Medienwirtschaft

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Zeitschriften, Fernsehen, Internet: Wie sich die Welt der Medien dreht

Fernsehserien aus Europa ziehen um die Welt

Fremantle Media, Produktionszweig der RTL Group, stellt mehr deutsche und europäische Serien her und verkauft diese ins Ausland wie Modus, The Young Pope oder Deutschland 83. Das deutsche Fernsehen hinkt jedoch international hinterher.

Modus, eine Serie aus Schweden© FremantleModus, eine Serie aus Schweden


Den Wandel in der Fernsehwelt erlebt Jens Richter auch im eigenen Haus. Seinen drei Kindern schaltet er einmal den Fernseher an und geht kurz aus dem Raum. Als er wiederkommt, ist der Fernseher aus und jedes Kind schaut auf einem Tablet-Computer sein eigenes Programm. Selbst seine beiden drei Jahre alten Zwillinge können das Gerät allein entsperren und bedienen, um fernzusehen. Das hat der acht Jahre alte Bruder seinen beiden Schwestern beigebracht. „Wenn man das als Eltern das erste Mal sieht, ist das ein Schocker, aber es zeigt auch, wie einfach die Bedienung ist“, sagt Richter im Gespräch mit dieser Zeitung.

Als Vorstandsvorsitzender von Fremantle Media International verkauft er mit seinen Mitarbeitern deutsche Serien wie „Deutschland 83“ und internationale Showformate um „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Das Supertalent“ auf der Welt. Die internationale Produktionsgesellschaft mit Sitz in London gehört zur Luxemburger RTL Group, Europas größte Privatfernsehkette mit den deutschen Kanälen RTL, Vox und n-tv, an der der Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann 75,1 Prozent hält.

Die vielfachen Angebote von Filmen, Serien oder auch nur kurzen Videos im Internet lassen Kinder anders aufwachsen und bieten Erwachsenen fast unbegrenzte Sehmöglichkeiten. Den großen Privatsendern, die in Deutschland Zuschauer verlieren, bringt das neue Konkurrenten und den Produktionsgesellschaften mehr Abnehmer für ihre Filme und Unterhaltungsformate. Richter verkauft die eigenen Produktionen nicht nur an Sender außerhalb der RTL Group, sondern auch an die amerikanische Plattform Netflix, an das Videoportal von Amazon und an asiatische Internetdienste. Ihre Inhalte erreichen damit ein Publikum in 150 Ländern. Fremantle Media, deren Verkaufseinheit Richter leitet, hat Büros in 31 Ländern und stellt 10000 Programmstunden im Jahr her.

„Wir wollen mehr deutsche Produkte auf den Markt bringen“, sagt er. An Neuheiten werkelt Fremantle gerade mit ihrer deutschen Produktionsgesellschaft, der Potsdamer Ufa-Gruppe, die fast alle deutschen Sender beliefert: die Ratesendung „Wer weiß denn sowas?“ für die ARD, die Krimi-Reihe „Soko Leipzig“ für das ZDF, die Seifenoper „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ für RTL oder Fernsehfilme wie die Organspendegeschichte „Zwei Leben, eine Hoffnung“ für Sat 1.

Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass immer mehr Serien aus Europa hinaus in die Welt drängen. „Produzenten aus europäischen Ländern haben das Vertrauen großer Sender außerhalb ihres Heimatlandes, große Produktionen machen zu dürfen und diese funktionieren – und das ist wunderbar“, sagt Richter. Er nennt die dänische Politikserie „Borgen“, den deutsch-dänisch-schwedischen Krimi „Die Brücke – Transit in den Tod“, die italienische Mafiageschichte „Gomorrha“, die französische Serie „Versailles“ oder den schwedischen Thriller „Modus“ einer Fremantle-Beteiligung.

Auch Fremantle Media bastelt an hochwertigen Serien: Mit dem Erwerb der Mehrheit an der italienischen Produktionsfirma Wildside hat es sich die Serie „The Young Pope“ mit den amerikanischen Schauspielern Jude Law und Diane Keaton sowie Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino als Regisseur einverleibt, die für Sky, HBO and Canal+ gedreht wird. In London entsteht mit „Hard Sun“ eine neuartige Krimiserie des „Luther“-Autors Neil Cross für BBC. Über viele Sendungen darf er noch nicht sprechen. Das bleibt den beauftragten Sendern überlassen, die Neuheiten verkünden dürfen.

Jude Law spielt den Papst© FremantleJude Law spielt den Papst.

Zum Türöffner für die neuen deutschen Exporte ist die Ufa-Produktion „Deutschland 83“ geworden: Die preisgekrönte Spionage-Serie fand in der Heimat nur wenige Zuschauer, aber verkaufte sich in mehr als 20 Länder. „Deutschland 83 hilft uns enorm, den internationalen Markt zu öffnen und Sender dahin zu bekommen, auch Risiken einzugehen und außerhalb der Pfade zu programmieren“, sagt Richter.

In den Vereinigten Staaten lief die Sendung auf dem kleineren Sender Sundance TV zur Zufriedenheit der Beteiligten an, verkaufte sich auch via iTunes von Apple und erzielte zu Jahresbeginn in Großbritannien auf Channel 4 die höchste Quote einer Drama-Serie, die nicht englischsprachig ist. Dass sich deutsche Stoffe international besser schlagen, wird Thema auf der am Montag beginnenden Fernsehmesse MIPTV in Cannes, auf der sich Produzenten, Verkäufer und Senderverantwortliche austauschen und über Koproduktionen oder Lizenzen verhandeln.

