Eine gesetzliche Regelung könnte die Auseinandersetzungen um das Pressegroßhandelssystem beenden. Noch treffen sich die Branchenvertreter am Donnerstag zu einem Runden Tisch. Doch wenn es zu keiner Einigung zwischen dem Bauer-Verlag und Presse-Grosso kommt, ist die Politik gefragt.
Für den deutschen Pressevertrieb haben heiße Tage begonnen. Die Attacken des Hamburger Bauer-Verlages auf das Großhandelssystem sind in der Politik angekommen: Hans-Joachim Otto (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hat Branchenvertreter für Donnerstag zum entscheidenden Runden Tisch in Berlin eingeladen. Eine einvernehmliche Lösung ist indes nicht in Sicht – so eingefahren sind die Front zwischen den Parteien, die sich vor Gericht streiten. „Ich muss mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass die Gespräche zwischen Bauer und Grosso gescheitert sind”, sagt Otto im Gespräch mit dieser Zeitung.
Der Runde Tisch soll noch ein letzter Versuch sein, eine einvernehmliche Regelung vorzubereiten. „Allen Beteiligten ist klar, dass man auf einem Vulkan tanzt”, sagt der Politiker. Am Ende könnte das sich über Jahrzehnte bestehende Vertriebsnetz mit Pressegroßhändlern fallen, die Zeitungen und Zeitschriften der Verlage als neutrale Instanz zum Einzelhandel liefern.
Wettbewerb am Kiosk: Zeitschriften sollen gleiche Bedingungen im Markt haben. (Foto dapd)
Der Bauer-Verlag hat den Konsens in der Branche über den Pressevertrieb verlassen, Großhändler durch die eigene Tochtergesellschaft ersetzt und gegen den Grosso-Verband geklagt, dass dieser nicht länger die Lieferkonditionen zentral für die Pressegroßhändler verhandeln dürfe. In der ersten Instanz hat Bauer Recht bekommen, der Grosso-Verband hat Widerspruch eingelegt, dieses Jahr geht der Prozess weiter. „Das Verfahren hat die Gefahr einer Selbstentfaltung, die das System zerstören kann”, warnt Otto.
Die Grosso-Verband und die Verlegerverbände VDZ und BDZV fordern deswegen gemeinsam eine gesetzliche Regelung – sollte es am Donnerstag nicht zu einer Einigung kommen: Als „ultima ratio” müsse dann die kartellrechtliche Freistellung von Branchenvereinbarungen über Konditionen und Leistungen im Rahmen der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) kommen. „Der Erhalt der Pressevielfalt und Überallerhältlichkeit von Printmedien ist eine Gemeinwohlverpflichtung. Verlage, Grossisten und deren Verbände erbringen im Pressevertrieb Dienstleistungen von allgemeinem Interesse”, sagt Frank Nolte, Vorsitzender des Grosso-Verbandes.
Verlage wollen das bestehende System erhalten
„Das bestehende und kein anderes Pressevertriebssystem wollen die Verlage in Deutschland”, sagt Torsten Brandt, Vertriebsfachmann von der Axel Springer AG und Sprecher des VDZ-Arbeitskreises Pressemarkt Vertrieb. Wenn durch gerichtliche Auseinandersetzungen das neutrale Vertriebssystem in Frage gestellt werde, müssten Politik und Gesetzgeber handeln. „Direkte Preisverhandlungen mit einzelnen Grossofirmen führen unweigerlich zu sinkenden Kosten für die großen Verlage und zu steigenden Konditionen für kleinere Verlage oder Titel.”
Den Attacken von Bauer auf das System kommt in einer Zeit, in denen das Geschäft im Pressevertrieb zurückgeht. Im der ersten Jahreshälfte sank der Umsatz im Grosso weiter – um 0,81 Prozent auf 1,28 Milliarden Euro. Dabei half noch die Fußball-Europameisterschaft: Die Großhändler liefern auch Sammelbilder an den Kiosk und konnten damit zulegen. Im wichtigeren Pressebereich ging der Umsatz um 2,2 Prozent auf 1,23 Milliarden Euro zurück. „Die Talsohle scheint noch nicht erreicht zu sein”, sagt Verbandsvorsitzender Nolte. „Die Entwicklung unseres Kerngeschäfts ist nach wie vor besorgniserregend – die Talsohle scheint noch nicht erreicht zu sein.” Der Presseabsatz sank den ersten sechs Monaten um 71,6 Millionen Exemplare und damit 5,6 Prozent auf 1,17 Milliarden verkaufte Exemplare. Da die Verlage die Preise der Zeitungen und Zeitschriften erhöhten, sank der Umsatz nicht im gleichen Umfang.
„Wir brauchen ein neutrales Presse-Grosso, das eine Überallerhältlichkeit aller Titel garantiert”
Schon vom negativen Urteil des Landgericht Kölns gegen den Grosso-Verband gehen Gefahren für die Balance des Pressevertriebssystems aus, sagt Grosso-Vorsitzender Nolte. „Wir sind zuversichtlich, dass die Bundesregierung den erklärten politischen Willen zum Schutz des Grosso-Systems notfalls mittels einer punktuellen Ergänzung des GWB umsetzt.” Das sei ein milder Eingriff mit großer Wirkung, der den Wettbewerb zwischen den Verlagen und den freier Zugang zum Markt zu vergleichbaren Konditionen erhalte.
Auch die Politik sorgt sich um das Vertriebssystem. „Wir brauchen ein neutrales Presse-Grosso, das eine Überallerhältlichkeit aller Titel garantiert”, sagt Otto. „Wenn sich Bauer und Grosso nicht einigen, wird es wohl auf eine gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso hinauslaufen.” Eine Einigung im Konsens auf eine Gemeinsame Erklärung wäre die beste Lösung, ein mildes Gesetz sei die zweitbeste Lösung: Dieses sollte den Verlegerverbänden VDZ und BDZV sowie dem Grosso-Verband erlauben, Branchenvereinbarungen zu treffen.
„Es darf nicht sein, dass ein Verleger in die Lage kommt, sich individuelle Vorteile ausbedingen zu können”, sagt Otto. Ein Verlag soll nicht durchsetzen können, dass nur seine Titel auf Augenhöhe im Presseregal liegen. „Wir wollen, dass der Endkunde entscheiden und jedes Printprodukt erhalten kann.”
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