Der Zuschauer bestimmt nicht nur über das Programm. Er wählt jetzt auch aus, wann und wo er den Film, die Serie oder die Nachrichtensendung sieht. Immer mehr Menschen machen sich im Internet ihr eigenes Fernsehprogramm und verfolgen Sendungen später auf dem Computer oder unterwegs auf dem Smartphone und Tabletcomputer. „Das klassische Beispiel ist der Start des Formel-1-Rennens, der jetzt auch per App sonntags beispielsweise auf dem Kinderspielplatz gesehen werden kann“, sagt Marc Schröder, Geschäftsführer RTL Interactive und Mitglied der Geschäftsleitung der RTL-Mediengruppe, im Gespräch mit dieser Zeitung.
Er spürt den digitalen Wandel, der dem Zuschauer mehr Macht in die Hand gibt. „Gerade junge Zuschauer können Fernsehtermine mit ihrem Kalender oft nicht vereinbaren, und dann holen sie das eben nach der Ausstrahlung nach.“ Mit den Sendern RTL, Vox oder N-TV zählt die Gruppe zu den größten Medienunternehmen Deutschlands.

Im Internet wetteifern die privaten Sender mit neuen und alten Rivalen um die Gunst des Zuschauers. Die öffentlich-rechtlichen Sender, die mit Zwangsgebühren 7,5 Milliarden Euro im Jahr einnehmen, verzerren mit kostenfreien Mediatheken und Apps für Smartphones und Tabletcomputer den digitalen Markt. Google vereint die Masse der digitalen Werbeeinnahmen auf sich und zeigt mit dem kostenlosen Videodienst Youtube kurze Filmchen. Online-Videotheken wie Maxdome von Pro Sieben Sat1, Amazon Prime Instant Video oder Watchever, das zum französischen Vivendi-Konzern gehört, bieten diverse Serien und Filme zu einem monatlichen Preis von weniger als 10 Euro.
Für die Apps mit Liveübertragung lassen sich die deutschen Privatsender aber bezahlen – und erhalten damit im Gegensatz zur analogen Welt nun Geld direkt von ihren Zuschauern. Vor einem Jahr startete die RTL-Mediengruppe dafür Apps für ihre Sender: „RTL Now“ wurde Ende März 2013 verbessert, „RTL II Now“ und „Vox Now“ folgten Anfang Mai. Seitdem hat das Unternehmen mehr als 600 000 Monate App-Nutzung verkauft. Erstmals spricht das Unternehmen über die Verkaufszahlen. Nach 30 Tagen kostenloser Nutzung kostet eine App 1,79 Euro jeden Monat; etwas günstiger ist die halbjährliche oder jährliche Zahlung. Einnahmen nennt RTL nicht, aber die App-Verkäufe dürften damit etwa 1 Million Euro eingebracht haben.
Pro Sieben Sat 1 hat diese Woche eine App mit Liveübertragungen gestartet, die alle Sender der Gruppe vereint, und verlangt dafür 2,99 Euro nach einem kostenlosen Monat. Die RTL-Gruppe geht hingegen mit seiner App-Strategie einen anderen Weg und lässt den Zuschauer direkt für die App mit nur einem Sender und dessen Inhalten zahlen. „Wir nutzen die Stahlkraft der einzelnen Sendermarken“, sagt Schröder. Sie hätten zwar überlegt, ob es darüber noch eine gemeinsame Dachmarke geben soll, aber sich dagegen entschieden. Die Zuschauerkreise überlappen sich nicht genug.
Bislang verdienen die Fernsehanbieter im Internet vor allem durch Anzeigen. Auf ihren Internetseiten zeigen die Privatsender die Filme kostenfrei, denen Werbung vorgeschaltet ist. Der Werbeumsatz mit deutschem Fernsehen auf Abruf erreichte im vergangenen Jahr 200 Millionen Euro und ist damit die größte Einnahmequelle. Die Abrufzahlen steigen. Der Bewegtbildmarkt im Internet wächst – dieses Jahr um 20 bis 30 Prozent. Die RTL-Anzeigenverkäufer erwarten eine mittlere zweistellige Steigerungsrate. „Wir wachsen über dem Markt und gewinnen Marktanteile“, sagt Schröder.
