogene Maßnahme ist nicht gerade von hoher Dringlichkeit, zumal für einen Premierminister, der dauernd von „Britishness“ redet. Ein klassischer Fall von fiedeln, während Rom brennt. David Owen, einst Labour-Außenminister und Mitgründer der inzwischen mit den Liberalen fusionierten sozialdemokratischen Partei, spricht von „einer Atmosphäre atemraubender Irrealität in Westminister und Whitehall“, die ihn an die düsteren Zeiten von 1975 erinnert. Weit davon entfernt, die Welt zu retten, sieht Gordon Brown selber zunehmend rettungsbedürftig aus.  

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