Der Fernsehsender RTL setzt auf eigene Produktionen, um in der digitalen Zeit noch Millionen Menschen zu erreichen. Ob das gelingt, wird „Deutschland 83“ zeigen.

Ein ostdeutscher Spion gerät in einer westdeutschen Kaserne zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Für den Zuschauer ist diese Geschichte von „Deutschland 83“ ein Blick zurück in die achtziger Jahre und doch für den privaten Fernsehsender RTL ein Blick in die Zukunft. Wie sich der junge Soldat und Spion wider Willen dabei schlägt, ist der Stimmungstest für die Neuausrichtung von RTL, der die neue Serie von diesem Donnerstagabend an ausstrahlt und mit der Erzählung ein Fernsehereignis für Millionen Zuschauer schaffen will.
Um Massen anzulocken, braucht es in der wachsenden Programmvielfalt immer mehr Aufwand. Nur Fußballspiele stechen hierzulande als meistgesehene Sendungen mit mehr als zehn Millionen Zuschauern heraus. Der deutsche Sender RTL, der zur Luxemburger RTL Group gehört, zielt immer noch auf ein breites Publikum ab und arbeitet jetzt an mehr exklusiven Inhalten. Wenn es nach RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann geht, dürfen die Zuschauer viel Neues sehen. „Um mit einem Programm wie RTL langfristig erfolgreich zu sein, investieren wir verstärkt in eigene Inhalte, die uns Konturen verschaffen“, sagt Hoffmann im Gespräch mit dieser Zeitung. Vor allem will er dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, dass dieser die Sendung nur jetzt im Fernsehen schauen kann. „Jeder Anbieter, der sich nicht dieser Aufgabe stellt, wird langfristig Schwierigkeiten bekommen, weil er in der Flut neuer Angebote immer verwechselbarer wird“, warnt er.

Der Zuschauer darf selbst Fernsehdirektor sein: Die Filme und Sendungen kann sich jeder im Internet zusammenstellen. Das Programm läuft jederzeit und überall – auch in der Bahn oder auf dem Spielplatz auf dem Smartphone. Die Fernsehsender ringen um die Aufmerksamkeit für ihr klassisches Programm und ihr Digitalangebot mit neuen Online-Videotheken, die Fernsehen auf Abruf versprechen: Online-Videotheken wie Maxdome von Pro Sieben Sat1, Amazon Prime Instant Video und Netflix aus Amerika oder Watchever, das zum französischen Vivendi-Konzern gehört, bieten diverse Serien und Filme zu einem monatlichen Preis von meist weniger als 10 Euro.
Gleichzeitig wächst auch der Fernsehkonsum: Im Durchschnitt schauen die Menschen in Deutschland seit 2010 mehr als 220 Minuten Fernsehen am Tag. „Mit der Fragmentierung des Marktes fragmentiert sich auch der Geschmack vieler Menschen“, sagt Hoffmann.
Mit „Deutschland 83“ reagiert RTL auf den Wandel des Fernsehmarktes. Durchaus riskant, aber bewusst haben die Macher der Serie entschieden, diese zuerst in Amerika anlaufen zu lassen. In den Vereinigten Staaten schauten sich auf dem Fernsehsender „Sundance TV“ im Durchschnitt 170000 Menschen die Folgen an und steigerten den Marktanteil; auch via iTunes von Apple ist die Serie dort abrufbar. „Wir waren selbst etwas überrascht, welche Welle das losgetreten hat“, sagt Hoffmann. Er erwähnt das Lob in amerikanischen Zeitungen wie der „New York Times“ und des Schauspielers Tom Hanks sowie positive Internetkommentare. Mit dem Schwung und dem Grundrauschen aus Amerika hofft Hoffmann nun, dass auch „Deutschland 83“ in seinem Sender einschlägt.

