Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Weihnachtsschmuck für Patrioten

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Die Wirtschaftskrise verleiht in Russland selbst dem Neujahrsfest, das wegen seiner Politikfreiheit das allerbeliebteste ist, patriotisches Pathos. Rechtzeitig...

Bild zu: Weihnachtsschmuck für PatriotenDie Wirtschaftskrise verleiht in Russland selbst dem Neujahrsfest, das wegen seiner Politikfreiheit das allerbeliebteste ist, patriotisches Pathos. Rechtzeitig zu Beginn der Weihnachtszeit erklärte Dumasprecher Boris Gryslow, zu den nationalen Markenzeichen gehöre nicht zuletzt der „Große“ Großvater Frost, den russischen Kindern kein Santa Claus oder andere ausländische „Usurpatoren“ streitig machen könnten. Gryslow verkündete diese Mär nicht von ungefähr aus der nordrussischen Stadt Weliki Ustjug, die offiziell als Heimatstadt von Großvater Frost gilt. In den Märchenwäldern der Umgebung hatte im 17. Jahrhundert der legendäre Patriot Iwan Sussanin sein Leben für den Zaren geopfert, indem er polnische Schergen, die den jungen Romanow töten und in Moskau einen Usurpatoren einsetzen wollten, statt zu ihrem Opfer in die frostige Waldeinsamkeit führte. Weliki Ustjug richtete jetzt für den Dumavorsitzenden und seine Delegation eine Verkaufsausstellung weihnachtsgeschenktauglicher Artikel örtlicher Produktion aus. Die Palette umfasste Butter und Spitzen aus Wologda sowie schneegängige Bastschuhe, von denen sich der stellvertretende Dumasprecher Schirinowski, der eher für seinen luxuriösen Geschmack bekannt ist, für zweitausend Rubel (54 Euro) ein Paar zulegte. Gryslow sprach die Hoffnung aus, der russische Märchen-Großvater, der mit einem Troikaschlitten unterwegs ist und im frostblauen Mantel seine Geschenke verteilt, möge bald andere Weihnachtsmänner von den Postkarten der Welt verdrängen.

Auf Moskaus Straßen und Plätzen trotzen bunt blinkende Neujahrstannen der allgemeinen Krisenstimmung. Bei Dunkelheit werden die wiederverwendbaren Stahlbäume zu diesem Jahreswechsel, den die meisten Hauptstädter daheim und ohne große Geschenke feiern wollen, außer von Lichtgirlanden erstmals von Springbrunnen aus farbigen Leuchtröhren unterstützt. Der Tannenbaum, den die altrussische Folklore eher mit Krankheit und Tod verband, wurde seit Peter dem Großen auch zum Symbol von Wintersonnenwende und Neujahrsfest. Der Reiz der 496 Leuchtbäume, die die Hauptstadtväter heuer an exponierten Straßen und Plätzen aufgestellt haben, liegt in ihrer Naturferne. Die zwanzig Meter hohe Zackensilhouette, die den Twerskaja-Platz vorm Bürgermeisteramt schmückt, leuchtet unten dunkel-, in der Mitte hellgrün und am Wipfel eiskristallklar wie eine Frost-Fata-Morgana. Die sie umgürtenden Girlanden nehmen nacheinander alle Farben des Regenbogenspektrums an. Der kaum kleinere Baum am Arbat-Platz trägt ein Glitzerkleid aus blauen, weißen und rotlila Sternen, zwischen denen man hellblaue Lichttropfen herabregnen sieht.

Als ihr schönstes Stück betrachten die Neujahrsschmuckbeauftragten den majestätisch leuchtenden Zuckerhut am Park des Weltkriegsieges (siehe Foto). Eingerahmt von einem strahlenden Tor ins neue Jahr versprüht seine elektronische Hülle ein Feuerwerk wilder Farbakkorde mit der russischen Trikolore, weiß, rot, blau, als immer wieder kehrendem Refrain. Als weniger gelungen gilt der riesige, von einem glühenden Stern bekrönte Tannenkegel auf dem Roten Platz am Kreml, den ausnahmsweise nicht die Stadt, sondern das föderale Zentrum zu verantworten hat. Seine optisch die Machtvertikale beschwörende Gestalt schimmert trübe rotgrün. Wie um das auszugleichen, wuchs Mitte Dezember vor dem Weißen Haus der Regierung Putins, dem Designer des russischen Staates, noch eine Kegeltanne empor. Ihr Lichtgewand besteht aus Streifen in den Trikolorefarben, die die Vertikale umkreisen, breiter werden und dann das ganze Gehäuse blinken und verlöschen lassen wie zu einem Raketenstart. In diesem Weihnachtsbaum möchte man von der krisengeschüttelten Erde gen Himmel abheben.


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