Neue Serie: "Deutschland" läuft allerdings erst im Herbst an.© RTLDeutschland 83 wurde in mehr als 20 Länder verkauft.

Allerdings lief „Deutschland 83“ für den Kölner Privatsender RTL, den Hauptauftraggeber, schlechter als erwartet: Die ersten beiden Folgen schalteten zwar noch drei Millionen Menschen ein, in den Wochen danach verfolgten aber mehr als eine Million Menschen weniger die Sendung. Eine Fortsetzung haben die Beteiligten bislang nicht verkündet. „In Deutschland sind die Sehgewohnheiten im Vergleich zu manch anderen Ländern noch etwas traditionell“, sagt Richter. Der Fokus liegt auf abgeschlossenen Geschichten in einer Folge. „Deutschland 83“ berichtet hingegen die Erlebnisse eines ostdeutschen Spions in einer westdeutschen Kaserne über die acht Folgen der ersten Staffel entlang.

Was ist das erfolgreichste deutsche Drama, fragt Jens Richter und nennt den sonntäglichen „Tatort“ in der ARD: Der Kriminalfall mit wechselnden Ermittlern stellt für sieben bis zehn Millionen Zuschauer einen Fixpunkt der Woche, in dem nach 90 Minuten der Mörder verhaftet ist. Der deutsche Fernsehmarkt ist von einer abgeschlossenen Erzählweise geprägt, so dass ein Zuschauer ohne Vorkenntnisse jede Folge sehen kann. Damit hinkt das Fernsehen in Deutschland zwar international hinterher, aber auch hier ändern sich langsam die Sehgewohnheiten. „Neue Erzählweisen werden mehr kommen, und dann ist es für einen Sender wie RTL gut, dass er im Markt schon mit solchen Produktionen mitspielt“, sagt Richter.

Bis Ende 2014 arbeitete er für das Münchner Produktionsunternehmen Red Arrow, das zur deutschen Privatfernsehkette Pro Sieben Sat 1 gehört und Aufträge auch von Netflix und Amazon erhielt. Seither ist er in London als Chefverkäufer für den einstigen Konkurrenten Fremantle tätig.

Der Politiker Francis Underwood ist der Antiheld in der Netflix-Produktion "House of Cards".© Sat.1/MRC II DistributionDer Politiker Francis Underwood ist der Antiheld in der Netflix-Produktion “House of Cards”.

Der Trend zum langen Drama kommt aus Amerika. Die fortführende Erzählweise machen dort hochgelobte Serien wie „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ vor, die der Kabelsender AMC erfolgreich ausprobierte. Später folgte der Internetdienst Netflix mit „House of Cards“. Immer mehr Fernsehmacher folgen dem und im vergangenen Jahr hat sich dies auf mehr als 400 erstausgestrahlten Serien erhöht. Hierzulanden haben die Sendungen viel Aufmerksamkeit bekommen, aber wurden kaum große Publikumserfolge. „Als Bezahlangebot ist mein Treiber, eine Serie zu produzieren, die laut und sehr originell ist, die kontroverse Themen aufgreift und Widerspruch erzeugt, damit das Programm eine hohe Aufmerksamkeit hervorruft“, sagt Richter. Viele sind stark auf den Heimatmarkt zugeschrieben. Auch mit dem Blick darauf setzen hiesige Sender auf Eigenproduktionen.

In Amerika geben die Fernsehunternehmen viel mehr Geld aus, um Sendungen herzustellen – und das liegt nicht nur an der Qualität. Zum einen verdienen das Spitzenpersonal mehr, zum anderen verteuern gewerkschaftliche Vorgaben die Dreharbeiten. „Wer das Licht hochhält, darf nicht den Lastwagen fahren“, sagt Richter. Allein dadurch braucht es mehr Personal. „Bevor amerikanische Produktionen sparen, gehen sie auf Sicherheit und geben mehr Geld aus, auch weil sie wissen, dass sich die Sendung in hundert Länder verkaufen lässt“, sagt Richter. Eine deutsche Serie wie „Deutschland 83“, deren acht Folgen etwa acht Millionen Euro gekostet haben, würde in gleicher Qualität wohl doppelt oder dreimal so viel kosten.

Fremantle Media machte im vergangenen Jahr einen operativen Gewinn (Ebitda) von 105 Millionen Euro und einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. Die Rendite von 6,8 Prozent ist innerhalb der RTL Group jedoch gering und liegt deutlich unter dem Fernsehgeschäft in Deutschland, Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. Insgesamt kam die RTL Group auf einen operativen Gewinn (Ebita) von 1,2 Milliarden Euro und einen Umsatz von sechs Milliarden Euro.

Wohin geht die Reise? „Die heutigen Kinder werden, wenn sie größer werden, auf allen Plattformen und überall fernsehen“, sagt Richter. Auch rechnet er damit, dass diese oft Live-Fernsehen sehen werden. Die Produktionsunternehmen werden in den neuen Fernsehzeiten genug zu verfilmen haben, in denen selbst Kinder sich schon zum eigenen Programmchef befördern.

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