Doch die Gefahr ist, dass das Feuer nicht die Massen in Deutschland erwärmt. Überhaupt verbindet der Zuschauer mit dem RTL-Programm eher Unterhaltung wie „Bauer sucht Frau“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder das Dschungelcamp. Viele Flaggschiffe der Unterhaltung basieren auf ausländischen Formaten, die RTL anpasst. Auf dem internationalen Fernsehmarkt vermisst Hoffmann in den vergangenen Jahren die großen Ideen.
Auch erstklassige Serien aus Amerika hatten es im deutschen Fernsehen schwer. So sorgten „House of Cards“, das Vorzeigeprogramm von Netflix, oder „Homeland“ zwar für viel Aufmerksamkeit, aber erreichten nur wenige Zuschauer. Für Hoffmann sind die Sendungen oftmals auf das Bezahlfernsehen ausgerichtet, damit der Zuschauer durch eine hohe Aufmerksamkeit ein Abonnement abschließt. Er kommt dabei auf die Serie „Blacklist“ über einen amerikanischen Schwerverbrecher zu sprechen, die RTL im vergangenen Jahr nicht die erhoffte Zuschauerzahl einbrachte. In der Analyse hat der Sender erfahren, dass die Menschen die Serie so gut fanden, dass sie sich diese auf anderen Kanälen besorgt haben.
„Ich kann noch keine Faustregel aufstellen“, sagt Frank Hoffmann. „Wenn die erste Folge einer neuen Staffel im Fernsehen sehr gut funktioniert, holen sich einige Zuschauer weitere Folgen oft selbst im Netz, oder es ist nicht ihre Serie, und sie schalten nicht mehr ein.“ Wenn eine Staffel den Zuschauer fesselt, schaut er die Folgen gern am Stück – und hat durch das Internet dazu genug Möglichkeiten.
Mit der Ausnahme des Starts in Amerika hat sich RTL bei „Deutschland 83“ dafür entschieden, keine anderen Möglichkeiten außerhalb des eigenen Programms zuzulassen. Im Internetportal von RTL lassen sich die Folgen erst kurz nach der Ausstrahlung im klassischen Fernsehen abrufen. „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil Deutschland 83 ein Fernsehereignis werden soll“, sagt Hoffmann. Das ist der Vorteil der Eigenproduktion, der dem Sender die Kontrolle belässt und digitale Wettbewerber verdrängt. „Unser Ziel ist es, mehr exklusive Inhalte zu produzieren, die es nur auf unseren Sendern und Plattformen gibt.“
Trotz sinkender Zuschauerzahlen weist das Deutschland-Geschäft der RTL Group einen steigenden Gewinn aus und bildet damit den Kern für Europas größte Fernsehkette. Auf „Deutschland 83“ schauen auch deshalb die RTL Group und der Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann genau, dem mehr als drei Viertel der RTL Group gehören. Überdies hat das Potsdamer Produktionsunternehmen Ufa die Serie hergestellt und Fremantle Media diese international verkauft, die beide auch zur RTL Group gehören. Schon jetzt darf sich die Fernsehkette darüber freuen, dass verschiedene Unternehmensbereiche beteiligt sind und diese die Sendung neben dem Start in Amerika auch in mehr als zwanzig Länder verkauft haben. In der Branche heißt es, dass die Staffel mit acht Folgen von „Deutschland 83“ etwas mehr als 8 Million Euro gekostet hat.

In Arbeit hat RTL nun die Filme „Turnschuhgiganten“ über die Unternehmensgründer von Adidas und Puma, das Schiffsunglück „Costa Concordia“ und einen neuen Karl-May-Dreiteiler „Winnetou“. „Wir werden Formate verstärkt selbst entwickeln und produzieren lassen“, sagt Hoffmann. Doch auch die exklusiven Inhalte zünden nicht immer. Die Erstausstrahlung des Films „Starfighter“ erreichte zuletzt nicht die erhoffte Zuschauerzahl. Hoffmann baut nun darauf, dass sich mit den neuen Stoffen der Quotenschwäche entgegenwirken lässt. „RTL wird schon bald wieder wachsende Monatsmarktanteile verzeichnen – wenn es nicht gerade Sportmonate mit Olympischen Spielen oder der Fußballeuropameisterschaft bei ARD und ZDF sind“, kündigt er an.
Für „Deutschland 83“ benennt Hoffmann kein Quotenziel. Er spricht nur von möglichst vielen Zuschauern. Ob es zu einer zweiten Staffel kommt, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Zwar arbeiten Autoren und Produzenten schon an den Drehbüchern, doch wartet RTL zunächst den Deutschland-Start der ersten Staffel ab. Am Freitag wird der Sender die ersten Anzeichen dafür haben, ob sich die Fortsetzung lohnt. Dann erfährt Frank Hoffmann vormittags, wie viele Zuschauer den jungen Spion im Kalten Krieg eingeschaltet haben und dem Sender mit seiner neuen Ausrichtung folgen.
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