Shows und Soaps sind die Hits
In den Mediatheken am meisten gesehen wurde neulich die ZDF-Satire „heute show“. Stark nachgefragt waren auch immer wieder Shows wie das Dschungelcamp, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Bachelor“ auf RTL oder „Germany’s next Topmodel“ und „Circus Halligalli“ auf Pro Sieben. An dieser Rangliste der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung beteiligt sich die ARD jedoch nicht. In deren Mediathek steht unter den meistabgerufenen Sendungen oftmals die Seifenoper „Verbotene Liebe“ aus. Ebenso funktionieren die RTL-Seifenopern wie „Alles was zählt“. „Wir haben starke Fangemeinden, insbesondere die Soaps funktionieren bei uns sehr gut“, sagt Schröder. Zu den Hits in den Mediatheken der Sender zählen also Seifenopern und Shows. Das bestätigt auch Schröder. „Liveformate werden künftig noch stärker an Bedeutung gewinnen“, sagt er.
Mit der RTL-App sehen die Zuschauer sogar Sendungen, bevor sie im analogen Fernsehen laufen: Tägliche Serien wie die Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ gibt es schon einen Tag früher – und das kostet noch einmal extra. „Im Soap-Bereich können viele Fans nicht mehr abwarten und erzählen sich schon nachmittags, was in ihrer Soap abends läuft“, sagt Schröder. Auch daran verdient RTL. Die Einnahmen der Zusatzkäufe in den Apps übersteigen bisher jedoch nicht die Einnahmen durch den Verkauf der App an sich.
Bald greift Netflix an
Noch mehr Konkurrenz kommt aus Amerika nach Deutschland: Bis Jahresende will der Videodienst Netflix hierzulande starten, der schon 48 Millionen zahlende Nutzer hat. „Wir haben keine Angst vor Netflix, sondern freuen uns über den Wettbewerb und werden sehen, wie das Spiel weitergespielt wird“, sagt Schröder. Deutschland gilt dagegen als schwieriges Feld für Bezahlfernsehen. Jeder Haushalt zahlt schon für ARD, ZDF und Deutschlandradio zwangsweise 17,98 Euro jeden Monat. Der Bezahlsender Sky, der ebenfalls Apps und sein Programm auf Abruf anbietet, machte im ersten Quartal einen Millionenverlust.
Den Erfolg von Netflix in Amerika erklärt sich Schröder mit dem „unschlagbaren“ Preis des neuen Fernsehdienstes, da die Amerikaner viel mehr für Fernsehen ausgeben. „Die Amerikaner sagen sich: Ich bin nicht mehr bereit, 120 Dollar für Bezahlfernsehen auszugeben. Ich bekomme es auch gar nicht dann gezeigt, wann ich es sehen will.“ In Deutschland sind die Preise geringer und das Programm biete mehr. Er hält es hierzulande für offen, ob Fernsehen auf Abruf für die breite Masse attraktiv wird.
Und doch glaubt Schröder auch an Fernsehschauen nach aktuellem Programm: Wer heute 30 Jahre alt ist, sieht mehr fern als vor zwölf Jahren; und wer heute 18 Jahre alt ist, sieht mehr fern als eine gleichaltrige Person vor zwölf Jahren, berichtet er. „Nach dem langen Marsch durch Ausbildung, Studium und Sturm und Drang wird der Wunsch nach Interaktion geringer. Wer Familie hat und abends nach der Arbeit nach Hause kommt, schätzt das kurierte Programm mehr, als das ein 16 Jahre alter Jugendlicher macht.“
Mittelfristig stellt er dennoch die Frage, ob sich das Fernsehverhalten ändert, wenn Serien auf Abruf verfügbar sind. So schickt RTL seine Now-Angebote seit vergangener Woche auch durchs Kabelnetz zum klassischen Fernseher. Maxdome erscheint ab dem Sommer auf der Spielekonsole Xbox. Das Fernsehen auf Abruf kommt auf alle Geräte.
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