Medienwirtschaft

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Verlegerverband bemängelt Aufsicht von ARD und ZDF: „So funktioniert doch keine effektive Kontrolle“

Der Rechtsstreit um die „Tagesschau“-App geht weiter. Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), spricht über die Klage, die Gerichte und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Die Richter müssen sich die App ansehen.

Tagesschau-App© dapdDie “Tagesschau” und ihre App

Der Bundesgerichtshof hat die Tür zu einer Begrenzung der „Tagesschau“-App wieder geöffnet. Ist das schon ein Erfolg?

Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen nun unter Beobachtung von Wettbewerbsgerichten. Das ist ein wichtiger Schritt, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war. Ich habe mich aber über den öffentlich-rechtlichen Kommentator geärgert: Auf „tagesschau.de“ steht, dass die Verleger die App verbieten wollen – und so klang es auch in der „Tagesschau“. Wir wollen gar nicht die App als Ganzes verbieten lassen. Bei dem laufenden Verfahren geht es um die nichtsendungsbezogenen Teile und davon nur um die Texte. Wenn der NDR sendungsbezogenes Material hat, kann er dieses in der „Tagesschau“-App als solches kennzeichnen und lange Texte anhängen. Das dürfen die öffentlich-rechtlichen Sender laut Gesetz, auch wenn es ordnungspolitisch problematisch ist. Aber wenn sie nichtsendungsbezogene Themen behandeln, darf es nicht presseähnlich sein.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren wieder an die Vorinstanz zurückverwiesen, welche die Klage mehrerer Zeitungsverlage – darunter der Verlag dieser Zeitung – zuvor abgelehnt hatte. Jetzt wird das Oberlandesgericht Köln über die Presseähnlichkeit der „Tagesschau“-App urteilen. Was erwarten Sie?

Das Oberlandesgericht hat bisher nur gesagt, dass es auf eine Gesamtschau ankommt. Der Bundesgerichtshof hat das verfeinert: Es kommt auf die Gesamtschau der nichtsendungsbezogenen Texte an. Es zählt also nicht die Gesamtschau der App, wie es der öffentlich-rechtliche Rundfunk wollte. Die Richter müssen sich die „Tagesschau“-App an einem Tag ansehen: Was ist als sendungsbezogen gekennzeichnet? Wie groß ist der Umfang der nichtsendungsbezogenen Texte?

Die Klage bezieht sich auf die Inhalte der „Tagesschau“-App am 15. Juni 2011. Warum?

Wir sind damit nicht gegen das so genannte Telemedienkonzept an sich, sondern gegen die konkrete Umsetzung vorgegangen. Wir haben uns einen Tag exemplarisch herausgepickt und diesen dokumentiert. Alles, was der NDR angeboten hat, haben wir dem Gericht vorgelegt und gezeigt, dass das presseähnlich ist. Vor dem Landgericht Köln hatten wir mit unserer Ansicht Recht bekommen, da der Richter dies für presseähnlich ansah. Das ist fast vier Jahre her und betrifft zunächst nur diesen Stichtag. Aber der argumentative Weg des Richters zu seinem Urteil ist auch für jeden anderen Tag gültig. Seine Herangehensweise lässt sich eins zu eins auf die heutigen Inhalte der App übertragen.

Ist denn das Konzept für die „Tagesschau“-App richtig und nur die Umsetzung falsch?

Nein, auch mit dem Konzept waren wir nicht glücklich. Der ganze Vorgang zeigt, dass die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland nicht effektiv genug funktioniert, solange Rundfunk und Kontrollgremien so eng miteinander verbandelt sind. In den Rundfunkräten sitzt die Politik. In der Staatskanzlei, die als Rechtsaufsicht fungiert, sitzt die Politik. Dann sagen die einen zu den anderen: Ihr habt das prima gemacht. So funktioniert doch keine effektive Kontrolle. Die Brüsseler Wettbewerbshörde hat das auch erkannt und die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Sender im Beihilfekompromissverfahren als sehr fragwürdiges Konstrukt angesehen. Die EU-Kommission ließ das zwar durchgehen, dafür wird die Effektivität der Kontrolle um so enger beobachtet.

Die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Sender ist also keine echte Kontrolle?

Für uns ist das ein In-Sich-Geschäft: Wenn die Staatskanzlei die Rechtsaufsicht über Rundfunkräte ist, in denen auch die Politik sitzt, und der Rundfunkrat für das Programm zuständig ist, wo bleibt die neutrale Instanz? Das können in solch einer Konstruktion nur die Gerichte übernehmen. Falls die sich verweigern, sind wir mit der Kontrolle am Ende.

Ist die Grundschwierigkeit, dass die Politik in den Gremien mitmischt, oder kommt die digitale Ausdehnung aus den Sendern selbst?

Uns geht es um das, was im Internet passiert – und dafür ist der Sender verantwortlich. Brüssel beobachtet die Kontrollverfahren, weil Rundfunkgebühren Beihilfen sind. Für Beihilfen braucht es aber einen klaren Auftrag und eine effektive Kontrolle. Bei der Kontrolle waren wir an einem schwierigen Punkt, als das Oberlandesgericht Köln die „Tagesschau“-App für außerhalb des Wettbewerbsrechts erklärte. Jetzt geht es aber wieder zurück ans Oberlandesgericht. Wenn dieser Rechtschutz uns verweigert wäre, hätte sich Brüssel mit Sicherheit eingemischt.

Dietmar Wolff© BDZV/Phillipp WehrendDietmar Wolff

Lutz Marmor, der Intendant des NDR, verweist darauf, dass die App inzwischen überarbeitet ist.

Die „Tagesschau“-App hat sich in der Gestaltung geändert und Videos erscheinen präsenter. Aber die Texte sind nicht kürzer und die Gesamtschau nichtsendungsbezogener Texte ist gleich. Wir haben es mit dem schwammigen Begriff „Presseähnlichkeit“ zu tun. Aber in fast jedem Gesetz gibt es schwammige Begriffe, die mit Leben gefüllt werden müssen. Der Richter in der ersten Instanz hat das auch angepackt. Mit diesen Kriterien kann man sich jeden Tag ansehen, ob die App diese einhält oder nicht.

Was würden Sie machen, wenn das Urteil zugunsten der Verlage ausfällt?

Dann wäre klar, dass die damaligen Inhalte nicht mit dem Rundfunkstaatsvertrag vereinbar waren. Dann würden wir uns anschauen, wie sind die Richter dahin gekommen und welche Kriterien haben sie angelegt. Das würden wir dann mit dem jeweils aktuellen Angebot abgleichen.

Und Sie würden wieder klagen?

Wir wollen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender von selbst den Rundfunkstaatsvertrag einhalten. Wir würden zunächst mit den Intendanten das Gespräch suchen. Wenn sich dann nichts tut, bliebe uns die Vollstreckung gegen nichtsendungsbezogene Texte offen. Wir müssen abwarten, wie das Urteil ausfällt. Wenn das Oberlandesgericht es für presseähnlich hält, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Zugzwang.

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