Der Fernsehkonzern umgarnt bald mit dem Spartenkanal RTLplus vor allem Frauen. Dafür setzt RTL auf Nostalgie und strahlt frühere Sendungen wieder aus.

Die Lage einer Nation zeigt sich auch auf dem Fernsehschirm. In unruhigen Zeiten suchen die Zuschauer vorwiegend Ablenkung und Zerstreuung am Abend. Das spüren zumindest viele Privatfernsehmacher. Die RTL-Mediengruppe bemerkt so eine wachsende Sehnsucht nach Unterhaltung. „Die Zuschauer in der Masse suchen Eskapismus und freuen sich über nostalgische Anklänge“, sagte Jan Peter Lacher, Bereichsleiter Programmplanung für den Privatsender RTL, im Gespräch mit dieser Zeitung.
Auf eben diese Nostalgie besinnt sich jetzt die Kölner Senderkette: Am 4. Juni startet das Unternehmen einen neuen Privatsender namens RTLplus mit Programm aus den Neunziger Jahren, mit alten Serien und Neuauflagen älterer Ratesendungen wie „Familienduell“. Der frei empfangbare Sender soll vor allem Frauen im Alter von mehr als 45 Jahren ansprechen. Ins Programm nimmt Lacher dafür Sendungen wie die Geschichten des Arztes „Dr. Stefan Frank“, das Leben im Frauengefängnis von „Hinter Gittern“ und den Krimi „Doppelter Einsatz“, die der Hauptsender vor Jahren oder Jahrzehnten sendete und nun abermals auf dem Spartensender ausstrahlen wird. Das wird die deutsche Mediengruppe, die zum größten privaten Fernsehkonzern, der RTL Group mit Sitz in Luxemburg, gehört, am Donnerstag bekannt geben. Bisher gehören zu dem Unternehmen in Deutschland die Privatsender RTL, Vox, N-TV, RTL Nitro sowie Beteiligungen an Super RTL und RTL II. „Jetzt kommt mit RTLplus ein neues Baby hinzu“, sagte Lacher.
Das Fernsehpublikum schaltet am Abend gern gezielt ab. Die Menschen würden nach Hause kommen, sich auch informieren, aber wollen sich im Anschluss daran das Bedürfnis, sich gut unterhalten zu lassen. Zum Teil erhält der Privatsender auch erboste Zuschauerbeschwerden, wenn nach 20 Uhr aktuelle Nachrichten im Programm auftauchen. „Wir registrieren verstärkt, dass Zuschauer sagen: Der Abend gehört mir, da will ich mich nicht mehr belasten“, sagte Lacher. „Wir sehen da einen Zusammenhang zu den aktuell vielen schweren Themen und Krisen auf der Welt.“

Er übernimmt zusätzlich zur Programmplanung die Leitung des neuen Senders und berichtet in beiden Funktionen an RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann. Seit eineinhalb Jahren bemerkt Lacher eine zunehmende Beunruhigung im Publikum. Er zählt den Islamischen Staat, die Terroranschläge in Paris, den Krieg in Syrien, die Flüchtlinge und auch den Schulden- und Eurokrise in Europa auf. Zerstreuung ist gefragt. Gerade die Ereignisse in Paris hätten zu einer Art „Cocooning“, einem Rückzug ins Privatleben, geführt. „Die Menschen halten sich an gewohnten Marken fest und daran orientieren wir uns auch.“
In seinem Büro direkt am Rhein in Köln zeigt Lacher ein Schaubild, wie die Mediengruppe die Zuschauerlandschaft im deutschen Privatfernsehen sieht und die Sender nach Geschlecht und Alter des Publikums sortiert. Die Zuschauer des Hauptsenders RTL sind darauf eher weiblicher und älter als der Durchschnitt zu sehen. Gleiches gilt für Vox und den Wettbewerber Sat 1. Der Privatsender Pro Sieben gilt hingegen als jünger und männlicher.
Die beiden großen Privatsendergruppen RTL und Pro Sieben Sat 1 arbeiten mit immer mehr Sendern. Sie versuchen damit, kleinere Zielgruppen zu erreichen und auch auszugleichen, dass die größeren Sender tendenziell weniger Zuschauern anziehen. Zu Pro Sieben Sat 1 gehören der Sender Kabel Eins sowie das Spartenprogramm Sat 1 Gold und Pro Sieben Maxx; zudem plant der Konzern einen Dokumentationskanal. Die RTL-Gruppe startete vor vier Jahren den Spartensender RTL Nitro mit amerikanischen Serien und Filmen. „Wir sind in der Ausrichtung von RTL Nitro immer männlicher geworden und geben auch dort mit Eigenproduktionen Gas“, sagte Lacher. Bislang liefen dort 12 eigene Sendungen wie ein Format zum Yps-Magazin.

