Das wird sich Thomas Lückerath anders ausgemalt haben. Doch als er im Fünf-Sterne-Hotel in Luzern zum Gespräch mit dem Programmchef der amerikanischen Fernsehkette NBC in dessen Zimmer spaziert, setzt sich dieser nur mit einem Handtuch bekleidet vor ihm auf das Sofa. Gerade aus der Sauna kommend, bittet der Fernsehmacher zum Gespräch – ein Interview im Handtuch.
Als Lückerath mit dem Online-Medienmagazin DWDL vor mehr als einem Jahrzehnt anfing, war so etwas kaum absehbar. Schon ein Gespräch mit einem Senderchef schien so weit entfernt wie der heutige wirtschaftliche Erfolg des damaligen Hobbys. Als Schülerprojekt gegründet, setzt die Internetseite heute mehr als eine halbe Million Euro im Jahr um. Fünf Mitarbeiter sind angestellt, weitere arbeiten frei mit. Und der nur werbefinanzierte Medienjournalismus im Netz namens DWDL wirft auch einen Gewinn im unteren fünfstelligen Bereich ab.

Eines fällt in ihrem Büro gleich auf, in einer Drei-Zimmer-Wohnung über den Dächern Kölns: Nicht ein Fernseher ist zu sehen. Dabei schreiben sie in ihrer kleinen Residenz nahe dem Mediapark vor allem über die Fernsehlandschaft mitsamt den morgendlichen Einschaltquoten des Vortages, die den Fernsehmachern den Tag vermiesen oder perfektionieren können. Sie schauten Fernsehen über ihre riesigen Computermonitore, beschwichtigt Gründer, Chefredakteur und Geschäftsführer Lückerath in seinem Büro im sechsten Stock. Zwei Redakteure hocken im nächsten Raum und zwei Verwaltungsangestellte im dritten Zimmer.
Wenn wie neulich Axel Springer den Sender N24 kauft, schreien sie sich über den Flur zu, wer schnell die Meldung online stellt und wer die spätere Nachbetrachtung angeht. Von 8.30 Uhr bis 18 Uhr sitzt mindestens einer hier. Danach greifen sie von unterwegs ein, wenn etwas passiert. Auch wenn abends eine neue Sendung läuft, schreiben sie von zu Hause kurz darauf ihren Eindruck auf – und kommen am nächsten Tag später.
“Aus Spaß machen wir mal eine Medienseite”
Zu Beginn im November 2001 war überhaupt nicht klar, dass das kleine Hobby mal zum Broterwerb taugen würde. Erst neben der Schule, später neben dem Studium schreiben sie auf, welcher Star zu welchem Sender wechselt, wann neue Serien starten – einfach weil sie es selbst wissen wollen.
Aber warum interessiert es einen Schüler, was in der Medienbranche passiert? Lückerath steckte damals selbst im Fernsehgeschäft. Neben der Schule arbeitete er nachmittags in der Redaktion von NBC Giga mit, einer Fernsehsendung für die Jugend, in der sich Zuschauer über das Internet beteiligen. Er fragt sich, was die Konkurrenz treibt. Im Internet findet er aber kaum Nachrichten aus der Medienbranche. Nur ein Unternehmen bietet Infos im Netz, aber immer erst um 17 Uhr. Ihm dauert das zu lange. “Aus Spaß machen wir mal eine Medienseite”, sagt sich Lückerath. Gemeinsam mit Daniel Schneider startet er das Vorhaben, sie basteln sich eine eigene Internetseite und melden Mitteilungen der Fernsehfirmen.
Ein halbes Jahr später beginnt Lückerath sein Studium der Sozialwissenschaften in Duisburg und arbeitet abends für den Internetauftritt einer Düsseldorfer Regionalzeitung. DWDL läuft stets nebenher. Wenn er am Computer sitzt, hat er immer einen Blick auf die Internetseite – auch im Büro. Die Seite wächst, im Herbst 2003 kommen die ersten Werbeeinnahmen.
“Ich will mein Unternehmen zurück”
Sie gründen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Eine große Herausforderung. In der Schule lernt man das jedenfalls nicht. „Ich habe mich sehr darüber geärgert, dass ich Formeln in der Schule gelernt habe, aber für vieles wird man nicht vorbereitet“, erinnert er sich.