Der neue Spartensender RTLplus, ein Art weibliches Pendant zu RTL Nitro, soll etwas weiblicher und älter als RTL werden: Die Zielgruppe sind Frauen im Alter von mehr als 45 Jahren und diese schauen mit mehr als fünf Stunden am Tag deutlich länger klassisches Fernsehen als andere, wie Lacher berichtet. Der Hauptsender RTL richtet sich an eine Zielgruppe im Alter von 14 bis 59 Jahren, die hingegen drei Stunden am Tag fernsehen. Die Verbreitung der Spartensender ist indes eingeschränkt: RTLplus wird so zunächst über das RTL-Internetangebot „TV Now“ und von 17 Millionen Empfängern des Satellitenfernsehens zu sehen sein. Gespräche mit Kabelnetzbetreibern laufen noch.
Während RTL und auch Vox auf Abwechslung setzen, brauchen kleine Sender nach den Erfahrungen der Kölner Fernsehmacher einen ruhigen Ablauf. „Die großen Sender verfolgen die Strategie, von Stunde zu Stunde möglichst vielfältig zu programmieren“, sagte Lacher. Die Spartensender bauen hingegen längere Blöcke mit mehreren Folgen hintereinander. Vormittags werden auf dem neuen Sender Doku-Formate wie „Mein Baby“ und nachmittags Gerichtssendungen laufen. Am Abend kommen frühere Folgen der Tanzshow „Let’s Dance“ sowie von „Bauer sucht Frau“ hinzu. Erst einige Monate nach dem Start folgen Neuheiten. „Wir werden im Herbst mit Eigenproduktionen starten und dort auch investieren“, sagte Lacher. Am Vorabend kehren dann die Ratesendungen „Familienduell“ und „Jeopardy“ mit neuen Moderatoren zurück. Nach den alten Formaten habe es immer wieder Anfragen im Internet oder per Zuschauerpost gegeben, ob denn nicht diese oder jene Sendung wieder aufleben könne.

Den Ablauf am Abend hat Lacher für RTLplus schon weitgehend geplant. Generell lehnt sich die Planung an einstige Abläufe des RTL-Programms an. „Am Freitag holen wir beliebte Sitcoms wie ‚Nikola‘ und ‚Ritas Welt‘ zurück und stellen das wie früher unter das Motto ‚Endlich Wochenende’“, sagte er. Ältere Folgen dieser Unterhaltungssendungen liefen jüngst im RTL-Hauptprogramm am Donnerstagabend und haben dort die Probe bestanden. Für weitere Inhalte hat Lacher ebenfalls Ideen. Auch könnten heutige RTL-Formate den Weg zum Spartensender finden, falls diese dort eines Tages nicht mehr laufen. „Wir investieren gerade mit dem Hauptsender sehr stark in Eigenproduktionen und bauen uns damit einen Programmschatz auf, den wir perspektivisch auch für RTLplus nutzen können“, sagte er. Sicher scheint hingegen, dass die leichtbekleideten Damen von „Tutti Frutti“ aus den RTL-Anfängen nicht auf dem neuen Spartensender zurückkehren.
Mehr im Blog:
RTL will mehr selbst produzieren
Kommentar: Zahlen für RTL mit TV Now Plus
TV Now: RTL umwirbt die Zuschauer im Internet
Nach dem Dschungelcamp ist vor dem Bachelor: Was RTL-Programmchef Frank Hoffmann plant
RTL zieht mit dem Kalten Krieg in die Zukunft
RTL geht mit Next in die nächste Runde
Ostergeschenk von RTL: Mitarbeiter erhalten 15 Millionen Euro
Bachelor, Ungarn, X Factor: Das Geschäft von RTL stagniert
RTL, Dschungelcamp, Fußball: Das Fernsehen braucht mehr Kreativität
RTL und die Apps der Sender: Das Fernsehen lernt laufen
Anke Schäferkordt: Selbst Klitschko dankt ihr
RTL, der Fußball und die Heuschrecken: Umsatz sinkt, Gewinn steigt
_____________________________________________________________
F.A.Z.-Blog Medienwirtschaft
www.faz.net/medienwirtschaft
Twitter: www.twitter.com/jan_hauser