Zum großen Schnitt kommt es 2006: Die Mistral Media AG, die mit einer Tochtergesellschaft Sendungen wie “Schillerstraße”, “Genial daneben” und “Switch Reloaded” herstellte, kauft DWDL. Die Macher müssen sich entscheiden: Das Studium aufgeben und voll ins Geschäft einsteigen? Lückerath bricht ab und zieht nach Köln. Sein Kompagnon Schneider will das nicht. Andere, die mitschreiben oder an der Technik basteln, machen dagegen weiter mit.
“Uns würde es nicht geben, wenn die Mistral Media nicht diesen Schritt gemacht hätte, aber deren Pläne haben sich nicht erfüllt”, sagt Thomas Lückerath. Nach ein paar Jahren endet die Zusammenarbeit. “Als es 2011 üble Schlagzeilen über veruntreute Firmengelder gab, da habe ich gesagt: Ich will mein Unternehmen zurück.” Lückerath erhält 80 Prozent. Die weiteren 20 Prozent besitzt seit 2007 Michael Spreng, früherer Chefredakteur der “Bild am Sonntag” und derzeit Politikberater.
“Wir sind endlich da angekommen, wo wir hinwollen”
Als anfangs ein paar hundert Menschen am Tag die Seite aufrufen, so viele wie die Schulaula füllen, freuen sie sich. Jetzt erreicht DWDL mehr als 1,2 Millionen Besuche im Monat. Lückerath will aber nicht auf reine Reichweite. „Höhere Zugriffszahlen erzielt man zwar mit Bilderstrecken und Weiterleitungen von Google, aber damit kann ich mich Werbekunden nicht als Fachmedium verkaufen“, sagt er. Es komme auf das Publikum an, das er in Medienmacher, Werbeagenturen und medieninteressierte Menschen aufteilt. In Rubriken wie den Blick auf den Sport, das Radio und Großbritannien können Unternehmen Leser mit Interesse für ihr Thema finden. Und das lasse sich auch gut vermarkten.
Die Reichweite stieg im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel. Auch der Umsatz stieg – um 38 Prozent. Die Stellenanzeigen tragen das Geschäft, sie steuern fast die Hälfte zum Umsatz bei. Lückerath schaut auf den großen Computerbildschirm, er klickt, schon sieht er, dass gerade 210 Anzeigen von 79 Firmen online sind. Die Absprachen mit Werbekunden, über deren Unternehmen er selbst auch schreibt, überlässt er einer Mitarbeiterin. „Ich habe als Journalist angefangen, um zu schreiben“, bedauert er. „Jetzt bin ich einen Tick mehr Geschäftsführer als Chefredakteur.“ Mit einer größeren Mannschaft ließen sich die zwei Ämter trennen. Zur Frage nach der Unabhängigkeit verweist er gern darauf, dass kein Unternehmen mehr als 6 Prozent zum Umsatz beisteuert.

Nachdem DWDL 2011 und 2012 noch einen Verlust von um 18000 Euro machte, erreichte das Medienmagazin vergangenes Jahr den Gewinnbereich. “Wir sind endlich da angekommen, wo wir hinwollen”, meint Lückerath. “Jetzt geht es darum, das zu verteidigen und auszubauen.” Er stellt neue Autoren für Kolumnen ein. Eine wöchentliche englische Fassung ihrer Arbeit soll entstehen, um im Ausland einen Überblick über den deutschen Markt zu geben.
Inzwischen macht Lückerath sogar selbst Fernsehen: Mit dem Studiobetreiber Nobeo stellt DWDL “Studio D” her. Sie sprechen darin ungeschnitten und lange mit Medienmenschen wie dem “heute show”-Moderator Oliver Welke. 27 Folgen strahlten sie im vergangenen Jahr auf ihrer Internetseite aus. Bislang allerdings erschienen die Gäste immer angezogen – auch wenn ein Auftritt nur mit Handtuch der Aufmerksamkeit bestimmt nicht schaden würde.
Mehr im Blog:
Junge Menschen glauben, zu häufig im Internet zu sein
Verlage wollen wissen, wie die Deutschen ticken
Bundespräsident macht Mut: Verlage wollen Digitalgeschäft an sich reißen
„Huffington Post“ greift bald in Deutschland an
VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer: “Das nächste Google kommt aus China oder Russland”
Digitalinhalte: Axel Springer lässt die Bezahlschranke fallen
Studie unter iPad-Besitzern: Digitale Magazine werden im Kiosk-App gekauft
____________________________________
F.A.Z.-Blog Medienwirtschaft
www.faz.net/medienwirtschaft
Twitter: www.twitter.com/jan_hauser